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Ein leises Knarzen weckte mich. Schwerfällig öffnete ich die Augen und konnte gerade noch erkennen, wie sich die Holztüre des Schlafzimmers schloss.
Augen schnell wieder zu.
Es war viel zu hell.

Wie lange hatte ich geschlafen? Ich fühlte mich wie Dornröschen, die gerade aus ihrem hundertjährigen Schlaf geweckt worden war. Nur der Kuss fehlte. Ich seufzte in Gedanken.
Mein Geist war wach, doch der Körper war wie auf der Matratze festgeklebt. Kein Muskel wollte sich rühren.

An meinem rechten Fuß spürte ich Kälte. Eiskalt. Widerwillig öffnete ich erneut meine Augen und hob langsam den Kopf an. Mein verletzter Fuß schaute unter der Decke heraus und war von einem improvisierten Kühlakku, einer Alditüte voller Schnee, umwickelt. Ich lächelte.
Wann war Noels Sinneswandel gewesen? Er kümmerte sich rührend um mich, ohne einen dummen Kommentar von sich zu geben. Was war los mit ihm? Hatte er vielleicht eine Art Fieber?
Ich musste schmunzeln.

Die Kälte tat gut, so spürte ich fast keine Schmerzen mehr. Entspannt lehnte ich mich wieder zurück und genoss die Ruhe. Ich war vollkommen glücklich. Mir war warm, ich musste nicht mehr umherwandern und ich steckte weder unter einer Lawine, noch in einer Gletscherspalte. Was konnte es schöneres geben?

Der Heli, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Rettungshelikopter kommt heute! Gestern kam kein Kontrollanruf von Phillip, das heißt, sie mussten ihn heute losschicken!
„Noel!", rief ich überglücklich, „Noel, wir werden gerettet!" „Was?", ertönte seine Stimme und er polterte die Treppen zu mir hinauf. „Siehst du ihn schon?", rief er euphorisch, stürmte in mein Zimmer und rannte an mir vorbei zum Fenster.
„Nein", lachte ich, amüsiert über sein Verhalten. „Aber heute soll der Heli doch kommen! Heute Abend sind wir wieder daheim bei unseren Familien! Wir sind so gut wie gerettet!" Ich saß im Schneidersitz auf der Matratze und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Noel drehte sich zu mir um und lief auf mich zu. „Ist das nicht super?", quietschte ich und konnte meine gute Laune nicht verbergen. Ich ließ mich von ihm hochziehen und hüpfte ein wenig ungeschickt mit dem linken Fuß wie ein kleines Kind auf und ab.

Noels große Hände zogen mich an der Taille zu sich heran. So war ich gezwungen, wieder ruhig stehen zu bleiben und ihn anzusehen. „Das ist super", bestätigte er beinahe flüsternd. Seine Mundwinkel zuckten leicht und bevor ich irgendwas machen, geschweige denn etwas sagen konnte, kam er immer näher, sodass ich jede einzelne seiner hellen Wimpern zählen konnte. Dann drückte er seine Lippen auf meine. Erst ganz sanft und dann fordernder.

Vollkommen verdattert stand ich stocksteif mit angehaltenem Atem da und obwohl ich nicht wusste, was ich davon halten sollte, übernahm mein Körper das Denken für mich und erwiderte den Kuss. Meine Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Hals und mit der linken Hand fuhr ich durch sein weiches Haar. Er roch gut. Meine Gefühle fuhren Achterbahn und in meinem Bauch fing es an zu kribbeln. Ich öffnete leicht die Augen und sah, dass er seine eigenen genießerisch geschlossen hielt. Auch ich schloss sie wieder und drückte ihn näher an mich, falls das überhaupt noch gehen sollte. Seine Hände glitten über meine Taille hinab zu meinem Po. Ein wohliger Schauer fuhr mir den Rücken hinab.

Endlich übernahm mein Gehirn wieder die Oberhand. Energisch schubste ich ihn von mir weg, aber irgendwie konnte ich mich nicht über den Kuss aufregen. Dafür war er zu schön. Zu intensiv.

Noel taumelte einige Schritte zurück, doch er fing sich gleich wieder. Er blickte mich an. Seine Lippen, nun zu einem breiten Lächeln gezogen, waren schon ganz rot. Auch ich grinste schüchtern zurück und fuhr mit meiner Hand nervös durch meine Haare.
„Was war denn das?", fragte ich perplex und sah in seine Augen. Endlich konnte ich sie einmal ohne seine störende Sonnenbrille begutachten. Sie waren eher von einem hellen Grün, durchzogen von grauschwarzen Sprenkeln. Konnte man sich in Augen verlieren? Wenn ja, dann war jetzt der ideale Zeitpunkt dafür.

Gefangen im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt