Neunzehn

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Am nächsten Morgen fuhr mich mein Dad zur Schule, weil mir Zayn schrieb, dass er erst zur dritten Stunde Unterricht hätte. Ich wollte ja mit dem Bus zur Schule fahren, aber das ließ meine Mom nicht zu, weil es „viel zu anstrengend" für mich wäre. Ich hatte irgendwie das ungute Gefühl, dass Zayn etwas Dummes vorhat. Und mein Gefühl bestätigte sich, als Kayla meinte, dass sie mit ihm jetzt in der ersten Stunde Geschichte hätte und dass der Kurs definitiv nicht ausfallen würde. Ich schrieb Zayn eine SMS, aber er antwortete nicht. Ich hatte keine andere Wahl, also ging ich mit einem faulen Gefühl in meinen eigenen Unterricht. Als ich nach der zweiten Stunde mit Kayla in den Biologieraum lief, warf ich noch einmal ein Blick auf mein Handy. Zayn hatte immer noch nicht geantwortet. Dabei hatte er doch jetzt mit uns Bio. „Und?", fragte Kayla, die meine Gedanken gelesen zu haben schien. Ich schüttelte den Kopf: „Er hat nicht geantwortet.". Sie zuckte mit den Schultern: „Komisch.".

Ja, sehr komisch. Es klingelte zur dritten Stunde und der Platz neben mir blieb leer. Ich schrieb Zayn noch vier weitere Nachrichten und schaute immer wieder auf mein Handy, aber er blieb verschollen. Ich machte mir langsam Sorgen, als wir plötzlich mitten im Unterricht ein lautes Geräusch aus dem Flur wahrnahmen. Kayla und ich sahen uns verwundert an. Es war Musik. Sie wurde lauter und wir erkannten das Lied „Barbie Girl" von Aqua. Ich fragte mich gerade, wer zum Teufel dieses Lied mitten im Unterricht und noch dazu in dieser Lautstärke hörte, als die Tür zum Bioraum aufgerissen wurde.

Es war Zayn.

In einem knappen, rosa Sommerkleid und mit einer blonden Perücke auf dem Kopf. Er hatte zwei Pom-Poms vom Cheerleading in den Händen und machte, passend zur Musik, eigenartige, hütftenkreisende Bewegungen, während er lauthals und ziemlich schräg den Text mitsang. Meine Mitschüler sprangen alle auf und grölten vor Begeisterung, alle holten ihr Handy raus und machten Fotos oder Videos. Morgen würde das Internet voll damit sein. Ich war in einer Art Schockstarre und war die einzige im Raum, die noch bewegungslos auf ihrem Platz saß und den Barbie-Zayn anstarrte.

„Zayn Walthers!", schrie unsere Lehrerin hysterisch, aber ihre Stimme drang kaum durch die Musik und die grölenden Rufe des Bio-Kurses, der inzwischen hinter Zayn eine Polonäse gebildet hat.

Zayn zwinkerte mir zu. Ich saß immer noch regungslos da.

Unsere Lehrerin schrie ihn immer noch an, aber er ignorierte sie. Erst das Klingeln, was die Unterrichtsstunde beendete, brachte Zayn dazu, die Musik auszumachen und sich zu verbeugen: „Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.".

„Du... du... du...", unsere Lehrerin war vor Wut purpurrot angelaufen und zeigte drohend mit dem Zeigefinger auf Zayn. „Ich weiß nicht, was das gerade sollte, aber deine kleine Show wird ein Nachspiel haben! Nach der Schule treffen wir uns im Direktorat! Und ich möchte einen Termin mit deinen Eltern haben!".

Vor Begeisterung immer noch grölend und jubelnd verließen meine Mitschüler den Raum und Zayn kam auf mich zu: „Was meinst du? Lenkt sie das eine Weile von dir ab?".

Ich musste lachen: „Das hast du für mich gemacht?".

„Ja, oder denkst du etwa ich hatte einfach mal Lust, mich vor dem ganzen Kurs zum Trottel zu machen?", lächelte er.

Ich sah Zayn gerührt an. Ich hatte recht, er hatte etwas Dummes vor. Aber es war gleichzeitig das Liebste, was je einer für mich gemacht hat. Er hat sich vor dem ganzen Kurs absichtlich blamiert, damit sie Fotos und Videos machen und sich die ganze Schule über ihn lustig macht. Es war ihm sicherlich total peinlich und es wird eine Weile dauern, bis er nicht mehr das Gesprächsthema der Schule ist. Abgesehen von den Konsequenzen, die er nun tragen musste. Er würde sicherlich Ärger kriegen.

„Ich habe es dir doch versprochen, Sol. Es wird etwas neues passieren.". 

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