Vierundzwanzig

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Ich verbrachte die nächsten vier Tage im Krankenhaus. Ich musste mich erkältet haben, als ich durch den strömenden Regen zum Kino rannte, denn am nächsten Tag hatte ich Fieber. Es war nichts schlimmes, aber sie behielten mich zur Beobachtung hier. Leider war in meinem alten Zimmer bei Anna das zweite Bett nicht mehr frei, sodass ich für die vier Tage ein Einzelzimmer bekam. Das war mir eigentlich sogar ganz recht, denn ich verbrachte eh den ganzen Tag damit, im Bett zu sitzen, aus dem Fenster zu starren und mich selbst zu hassen. Anna kam immer wieder in mein Zimmer und wollte mich aufmuntern, aber ich blockte ab. Ich wollte nicht reden. Mit niemanden.

„Ist es wegen Zayn?", fragte sie, als sie gerade wieder in mein Zimmer platzte und sich zu mir aufs Bett setzte. „Habt ihr euch gestritten?".

Sie würde nicht aufhören zu fragen, ehe ich es ihr erzählte, also brach ich mein Schweigen: „Wir haben Schluss gemacht. Also er hat Schluss gemacht.".

„So ein Idiot.", murmelte Anna und strich mir über den Rücken.

„Nein!", ich schüttelte den Kopf „Ich bin der Idiot. Ich habe alles versaut.".

Sie zögerte kurz, dann nickte sie entschlossen: „Wenn das so ist, dann rede mit ihm. Egal was du getan hast, es wird schon nicht so schlimm sein, dass man es nicht verzeihen kann.".

„Es ist vorbei, Anna.", ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und sah sie traurig an „Es ist vorbei.".

„Aber...".

„Es tut mir leid, Anna, aber mir ist nicht so nach Reden.", unterbrach ich sie.

„Okay.... Kommst du heute mit zur Selbsthilfegruppe? Die anderen freuen sich sicherlich, dich zu sehen.".

Ich schüttete den Kopf: „Vielleicht morgen. Aber nicht heute.".

„Bist du dir sicher? Es bringt doch nichts, hier im Zimmer zu hocken.".

Sie hatte recht, aber ich wollte trotzdem nicht, also schüttelte ich den Kopf.

„Na schön.", Anna stand auf und verließ, nachdem sie mich noch einmal prüfend angesehen hat, mein Zimmer.

Sobald ich alleine war, fing ich wieder an zu weinen. Es ging mir miserabel. Ich vermisste Zayn und hasste mich selbst dafür, dass ich es versaut hatte. Vielleicht war ich einfach nicht gemacht für langfristige Beziehungen. Vielleicht bin ich dazu nicht fähig. Ich werde allein enden, mit fünf Katzen. Dabei mag ich Katzen noch nicht einmal. 

Ich sah auf mein Handy. Zayn hatte nicht zurück gerufen. Ich hatte ihm tausend Nachrichten geschrieben, die er auch gelesen, aber nicht beantwortet hat. Ich hatte ihn angerufen, doch er ging nie ran. Er war wohl wirklich sauer und unsere Beziehung endgültig im Eimer. Vermutlich wusste er nicht einmal, dass ich im Krankenhaus war. Ich wollte es ihm schreiben, habe den Text aber nicht abgeschickt, sondern wieder gelöscht. Es klang armselig. Wie ein verzweifelter Versuch, dass er mit mir redet. Als wäre ich nur deshalb im Krankenhaus. Wenn ich es ihm geschrieben hätte, dann würde er zurückrufen, da bin ich mir sicher. Er würde sich Sorgen machen und wissen wollen, ob es mir gut ginge.

Am Nachmittag kamen meine Eltern und Geschwister. Meine Mom war sehr besorgt, weil es mir nicht gut ging und sie es auf die Erkältung schob. Meine depressive, selbsthassende Stimmung machte ihr irgendwie Angst. Um sie zu beruhigen, erzählte ich ihr von Zayn. Nur dass wir uns getrennt hatten, nicht warum. Sie fragte nach, aber ich meinte, dass ich nicht darüber reden wollte. Sobald sie wieder gegangen sind, kam Kayla. Und ich musste ehrlich gesagt sagen, dass sie die einzige war, die ich im Moment sehen wollte. Als ich ihr alles erzählt hatte, ging es mir schon viel besser.

„Soll ich ihm bescheid sagen?".

Ich sah sie fragend an: „Wen meinst du?".

„Na Zayn. Soll ich ihm sagen, dass du im Krankenhaus bist?".

Ich schüttelte den Kopf: „Lieber nicht.".

„Er wird es bestimmt wissen wollen.", erwiderte sie „Und dann könnt ihr reden.".

„Ich denke nicht, dass er reden will.".

„Und ich denke nicht, dass das das Ende ist. Er wird etwas Zeit brauchen, weil er verletzt ist, aber dann wird er dir verzeihen, so wie du ihm verziehen hast, als ihr euch auf der Party gestritten habt.".

„Das war damals etwas anderes.", murmelte ich traurig und sprach dann das aus, worüber ich schon die ganze Zeit nachdachte: „Vielleicht ist es besser so, Kayla. Ich habe eine schlechte Prognose und wenn wir nicht mehr zusammen sind, dann leidet er nicht so.".

Kayla sah mich ein paar Sekunden lang verwirrt an, dann riss sie erschrocken die Augen auf: „Sag das nie wieder, Sol! Und denk das auch nie wieder.".

„Aber es ist doch wahr. Ich weiß das, du weißt das und Zayn weiß das auch. Wenn der Krebs mich irgendwann besiegt, dann werden alle in meinem Umfeld leiden. Du wirst leiden, meine Eltern werden leiden, Julie und Grayson. Und wären Zayn und ich noch zusammen, dann würde er auch leiden. Je weniger Leuten ich wichtig bin, desto weniger werde ich verletzen.".

„Denkst du wirklich so, Sol?", fragte Kayla traurig „Ich will das nämlich nicht hören. Es klingt, als hättest du mit deinem Leben abgeschlossen. Aber weißt du was? Theoretisch könnten wir immer diese Einstellung haben. Ich könnte morgen schon von einem Auto überfahren werden. Vielleicht sollte ich also lieber die Freundschaft mit dir kündigen und irgendwo ins Ausland auswandern, damit mein Tod so wenig wie möglich Menschen verletzt.".

„Das ist nicht das selbe, Kayla.".

„Doch.", erwiderte sie streng „Das ist genau das selbe. Jeder von uns stirbt irgendwann. Das kann morgen sein, in einem Monat, einem Jahr, zehn Jahren oder in achtzig Jahren!".

Sie hatte recht. Natürlich hatte sie das. Außerdem ging es mir doch super. Nach der Chemotherapie hatte ich nicht einmal mehr Atemnot. Wenn ich nicht wüsste, dass ich Krebs hätte, dann würde ich es an meinem gesundheitlichen Zustand nicht merken.

„Eigentlich sind wir den gesunden Menschen sogar im Vorteil.", Kayla und ich sahen zu Anna, die gerade zur Tür herein kam. „Durch unsere Krankheit wird uns unsere Sterblichkeit erst richtig bewusst. Wir genießen das Leben mehr. Wir leben im Hier und Jetzt. Eigentlich könnte man sogar sagen, dass wir ein erfüllteres Leben führen.".

Das, was sie sagte, war traurig und schön zu gleich. Und vielleicht war es auch wahr. 

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