„Schnell, steigt auf!"
Ich konnte es kaum fassen. Ein bärtiger alter Mann hatte sein Schneemobil direkt vor unserem Zelt geparkt.
Eifrig rüttelte ich an Noels Schulter. Er schlug die Augen auf und erkannte sofort die Gunst der Lage.Wir schnappten unsere Klamotten und liefen freudestrahlend auf unseren Retter zu. „Tausend Dank!", brachte ich krächzend hervor. Ich hatte mir wohl eine Erkältung geholt.
Obwohl das Gefährt sehr klein war, hatten wir drei mühelos Platz. Mit hohem Tempo raste er los, in Richtung Heimat.
Ich erkannte die Gegend, er fuhr den Weg zurück, den wir gestern eingeschlagen hatten. Bald würden wir an Magdalenas Grab vorbeikommen. Mir schauderte es.
Als ich den kleinen Schneehaufen entdeckte, begann ich zu zittern. Dann sah ich es. Vor Schreck wäre ich beinah vom Schneemobil gefallen. Das Kreuz, das ich extra noch auf das Grab gelegt hatte, war verschwunden. Stattdessen saß dort Magdalenas Kopf auf einer blutigen Pfütze und grinste mich furchterregend aus schwarzen Augen an.
„Leb wohl!", rief sie mit schauderhafter Stimme. „Wir sehen uns drüben!"Starr vor Angst schaute ich sie entgeistert an.
Dann rasten wir schon an dem Kopf vorbei, wieder den Berg hinauf.
Plötzlich löste sich von ganz oben Schnee.
„NEEEEEEIIIIIIN!"
Erneut donnerte die Lawine unbarmherzig auf uns hinab und begrub uns diesmal endgültig unter sich.Erschrocken riss ich die Augen auf und fuhr hoch. Panisch schnappte ich nach Luft und erkannte erst auf den zweiten Blick, wo ich war. Über mir an der Decke waren immer noch die Tannenzweige. Unter mir lag die Schneehose, auf der ich es mir so gemütlich wie möglich gemacht hatte.
Es war alles nur ein Traum. Es gab immerhin keine zweite Lawine, doch auch leider keinen Retter auf seinem Schneemobil. Oder?
Ich stützte mich auf meine Handfläche und lugte durch die Öffnung. Es wurde gerade hell.
Jedoch sah ich niemanden. Frustriert ließ ich mich wieder sinken und bemerkte etwas hartes im Rücken. Unwirsch zog ich meine Unterlage zurecht und fühlte dabei etwas kantiges in der Hosentasche.
Konnte das..?
Eifrig zog ich den Reißverschluss auf und hielt kurz darauf mein Handy in der Hand.
Yes!
In Gedanken führte ich einen Freudentanz auf, in Wirklichkeit entfuhr mir nur ein leiser Jauchzer.
Immerhin hatte ich noch eine einzige Sache von meinen ganzen verlorenen Habseligkeiten wiedergefunden.
Ich schaltete es an und sofort wurde der Bildschirm hell. 18% Akku sagte mir der gelbe Balken rechts oben.Und links in der Ecke zeigte es wie gestern: kein Netz
Obwohl mir mein Fund eigentlich nichts brachte, packte ich mein Handy dennoch wie einen wertvollen Schatz in meine Jackentasche.
Ich drehte mich zu Noels Schlafplatz um. Doch von ihm fehlte jede Spur.
„Noel?", rief ich erst leise und wurde immer lauter. „Noel, wo steckst du?" Von der Angst gepackt, krabbelte ich geduckt aus dem Tannenzelt.Kälte schlug mir mit voller Wucht ins Gesicht. Unsere Hütte hatte die Wärme doch einigermaßen gehalten.
Verdammt, wo war er? Er würde sich doch nicht einfach so aus dem Staub machen?!
Ungewollt füllten sich meine Augen mit Tränen. „Noel!", schrie ich noch einmal aus vollem Hals. Eine Krähe über mir flatterte erschrocken los und der Schnee auf dem Ast rieselte auf mich herab.„Alles gut, ich bin hier", meinte plötzlich eine Stimme von rechts und augenblicklich kam Noel in meinen Blickwinkel.
„Wo warst du?", fuhr ich ihn an. „Ich hab mir Sorgen gemacht."
„Ich musste nur schnell was erledigen", sagte Noel und grinste. „Hä?", machte ich.Noel schnaufte hörbar aus. „Ich musste mal. Zufrieden?"
„Oh. Achso.", beschämt über meinen plötzlichen Ausbruch drehte ich meinen Kopf zur Seite und tat so, als fände ich die äußere Zeltwand aus Tannen äußerst interessant.
