Karan stand auf der Bühne, barfuß und in einem viel zu schlabberigen Pullover, und betrachtete nachdenklich die Kulissen, die von seiner Helferschaar gerade aufgestellt wurde. Emsig wurden Papierbäume und –büsche herumgeschoben, Pappsteine hin und hergerückt, bis Karan mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in die Hände klatschte und die geplätteten Helfer in ihr Wochenende entließ. Stumm stand ich in der Ecke neben den roten Sesseln und schaute ihm zu. Das Theater war einer meiner Lieblingsorte in der Stadt geworden und ich kam fast jeden Tag hierher, setzte mich unter dem kritischen Blick des Sicherheitspersonals in die roten Sessel und schrieb. Mittlerweile war ich für jeden Mitarbeiter Teil des Inventars geworden, nur für Karan schien es jedes Mal eine Überraschung zu sein, wenn er sich umdrehte und mich in einem der Sessel entdeckte. Langsam trat ich aus dem Schatten und winkte ihm zu. Mit einem breiten Grinsen sprang er von der Bühne und landete geübt direkt vor meiner Nase.
„Du bist hier", stellte er fest und umarmte mich zur Begrüßung, etwas zu lange und etwas zu fest dafür, dass wir in den letzten paar Monaten eigentlich nur Freunde waren. Zumindest hatten wir nie darüber gesprochen, mehr zu sein und obwohl ich jedes Mal Gänsehaut bekam, wenn er mich kurz am Arm streifte und immer den Faden des Gespräches verlor, wenn er mir länger als zwei Sekunden tief in die Augen sah, hatte ich nie versucht, ihn zu küssen. Denn er war im Moment so ziemlich der einzige Freund, den ich hatte.
„Ist sie jemals woanders?", hörte ich Anne, eine seiner Kolleginnen, sagen, als sie an uns vorbeikam und mich freundlich anlächelte.
„Bist du fertig, oder musst du noch arbeiten?", fragte ich und sah ihn an. Seine dunklen Haare waren vom ganzen Raufen ganz zottelig geworden.
„Nein, ich hab jetzt frei", antwortete er lächelnd. „Willst du mich nach Hause begleiten?"
Überrascht sah ich ihn an. Er lud mich selten zu sich nach Hause ein, eine kleine Einzimmerwohnung in der Nähe des Theaters. Ich nickte schnell, bevor er es sich anders überlegen könnte.
In seiner Wohnung wimmelt es von Zeichnungen und Bühnenstücken, Theaterbroschüren und Büchern. Es war ein bisschen so, wie einen Laden zu betreten und gleichzeitig viel zu persönlich, als das es jemals einer sein könnte. Er stellte sich in die Küche und machte uns Tee, während ich versuchte, nicht zwischen den Kissen und Zeichnungen auf seinem Sofa zu versinken. Er war ungewöhnlich still und ich versuchte, mit meinem Geplapper die Situation ein bisschen weniger unangenehm zu machen. Schließlich kam er dann zu mir, setzte sich im Schneidersitz auf ein Kissen gegenüber von mir auf den Boden. Er hatte keinen Tisch beim Sofa, weshalb er die dampfenden Tassen einfach zwischen uns auf den Teppich stellte. Mit ernster Miene sah er mich an und mein Geplapper verstummte sofort.
„Ist alles in Ordnung, Karan?", fragte ich vorsichtig und rutschte an die Sofakante, sodass ich ihm ein wenig näher sein konnte. Ich konnte sehen wie seine Kiefermuskulatur sich anspannte.
„Das Dudelsackfachgeschäft hat den Laden gekauft", sagte er knapp. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Es war schrecklich. Dudelsäcke in Mr Mortimers wunderschönem Laden. Warum kein hippes Café oder ein schickes Restaurant?
„Ich weiß, nicht wahr?", sagte Karan und ich öffnete die Augen wieder. Er starrte auf den Tee und schüttelte den Kopf. „Ausgerechnet Dudelsäcke. Er mochte die nicht einmal."
„Wir wussten doch beide, dass er irgendwann verkauft werden würde. Keiner von uns wollte ihn weiterführen."
Er nickte nur und blickte dann wieder zu mir hoch, einen nachdenklichen Ausdruck in den Augen.
„Da ist noch etwas, was ich dir erzählen muss. Dass Theater in Aberdeen möchte, dass ich mein Meerjungfrauenstück bei ihnen aufführe. Ich soll die nächsten Monate dorthin kommen und wäre erst Ende des Sommers wieder hier."
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Mr Mortimer
Fiksi RemajaEigentlich wollte Moira nur schnell ein Buch für ihr Jurastudium kaufen, doch der schräge alte Mann und sein vollgestopfter Buchladen lassen sie einfach nicht los. Mr Mortimer und sein gutaussehender, theaterbegeisterter Enkel schaffen es, Moira in...