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Die folgenden Stunden gingen mehr schlecht als recht vorbei.
Ich lag meistens auf der unbequemen Eckbank und stierte geistesabwesend in die tanzenden Flammen.
Noel stand von Zeit zu Zeit auf, um einige Holzscheite nachzulegen oder aus dem Fenster nach dem rettenden Helikopter Ausschau zu halten.

Ich wollte nicht undankbar sein. Es war super, dass wir endlich eine Hütte gefunden hatten und uns ausruhen konnten. Doch die Langeweile brachte mich fast um. Ebenso der Hunger.

Vorhin hatte es für jeden zum Mittagessen den letzten Müsliriegel und jeweils einen Apfel gegeben. Meiner war vom restlichen Gepäck schon halb zerdrückt gewesen.

Ich hatte die übrigen Nudeln schon abkochen wollen, doch Noel war dagegen gewesen. „Wir dürfen unsere letzte Ration an Nahrung nicht jetzt sofort aufessen", hatte er bestimmt. „Wir werden doch heute noch gerettet", hatte ich überrascht erwidert, „für was willst du die Spaghetti horten?"
Noel hatte mich mit einem mitleidigen Blick angesehen. „Hast du einen Beweis dafür? Wir können von Glück reden, wenn sie uns überhaupt finden. Doch ob heute, morgen oder nächste Woche, das wissen wir nicht."

Niedergeschlagen hatte ich die Nudelpackung wieder weggelegt und mich mit dem Apfel zufriedengeben müssen.

Vor wenigen Minuten hatte Noel ein Kartenspiel gefunden und baute nun vorsichtig einen Turm daraus. Ich beobachtete ihn dabei und summte vor mich hin, um meinen grummelnden Magen zu übertönen. Noels zerzauste Haare fielen ihm in die Stirn und sein konzentrierter Blick galt voll und ganz einer Dame und einer Ass, die er nun mit ruhigen Händen auf den wackeligen Turm setzte.

Gelangweilt drehte ich mich zum Fenster um und stellte erschrocken fest, dass es zu schneien begonnen hatte. Millionen Flocken tanzten am Himmel und klatschten immer wieder gegen die Scheibe. Sonnenstrahlen gab es keine mehr, die Wolken hatten den kompletten Himmel eingenommen.
„Verdammte Scheiße!" Fassungslos starrte ich nach draußen.
„Wa...?", Noel sah hoch und erkannte genauso gut wie ich, dass unser Zug abgefahren war. Bei diesem Wetter würde heute kein Helikopter mehr vorbei schneien.
Wütend haute Noel mit der flachen Hand auf den Tisch. Ich zuckte zusammen.  Sein Kartenhaus war dieser Kraft nicht gewachsen und fiel in sich zusammen.

Kein Heli heute.
Kein. Verdammter. Helikopter.
Meine Augen brannten und ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sich die ersten Tränen zeigen würden. Schnell blinzelte ich einige Male.

Wie lange musste ich es hier noch aushalten? Ohne richtiges Essen, ohne jeglichen Luxus, ohne Wechselklamotten, ohne Freunde und Familie?

Ich umklammerte meine Beine und wiegte mich vor und zurück. „Ich will nach Hause", jammerte ich und schon begannen die Tränen zu fließen. Ich konnte nicht mehr. Und ich wollte auch nicht mehr.
Noels Blick huschte zu mir. „Juna...", begann er, doch ich wollte es nicht hören. „Nichts, Juna!", kreischte ich los, „ich habe keine Lust mehr auf diesen Mist! Was fällt denen ein, uns hier so hängen zu lassen?! Die sollen ihren Arsch schleunigst hier her bewegen!"
Ich hatte mich in Rage geredet. „Was sind denn das für bescheuerte Regeln? Bei schlechtem Wetter kann der Heli nicht fliegen. Sollen wir hier etwa verrecken?"

Noels Mundwinkel zuckten. Das brachte für mich das Fass zum Überlaufen. „Hör auf zu Grinsen!", schrie ich ihn an und schleuderte ihm die halb volle Plastikflasche mit voller Wucht entgegen. Mit einer schnellen Handbewegung wehrte Noel die Flasche ab. Doch endlich war ihm das Grinsen aus dem Gesicht gewischt.

„Wie k...können die nur?", heulte ich los und sackte in mich zusammen. „Ich will endlich f...fort von hier! Ich kann nicht mehr."
Von den Schluchzern geschüttelt, saß ich wie ein Häufchen Elend auf der Bank und bemerkte kaum, wie die vielen Tränen in meinen Schoß tropften.
Plötzlich war Noel an meiner Seite und zog mich zu sich heran. Ich kuschelte mich eng an ihn und drückte mein verweintes Gesicht in seinen dünnen Pulli. Ein zitroniger Duft stieg in meine Nase und schon das ließ mich ein wenig herunterkommen.

