Zweiundfünfzig

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Zayn muss gefahren sein wie ein Irrer, denn er war in Rekordzeit bei uns im Krankenhaus. Als er noch einmal anrief, um nach der Zimmernummer zu fragen, verließ ich kurz den Raum, um im Flur auf ihn zu warten. Als er mich sah, rannte er sofort zu mir und nahm mich in den Arm. „Danke.", schluchzte ich leise und krallte mich in den Stoff seines Pullovers. „Danke, dass du gekommen bist.".

„Ist doch selbstverständlich.", flüsterte er, strich mir über die Wange und küsste mich auf die Stirn. Dann nahm er meine Hand und drückte sie fest, als wir uns umdrehten und zurück in Annas Zimmer liefen.

„Hey, Romeo.", begrüßte ihn Anna und zwang sich zu einem Lächeln.

„Hi.", grüßte er leise zurück und tätschelte ihr freundschaftlich die Schulter. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass auch er sehr traurig war. Obwohl er mit Anna noch nie besonders viel zu tun hatte, schien sie ihm auch irgendwie ans Herz gewachsen zu sein.

„Ich bin Zayn, Soleas Freund.", stellte er sich Annas Eltern vor, die ihn freundlich, aber leicht verwirrt ansahen.

„Freut uns, dich kennenzulernen.", die Stimme von Annas Mom klang immer dünner und ihre Augen schimmerten glasig, sodass ich fürchtete, sie könnte gleich wieder in Tränen ausbrechen. Auch ich war kurz davor, wieder zu weinen, aber ich riss mich zusammen. Für Anna. Wenn wir alle weinen würden, wäre es nur noch schlimmer für sie.

Ich weiß nicht genau, wie lange wir bei Anna blieben, aber am späten Nachmittag beschloss ich widerwillig, dass es wohl das Beste wäre, nach Hause zu fahren, um Annas Eltern noch ein bisschen mehr Zeit allein mit ihrer Tochter zu gewähren. Ich verabschiedete mich schweren Herzens von ihr und versprach, morgen wieder zu kommen.

„Was denkst du, wie lange hat sie noch?", fragte ich traurig, als Zayn und ich über den Parkplatz des Krankenhauses liefen, um zu seinem Auto zu gelangen.

„Ich weiß es nicht, Sol.", erwiderte er leise und drückte meine Hand noch etwas fester.

Wir liefen schweigend zu seinem Auto und stiegen ein. Ich schnallte mich an, atmete tief durch und sah zu Zayn. „Kannst du heute bei mir schlafen?", fragte ich und sah ihn bittend an „Ich... ich möchte nicht alleine sein.".

„Natürlich.", er beugte sich zu mir und küsste mich „Keine Angst, ich lass dich nicht allein.".

Zayn hielt sein Versprechen und wich mir die nächsten drei Tage und Nächte nicht von der Seite. Er blieb über Nacht bei mir und tagsüber gingen wir beide nicht zur Schule, sondern zu Anna ins Krankenhaus. Mom machte sich große Sorgen um mich, aber sie hielt sich zurück. Sie wusste, dass Zayn für mich da war und dass sie im Moment nichts weiter für mich tun konnte. Im Moment lebte ich einfach in Angst. Ich wage es kaum zu schlafen und wenn doch, dann schrecke ich meist nach kürzester Zeit wieder hoch, um panisch auf mein Handy zu schauen.

So auch diese Nacht. Kurz vor Mitternacht wachte ich wieder auf, setzte mich ruckartig hin und griff nach meinem Handy. Kein Anruf, keine Nachricht. Erleichtert atmete ich aus. „Alles okay?", murmelte Zayn neben mir, der ebenfalls wach geworden ist. Ich nickte und legte mein Handy wieder auf die kleine Kommode neben meinem Bett. „Tut mir leid, dass ich dich schon wieder geweckt habe.", entschuldigte ich mich und ließ mich zurück in mein Kissen sinken. „Ist doch kein Problem.", er legte seinen Arm um mich und zog mich näher an sich. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und er begann, beruhigend über meinen Rücken zu streicheln. Das gleichmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs und die kreisenden Bewegungen über meinem Rücken sorgten dafür, dass ich tatsächlich wieder einschlief.

Bis mein Handy klingelte. 

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