„Dachtest du echt, ich wäre ohne dich gegangen? Das könnte ich nie", meinte er lächelnd und mir wurde warm ums Herz. Ich lächelte leicht und blickte ihm wieder ins Gesicht.
Doch dann grinste er schelmisch: „Ich muss bei dir bleiben. Du würdest allein hier draußen eh draufgehen."Perplex starrte ich ihn an, sagte aber nichts. Jedoch nicht, da ich zu cool war, um ihm zu antworten, sondern weil mir schlicht und einfach nichts einfiel.
Wütend schüttelte ich den Kopf und schob mich komplett ins Freie.
Auch ich spürte einen mächtigen Druck auf der Blase.Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, marschierte ich an ihm vorbei und suchte mir ein geschütztes Plätzchen. Dort zog ich meine Hose herunter und ging in die Hocke.
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Kaum dachte ich, wir würden uns einigermaßen verstehen, musste er wieder so einen bescheuerten Satz schmettern. Dachte er, das sei cool? Oder er würde mich damit beeindrucken?
War er etwa so einer, der dachte, dass Frauen in die Küche gehörten und außer kochen und Kinder hüten nichts zu melden hatten, da sie eh nichts drauf hatten?
Oder vielleicht war es einfach sein Humor. Möglicherweise war er einfach so. Hilfsbereit aber auf eine makaber sarkastische Art.
Ich wusste nicht, was mir lieber war.
Als ich fertig war, zog ich meine Hose wieder an ihren eigentlichen Platz und lief zurück. Ich hasste es, wenn es kein Toilettenpapier gab.
Außerdem hätte ich gerne meine Zahnbürste dabei gehabt, um diesen ekligen ungeputzten Geschmack im Mund loszuwerden.
Aber nein, ich hatte ja mein unnützes Handy. Super.Noel hatte seine Sachen bestimmt alle im Rucksack.
Ich kam an unser Zelt zurück. Wenn man vom Teufel spricht...
Da stand er und putzte sich gerade die Zähne.
„Ich klau mir mal ein bisschen.", meinte ich und schnappte mir die Zahnpasta. Mit meinem Finger und ein bisschen Schnee putzte ich mir unbeholfen die Zähne, aber es war immerhin besser als nichts.„Zum Frühstück gibt es heute nichts", nuschelte Noel und spuckte den Zahnpastaschaum in den Schnee. „Wir müssen uns das Essen einteilen."
„So kann man auch abnehmen", meinte ich und seufzte.
„Als ob du noch abnehmen müsstest. Bist eh nur noch ein Strich in der Landschaft", feixte er und packte seine Sachen zusammen.
Ich ignorierte ihn gekonnt, doch insgeheim musste ich ihm Recht geben.
Mit meinen 1,61 war ich nun wirklich kein Riese und dabei wog ich auch nur 47 Kilo. Trotzdem war ich recht zufrieden mit mir.„Was machen wir heute eigentlich? Wo gehen wir hin?", fragte ich stattdessen, um vom Thema abzulenken.
Noel richtete sich auf und kratzte sich am Hinterkopf. „Der Rettungsheli fliegt erst los, wenn man 24 Stunden keinen Kontrollanruf getätigt hat. Das hat mir Phillip erzählt."
Wir beide stockten kurz bei der Nennung des Verschwundenen. Doch keiner sagte etwas dazu.
„Der letzte Anruf muss gestern morgen gewesen sein.", mit ernstem Gesicht sah er mich an. Ich wusste, was das bedeutete. Heute würden sie in Oberstorf den kompletten Tag auf einen Anruf warten. Und da kein Anruf kam...
„Also kommt der Heli erst morgen", schloss ich betrübt.
Noel nickte. „Sofern sich kein Schneesturm anbahnt. Sie bringen sich nicht selbst in Gefahr."
„Hör auf das zu sagen!", rief ich gequält. „Sie kommen bestimmt morgen."„Ja, bestimmt!" Doch ich merkte an Noels Gesichtsausdruck, dass er mir nur nicht die Hoffnung nehmen wollte.
Einen kurzen Augenblick war es still.
„Brechen wir auf", meinte er schließlich und schulterte den Rucksack.
Hallöchen, meine Lieben❤️
Ich wollte mich für eure großartige Unterstützung bedanken. Ich freue mich über jedes einzelne Vote und natürlich eure ehrliche Meinung!
Wie wird es bei Juna und Noel wohl weitergehen?Liebe Grüße, eure Michi
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Gefangen im Schnee
Teen FictionTeil 1 - A B G E S C H L O S S E N „Hey!", rief Noel von hinten. Wir drehten uns zu ihm um. „Denkt ihr, dass.." Klatsch! Noels Mütze, Gesicht und Schultern waren komplett weiß. Eine riesige Ladung Schnee war von der Tanne über ihm gerutscht und auf...