Sanft strich er mir über die Haare. Ich hörte seinen gleichmäßigen Atem.

„Wir brauchen noch ein wenig Geduld", erklärte er mit seiner tiefen, beruhigenden Stimme. „Sie werden kommen, das schwöre ich dir bei Gott."
„Aber wann denn?", schluchzte ich auf. Noel sagte nichts. Ich zog meine Beine noch enger an meinen Körper und lauschte der Stille.
Als ich schon dachte, dass er gar nicht mehr antworten würde, kam ein flüsterndes: „Bald" von ihm.

In dieser Position kauerte ich eine ganze Weile neben ihm und konzentrierte mich in Gedanken auf seine Hand, die meinen Rücken auf und ab strich. Seine Berührungen ließen mein Herz flattern, ich fühlte mich warm und geborgen und ich hoffte, dass er nie mehr aufhören würde, mich zu streicheln.
Eine ganze Weile schwiegen wir uns an. Aber es war kein bedrücktes Schweigen, eher ein gutes. So, als ob der andere wüsste, was man selbst denkt und man sich deshalb gerade nichts weiteres zu sagen hatte.

„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie froh ich bin, dass du hier bist?", flüsterte ich in die Stille hinein, ohne Noel dabei anzusehen. „Ich hätte das alles niemals allein durchgestanden."

Noel drehte den Kopf leicht zu mir hinab und auch ich hob meinen an und sah ihn direkt an. Mit seinem Daumen wischte er die letzte Träne aus meinem Augenwinkel.

„Es hört sich vielleicht makaber an", begann er und lächelte mich an, „doch ich bereue nicht, trotz der Lawine diese Wanderung mitgemacht zu haben. So habe ich dich kennengelernt. Und ich bin verdammt froh darüber."
Ich lächelte zurück, streckte meine Hand aus und berührte vorsichtig sein gebräuntes Gesicht. Fuhr an der Wange entlang zu seinem kleinen Grübchen, das er nur dann hatte, wenn er dieses eine besondere Lächeln lächelte, welches ich so an ihm mochte und blieb schließlich an seinem Mund hängen.
„Ich mag dich", gestand mir Noel, „sehr sogar." Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen, mein Kopf musste sich gerade wieder in ein Radieschen verfärben. Und doch merkte ich, wie sehr ich mich über diese Worte freute und dass es mir bei ihm genauso ging.

Ohne noch etwas zu sagen, legte ich meine Hand in seinen Nacken und zog ihn langsam näher zu mir heran. Spürte seinen Atem auf meinem Gesicht. Ich bekam eine Gänsehaut. Er war so schön. Warum hatte ich nicht schon früher bemerkt, wie schön er war?

Noch einmal blickte ich in seine lächelnden Augen, diese Augen, die mich jedes mal die Fassung verlieren ließen. Versuchte sie mir in meiner Netzhaut einzuprägen, schloss die Augen und küsste ihn.

Sofort begannen die Schmetterlinge in meinem Bauch umherzuflattern. Sie tanzten mit meinen Gefühlen einen schnellen Salsa.
Unsere Lippen waren wie füreinander geschaffen.

Noels Zunge schob sich sanft zwischen meine Lippen und ich öffnete sie zaghaft. Unsere Zungen spielten miteinander, stupsten sich zart gegenseitig an. Seine Hände hielten meinen Oberkörper umschlungen und ich nahm sein Gesicht in beide Hände. Dann wanderten sie weiter nach unten, ich bekam sein Shirt zu fassen und zog ihn näher an mich heran.

Was war mit meiner Selbstkontrolle los?

Noel drückte mein Becken gegen seines und ich konnte durch seine Jogginghose bereits seine Erektion spüren. Ich roch die Zitrone und empfand Verlangen. Verlangen und Lust nach mehr.

Scheiß auf Kontrolle!

**

Hallo, Entschuldigung, aber ich muss hier unterbrechen.
Ihr könnt euch alle denken, wie es nach diesem Kapitel weitergeht. Sollten jüngere Personen unter euch sein, die mit diesem Thema keine Erfahrung haben, wäre es klüger, sie nicht durch mein Buch zu bekommen.
Wenn ihr also eine beschriebenen Intimität nicht lesen „dürft" oder nicht lesen wollt, so bitte ich euch, das 17. Kapitel zu überspringen und beim 18. Kapitel weiter zu lesen.

Den anderen wünsche ich viel Spaß beim nächsten Kapitel☺️

Danke für eure Unterstützung ☺️❤️

Gefangen im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt