Teil 55 Wenn es Tag wird ...

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Dieses Kapitel ist aus der Sicht von Carol geschrieben.

Als ich langsam wach wurde, dämmerte es gerade draußen. Blinzelnd streifte mein Blick den Wecker auf meinen Nachtisch. Es war erst kurz nach 5 Uhr. Noch viel Zeit zum Schlafen, denn es war Samstag, Wochenende.
Draußen hörte ich eine Amsel munter singen und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. In meiner Armbeuge, sich an mich kuschelnd, schlief Sam. Ich spürte ihre Wärme an meinem Körper, hörte ihren Atem und nahm ihren ganz eigenen Duft wahr - eine angenehme Mischung aus Zitrone, Kräutern und Sam. Ganz bewusst atmete ich ihn nochmals tief ein um ihn nie wieder zu vergessen und ihn in meinem Gedächtnis aufzubewahren. Ihre Haare kitzelten mich dabei an meiner Nase und gerade noch so konnte ich ein Niesen unterdrücken. Verträumt fuhr ich vorsichtig durch ihr weiches, helles Haar. Wir hatten die ganze Woche zusammen verbracht und sie war so schnell vorüber gegangen. Ich war froh zu sehen, dass es ihr mit jedem Tag besser ging.
Es war das erste Mal, dass ich eine Zeitlang mit einer anderen Frau zusammen lebte, wenn bisher auch nur für ein paar Tage und ich bedauerte, dass die Woche sich dem Ende zu neigte. Ich hatte bei keiner anderen Frau diesen Gedanken je in Erwägung gezogen, ja beinahe eine gewisse Angst davor verspürt. Doch in den letzten Tagen hatte ich richtig Gefallen daran gefunden und ertappte mich dabei, wie ich es mir sogar richtig offiziell, auf Dauer vorstellte und überraschte mich damit selbst. Es war ungewohnt nach der Arbeit in eine sonst leere, stille Wohnung heim zu kommen und stattdessen das Klacken ihrer Tastatur zu vernehmen oder zu hören, wie sie sich in der Küche am Essenkochen versuchte und dabei ein Lied vor sich hersummte. Ich fand es schön, sehr sogar. Mit ihr war es irgendwie ganz und gar anders. Alles war anders mit ihr.

