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„Lauft", flüsterte Phillip wie in Trance. Dann drehte er sich zu uns um und schrie: „LAAAAUUFT!"

Er stürmte vorwärts und bekam im Rennen noch Magdalenas Ärmel zu fassen und zog sie mit sich.

Ich konnte nicht klar denken. Jemand prallte gegen mich. Ich stolperte ein paar Schritte talwärts, fiel auf die Knie und versank tief im Schnee. Eine große Person rannte den Berg hinab. Das tiefe, bedrohliche Grollen lag über dem ganzen Tal.

„Juna, komm schon!"
Endlich löste sich die Blockade in meinem Gehirn und auch ich versuchte mich wieder aufzurappeln. Jedoch war es ein Ding der Unmöglichkeit, im tiefen Schnee mit viel Gepäck schnell vorwärts zu kommen.
Meine Beine fühlten sich an, als wären sie mit Haken an dem Boden befestigt. Mit aller Kraft versuchte ich meinen Fuß aus dem Schnee zu ziehen.
„Juna!", schrie wieder irgendjemand. „Ich kann nicht!", brüllte ich hysterisch zurück und meine Augen füllten sich mit heißen Tränen.

Ich schaffe es nicht, dachte ich angsterfüllt. Das schaffe ich nie. Noch einmal stützte ich mich mit meinem ganzen Gewicht auf die Skistöcke und versuchte mich vom Schnee zu befreien. So werde ich nicht sterben! Ich nicht!
Mit einem kräftigen Ruck zog ich mein rechtes Bein endlich aus den weißen Tiefen.

Plötzlich war Noel an meiner Seite, packte meinen Rucksack und zog mich mit sich. „Wir müssen zur Seite! Nicht den Berg hinab! Los!"

Von seinem Adrenalin angesteckt, hetzte ich ihm hinterher. Bald konnte ich ihn jedoch nicht mehr sehen; auch von den anderen fehlte jede Spur.
Schneeflocken peitschten mir ins Gesicht.
Das Grollen wurde lauter.
Eine Höllenangst umgab mich und schien mich zu erdrücken.
In Panik rannte ich, so schnell es der Schnee zuließ, weiter zur linken Seite. Meine Augen flogen in den Höhlen hin und her.

Ich schrie auf, als nicht mal drei Meter rechts von mir die ersten Schneemassen in einer Geschwindigkeit, in der einige Autos nicht mal mithalten würden, vorbei donnerten. Die Tannen, die der Lawine im Weg standen, wurden umgeknickt wie Grashalme.

Mit letzter Kraft hechtete ich weiter nach links.

Den Tod vor meinem geistigen Auge, kamen mir Phillips Worte am ersten Tag im Camp in Erinnerung.
Hände vor das Gesicht, Atemhöhle bilden.

Hektisch schmiss ich meine Skistöcke in den Schnee, die daraufhin auch gleich hinab ins Tal rutschten.
Dann befreite ich mich auch vor Todesangst zitternd von meinem Rucksack und kauerte mich dahinter, in der Hoffnung, er würde so zumindest irgendetwas bezwecken.
Gerade wollte ich meine Hände schützend vor das Gesicht legen. Es war zu spät. Die Lawine hatte mich erreicht.

Mit einer irrsinnigen Wucht wurde ich nach oben geschleudert.
Panisch schnappte ich nach Luft. Ich versuchte, den Himmel zu fixieren, doch ich überschlug mich und verlor die Orientierung.
Tonnenschwerer Schnee fiel über mich und begann mich zu erdrücken.
„Hilfe!", schrie ich und ruderte wild mit den Armen.
Wo war unten? Wo war oben?
Noch einmal wurde ich fort geschleudert. Dann wurde es schwarz.

Gefangen im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt