Neunundzwanzig

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Ich lief den weißen Krankenhausflur entlang in das Zimmer, das Anna und ich uns früher geteilt haben. Meine Mom ist schon runter in die Cafeteria, sie wollte sich dort einen Kaffee kaufen und auf mich warten. Ich war bester Laune. Ich durfte wieder tanzen und würde schon bald mein altes Leben wiederhaben! Und ich war momentan auch recht zuversichtlich, dass sich mit Zayn alles klären würde. Ich musste mich beherrschen, nicht auch noch anzufangen zu pfeifen, denn ich wurde sowieso schon schräg angeguckt, dass ich hier wie ein Honigkuchenpferd grinsend durch die Onkologie hopste.

Meine Euphorie wurde jedoch stark gedämpft, als ich die Tür von Annas Zimmer aufriss und sie in ihrem Bett liegen sah. Sie war schneeweiß und war an eine Infusion angelegt, die sie mit irgendeiner durchsichtigen Flüssigkeit versorgte. Ihre Augen waren trüb und matt, nicht so strahlend wie sonst, wobei sie kurz freudig aufblitzten, als sie mich sah: „Hey, Sol!". Ihre Stimme klang dünn und kratzig. Ich hab sie doch erst letzte Woche gesehen, als ich für vier Tage im Krankenhaus war, da ging es ihr noch gut!

„Oh Gott, Anna, was ist denn mit dir?", fragte ich besorgt und lief zu ihrem Bett.

„Es ist alles okay, ich-".

„Solea!", wurde sie von meinem Arzt unterbrochen, der gerade im Flur vorbei lief und durch die Tür sah, die ich vor Schreck wohl offen gelassen habe. „Komm da raus, du kannst Anna im Moment nicht sehen.".

„Was? Aber ich...", stotterte ich verwirrt.

„Du könntest dich anstecken!", erwiderte er schroff. Anstecken? Soweit ich weiß, war Leukämie jawohl nicht ansteckend.

„Tut mir leid.", ich sah Anna entschuldigend an „Ich ruf dich nachher an, okay?".

Sie nickte lächelnd und ich eilte nach draußen zu meinem Arzt, der die Tür hinter mir schloss. „Anna hat eine schwere Infektion.", erklärte er mir und sah mich streng an „Du könntest dich anstecken.".

„Eine Infektion?", fragte ich erschrocken „Ist das denn schlimm?".

Der Arzt seufzte: „Wie du ja weißt hat Anna eine chronische myeloische Leukämie. Sie befindet sich gerade in der sogenannten Blastenphase, in der sich die weißen Blutkörperchen im Knochenmark sehr stark vermehren und ins Blut ausgeschwemmt werden. Der hohe Anteil an Blasten, das sind nicht ausgereifte, funktionslose weiße Blutkörperchen, ist sehr hoch, wodurch der Körper kaum noch in der Lage ist, sich gegen Krankheitserreger zu wehren.".

"Und ist die Infektion schlimm?", wiederholte ich meine Frage.

"In ihrem Zustand ist jede Infektion schlimm. Ihr Körper kann sich kaum noch gegen Krankheitserreger wehren. Und auch dein Körper hat es schwierig, wenn du dich bei ihr ansteckst, also halte dich von ihr fern, bis es ihr wieder besser geht okay?!".

„Aber sie wird wieder gesund, oder?", fragte ich vorsichtig. Die Warnung, dass ich mich anstecken könnte, ignorierte ich völlig. Er interessierte mich nicht, was mit mir und mit meinem Körper war. Ich wollte wissen, wie es Anna ging! 

Der Arzt seufzte erneut, wodurch ich sofort eine Gänsehaut bekam, denn ich habe mittlerweile bemerkt, dass er immer seufzte, bevor er schlechte Nachrichten überbrachte.

„Solea, deine Freundin hat Leukämie im Endstadium. Sobald die Infektion abgeheilt ist, werden wir sie entlassen, damit sie noch ein paar schöne Wochen bei ihrer Familie verbringen kann.". 

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