Die letzten Jahre

163 10 41
                                    

Manu
...
„Beim nächsten Lied führ ich dann aber." Lachend nickte er. „Nagut."

Tim
„Manu wurde schwer krank. Er verlor immer häufiger das Bewusstsein, hatte ständig mit Kopfschmerzen zu kämpfen und wurde immer vergesslicher. Irgendwann schafften wir es, ihn davon zu überzeugen, zum Arzt zu gehen. Krebs. Genauer gesagt ein Hirntumor. Das erstaunliche daran: der Tumor war gutartig und trotzdem bereitete er extreme Probleme. Er musste regelmäßig zu Kontrollen. Patrick begleitete ihn oft und wir waren eigentlich alle voller Hoffnung. Irgendwann verschlimmert sich jedoch Manu's gesundheitliche Lage. Der Tumor wuchs immer und immer weiter. Dabei drückte er auf das Hirngewebe und da dieses aufgrund des harten Schädelknochens nirgendwo hin ausweichen konnte, erhöhte sich der Hirndruck und für Manu wurde es lebensgefährlich. Die einzige Chance ihn noch zu retten war eine sehr riskante Operation. Wir hatten alle Angst. Patrick und Manu beschlossen sich komplett von den sozialen Medien zurückzuziehen und auch Freddie und ich legten eine Pause ein. Es war unerträglich. Wir wussten, dass es die einzige Chance war Manu zu retten, doch gleichzeitig könnte ihn die Operation auch umbringen. Patrick und Manu führten oft sehr lange Gespräche, doch eigentlich war die Entscheidung schon längst gefallen. Manuel würde sich operieren lassen.

Bevor es losging, verbrachten wir viel Zeit zusammen. Wir redeten, zockten irgendwas oder waren einfach nur beieinander. Wenn wir nicht zusammen waren, verschanzten sich Patrick und Manu in ihrer Wohnung. Auch sie redeten viel, zockten etwas zusammen, um sich abzulenken oder lagen eng aneinander gekuschelt im Bett oder auf dem Sofa.

Dann war es soweit. Wir begleiteten Manu alle ins Krankenhaus und Patrick blieb so lange bei ihm, bis er von den Ärzten weggeschickt wurde, da er nicht mit in den Operationsbereich durfte. Ich werde nie vergessen, wie sie sich mit Tränen in den Augen küssten und sagten, wie sehr sie sich lieben. Ich hielt es kaum aus die beiden so zu sehen und kämpfte ebenfalls mit den Tränen.

Die nächsten Stunden waren der reinste Horror. Die kalten blauen Plastikstühle im Wartebereich wurden von Minute zu Minute unbequemer. Irgendwann hielt Patrick es nicht mehr aus und ging  auf und ab. Sobald ein Arzt vorbeikam hielt er diesen an und erkundigte sich, wie lange die OP von Manu noch dauern würde und ob es ihm gut ginge. Ein Großteil der Ärzte hatte aber nichts mit der Operation von Manu zu tun und sie konnten somit auch keine Antworten geben. Wenn Palle aber einen Arzt erwischte, der gerade in den OP-Saal von Manu wollte oder herauskam, dann war die Standartantwort, dass es noch eine Weile dauern würde und er sich keine Sorgen machen solle. Jedesmal wenn der Arzt dann wieder weg war, fuhr er sich durch die Haare und lief weiter durch den Raum. Ab und zu sah er mit nervösen Blick zur Uhr, setzte sich für eine kurze Zeit hin und ging dann wieder in Raum auf und ab. Wir versuchten ihn zu beruhigen, doch er schien uns nicht wirklich wahrzunehmen, weshalb wir es irgendwann aufgaben.

Wieder öffnete sich die schwere Tür und wieder richteten sich sofort alle Blicke auf sie. Ein Arzt trat hindurch und kam direkt auf uns zu, während er seinen Mundschutz entfernte. Wie von der Tarantel gestochen, sprang Patrick auf und ging dem Arzt entgegen. Freddie und ich standen ebenfalls auf und begaben uns zu den Beiden. Auch Emilie, welche irgendwann dazukam, sah nervös zum Arzt und wartete darauf, dass dieser etwas sagen würde.

Er berichtete uns von der Operation. Wie zu erwarten war, war es ein sehr komplizierter und risikoreicher Eingriff. Tatsächlich kam es zu einigen Komplikationen. Manu lag im Koma. Es war nicht sicher, ob er jemals wieder seine Augen öffnen würde. Der Arzt hatte wenig Hoffnung, wollte aber, dass wir ihn noch nicht aufgaben und abwarten. Wir waren geschockt. Patrick brachte kein Wort mehr heraus. Er schien wie eingefroren, starrte mit weit aufgerissenen Augen den Arzt an. Emilie bedankte sich, dafür, dass die Ärzte nicht aufgegeben haben und ihr bestes gegeben hatten, doch auch sie brachte nur schwer ein Wort über die Lippen. Ich krallte mich an Freddie. Dieser schlang ebenfalls geschockt seinen Arm um mich, doch zog gleichzeitig auch Patrick mit in die Umarmung, während ich Emilie ranholte. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so da standen. Arm in Arm. Patrick löste sich als Erster. Er wollte unbedingt zu Manu. Verständlich. Wir machten uns auf den Weg zum Zimmer, dessen Nummer uns der Arzt vorher nannte. Patrick lief sehr hektisch und aufgeregt. Als wir das Zimmer betraten, stürzte er sofort zu Manu ans Bett. Er umarmte ihn so gut es ging, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und einen kurzen auf die Lippen. Dann ließ er sich auf einem Stuhl nieder, welchen ich ihm zurecht stellte und griff nach Manu's Hand. Wir stellten uns zu ihm. Emilie hatte Manu ebenfalls umarmt und auch wir drückten ihn vorsichtig. Er wirkte so friedlich. So, als würde er schlafen und dabei an etwas schönes denken, doch die Kabel und Geräte, an welche er angeschlossen war, verrieten etwas anderes. „Wir schaffen das. Du schaffst das." hauchte Patrick. Er beobachtete ihn lächelnd, hatte aber Tränen in den Augen. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass man ihm seine Angst ansah. Wir hatten alle Angst, doch auch große Hoffnung. Manu wird das schon schaffen.

Nur weil du schwul bist?! || KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt