Mein Bleistift war nur noch ein Stummel in meiner Hand, ich schrieb fast nur noch mit meinen Fingerspitzen, doch ich hörte nicht auf, um einen neuen Stift zu holen. Die Worte strömten aus mir heraus, wie hartnäckiges Nasenbluten, das man einfach nicht zu stoppen vermag. Diese Tage mochte ich am aller liebsten.
„Du armes kleines Mädchen", sagte plötzlich jemand und riss mich aus meinen Gedanken zurück auf den gepolsterten Sessel des Theaters. Karan stand vor mir, Farbe und ein breites Grinsen im Gesicht.
„Hast du kein Zuhause, oder warum bist du ständig nur im Theater oder in der Buchhandlung?"
Ich legte den Kopf schief und schlug mein Notizbuch zu.
„Du solltest Komiker werden, Karan Mortimer", bemerkte ich schnippisch und stand auf, um ihn direkt ansehen zu können. Jetzt könnte ich auch seinen würzigen Geruch wahrnehmen, der immer an ihm haftete. Als würde er einen Kräutergarten mit sich herumtragen.
„Nein ernsthaft, was machst du hier?", fragte er lachend und setzte sich in Bewegung Richtung Ausgang. Schnell folgte ich ihm und rempelte dabei beinahe die Putzfrau um.
„Ich war beim Laden, aber er war geschlossen. Ich dachte, er wäre vielleicht bei dir."
Er blieb kurz stehen und musterte mich amüsiert. Dann ging er weiter.
„Gab es in den letzten Monaten überhaupt einen Tag, an dem ihr zwei euch nicht gesehen habt? Gibt es vielleicht etwas, das ihr mir beichten möchtet?"
„Sei nicht lächerlich, Karan", sagte ich und schlüpfte hinter ihm durch die Tür. „ Ich möchte nur gerne wissen, wo er ist. Ich muss ihm etwas zeigen."
Mittlerweile waren wir an seinem Auto angelangt und Karan stand unentschlossen vor der Tür, nicht sicher, was er nun mit seinem Anhängsel anstellen sollte. Schließlich knickte er ein.
„Was möchtest du ihm denn zeigen?", fragte er neugierig. Ich grinste.
„Das ist eine Überraschung. Wenn du mich zu ihm bringst, darfst du es auch erfahren."
„Das ist Erpressung, junge Dame."
„Das", entgegnete ich kokett, „ist eine Verhandlung."
Wir fuhren eine halbe Stunde aus der Stadt hinaus in Richtung Küste. Die ganze Zeit über erwischte ich mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Es war seltsam, fast schon gruselig, aber Karan gehörte zu den Menschen, die so schön waren, dass man einfach nicht anders konnte, als sie anzustarren.
Ehrlich gesagt hatte ich mir immer vorgestellt, dass Mr Mortimer in einem kleinen Zimmer oberhalb seines Ladens lebte. Stattdessen hielten Karan und ich irgendwann neben der rostigen Seifenkiste, die Mr Mortimer so wohlwollend als „Auto" bezeichnete, vor einem kleinen, alten Steinhaus in der Nähe einer Heide. Es sah aus, als wäre es gerade einem Historiendrama entwachsen und fälschlicherweise vor meiner Nase aufgetaucht.
Überrascht sah ich Karan an.
„Was hast du erwartet?", fragte er lachend. Ich zuckte mit den Schultern und wir stiegen aus dem kleinen Wagen. Der starke Wind stieß mich beinahe von den Füßen und ich versuchte schnell, meine Haare in einen Zopf zu verbannen, bevor alles verloren sein würde. Ähnlich verblasen winkte Karan mich zu der schmalen Tür und wir schlüpften in das Haus.
„Wie kommt ihr denn hierher?", fragte eine heisere Stimme überrascht. Ich blickte mich im kleinen Wohnzimmer um, in das wir beide soeben hineingeweht wurden, und entdeckte Mr Mortimer mit einer großen, dampfenden Tasse in der Hand und einer Wolldecke um die Beine gewickelt in einem blauen Ohrensessel sitzen. Mit gehobenen Augenbrauen und geröteter Nase musterte er uns.
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Mr Mortimer
Novela JuvenilEigentlich wollte Moira nur schnell ein Buch für ihr Jurastudium kaufen, doch der schräge alte Mann und sein vollgestopfter Buchladen lassen sie einfach nicht los. Mr Mortimer und sein gutaussehender, theaterbegeisterter Enkel schaffen es, Moira in...