Sam riss mich aus meinen Gedanken als sie im Schlaf tief aufseufzte. Sie zog ihre Stirn nachdenklich kraus. Das tat sie oft, wenn sie angestrengt nachdachte oder sich auf etwas konzentrierte. Ich hatte sie dabei beobachtet, als sie an ihrem Laptop saß, ganz in ihre Arbeit vertieft, ihre Umwelt dabei kaum wahrnehmend. Zärtlich strich ich über ihre Stirn. Doch plötzlich spürte ich, wie sich ihr Körper versteifte und sie darauf zu zittern begann. Wovon sie wohl gerade träumte? Gegen welche Gespenster kämpfte sie an?
Sie atmete schneller und ihre Lippen schienen vor Aufregung zu beben. Ich schloss meinen Arm etwas enger um sie, streichelte immer wieder über ihre Wange und flüsterte ihren Namen. Sie drängte sich im Schlaf noch näher an mich und ich hielt sie fest. Das schien sie tatsächlich nach einer Weile zu beruhigen. Bald hörte ich wieder ihren ruhigen Atem und die Anspannung hatte sich gelöst. Doch etwas beschäftigte sie und ließ sie nicht los. Nachdenklich ließ ich mein Hand über ihren Arm gleiten, der quer über meiner Brust lag. Sam trug ein Geheimnis mit sich herum, etwas, dass sie sehr belastete und nicht los ließ. Sie musste etwas schlimmes erlebt haben, dessen war ich mir seit gestern Abend sicher, als wir zu meinem Vater zum Essen fuhren. Bereits den ganzen Nachmittag war sie ziemlich schweigsam gewesen und dann furchtbar blass in mein Auto gestiegen. Ich dachte erst, dass sie vielleicht eine Erkältung ausbrüten würde, aber als ich das Zittern ihrer Hände bemerkte, welches sie versuchte vor mir zu verstecken, sah, wie sie ihre Zähne aufeinander presste und ihre Halsschlagader am Hals verräterisch pulsierte, war ich mir sicher, dass da etwas nicht stimmte.  Ich machte mir Vorwürfe, dass es mir nicht eher aufgefallen war. Genauso hatte sie auch reagiert, als ich sie vom Krankenhaus abholte und wir heim fuhren. Doch ich hatte es auf den Schock und ihre Schmerzen vom Unfall geschoben. Ich hatte nachfragen wollen, aber Sam hob nur abwehrend die Hand. Sie wusste also, was mit ihr los war. Die ganze Fahrt über sprachen wir kein Wort, nur das Radio dudelte vor sich hin. Immer wieder schaute ich besorgt zu ihr. Sie hatte ihre Arme vor sich verschränkt und die Augen geschlossen. Als wir unser Ziel erreicht hatten und der Motor verstummte, hörte ich ein leises Aufatmen. Dann trafen sich unsere Blicke. Ich fragend, sie betroffen.
"Es tut mir leid." murmelte sie und sprang förmlich aus dem Auto. Verloren stand sie am Gehweg und wartete auf mich. Ich trat zu ihr und ergiff ihre klammen Hände ohne etwas zu sagen. Doch sie verstand meine Gäste und nickte mir kaum merklich mit einem unsicheren Lächeln zu. Nervös zupfte Sam an ihrem Shirt. "Oh man, ich bin total verschwitzt. Was wird dein Vater nur von mir denken?" Ich hatte eine Idee und ging zum Kofferraum. Mit einem zufriedenen Grinsen hielt ich ihr ein frisches Oberteil hin. "Ich habe immer etwas zum Wechseln im Auto, falls in der Schule mal ein Unfall passiert." Ihr Blick sprach Bände. Ermutigend nahm ich ihre Hand und wir gingen zur Haustür. Mein Vater erwartete uns schon und drückte jeden von uns herzlich an sich. Darauf zeigte ich ihr das Bad.
Der Nachmittag und der Abend verliefen gut. Ich merkte, wie die Aufregung immer mehr von ihr abfiel. Mein Vater hatte sie schon längst ins Herz geschlossen. Er erzählte von seiner Weltreise und wir schauten Bilder. Seine angenehme und offene Art machte es Sam leichter aus sich heraus zu gehen und ich sah den beiden mit einem unbekannten Glücksgefühl zu, als sie über Kinderbilder von mir lachten, die mein Vater ihr unbedingt zeigen musste. Es war das erste Mal, dass ich eine Freundin von mir mit gebracht hatte.

Es war schon weit nach Mitternacht als wir uns auf den Heimweg machten. Sam hatte mit meinem Vater Wein getrunken und ich hoffte, dass ihr damit die Fahrt leichter fallen würde. Aber ich spürte, wie sie neben mir unter unheimlichen Stress stand. So oft es ging, suchte meine Hand ihr Knie um sie dadurch zu beruhigen. Als wir ankamen, blieben wir schweigend im Auto sitzen. Würde Sam mit mir sprechen? Wir mussten unbedingt reden, denn ich wollte wissen, was mit ihr los war. Anscheinend merkte sie mir meine Erwartung an. Sie sah mich einen Augenblick wortlos an. Es kam mir vor als rang sie mit sich, nach den richtigen Worten suchend. "Carol?" Ich horchte auf. "Können wir morgen reden? Ich bin müde."

Nun lag sie hier in meinen Armen, ganz nah bei mir, sorgte dafür, dass mein Herz schneller klopfte und mir ganz anders dabei wurde. Meine kleine Schriftstellerin, meine Sam - was war nur passiert? Diesmal war es wohl meine Stirn, die in Falten lag. Noch eine Weile ruhte mein Blick nachdenklich auf ihr, während ich ihren Duft einatmete und ihre Wärme spürte.
Draußen ging die Sonne auf, ein neuer Tag erwachte und die Amsel sang immer noch ihr Morgenlied.

Alles was bleibt ... | girlxgirl teacherxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt