Teil 61 Der Brief

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Ein Feuer breitete sich in meiner Brust aus und verunsicherte mich. Wie erstarrt lag ich da, rührte mich nicht und hatte Schwierigkeiten normal weiter zu atmen. Und für einen kleinen winzigen Moment wünschte ich mir, sie hätte es nicht ausgesprochen:

"Ich liebe dich."

Ihre Worte spukten noch immer in meinem Kopf umher, selbst als ich an Carols Atmen merkte, dass sie eingeschlafen war. Drei Worte - waren sie jetzt gut oder schlecht für mich, für uns? Ich hatte keine Ahnung. Da war soviel Wirrwarr in meinem Kopf. Mein Herz brannte noch immer. Drei Worte, die mich noch mehr ins Chaos stürzten.  Verunsichert legte ich meine Hand auf die ihre, die noch immer auf meinen Bauch ruhte. Durcheinander schloss ich die Augen, versuchte in mich hinein zu hören. Eigentlich fühlte es sich ganz gut an und doch sträubte sich etwas in mir dagegen. Tief atmete ich aus und wieder ein, aber das nahm mir nicht die Enge in meiner Brust.
Carol hatte es zu mir gesagt in der Meinung, ich würde bereits schlafen. Also beschloss ich für mich es zu ignorieren. Ich würde so tun, als hätte ich es nicht gehört und mit diesem Entschluss gelang es mir schließlich nach all den Erinnerungen, Verletzungen und Verwirrungen des Tages endlich in den Schlaf zu kommen.

Pünktlich 6 Uhr klingelte mein Wecker. So erschlagen hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Carol schien es ähnlich zu gehen. Sie stöhnte erschöpft auf und musste herzzerreißend gähnen. "Dein 1. Arbeitstag." bemerkte sie und hauchte mir einen Kuss in meinen Nacken, der ein Prickeln auf meiner ganzen Haut verursachte. "Und du gehst heute auf Klassenfahrt?" fragte ich ein wenig betrübt zurück. "Schullandheim." murmelte sie. Ihre Begeisterung hielt sich stark in Grenzen. "Die ganze Woche." Ein leises Seufzen entwich ihr. Carol strich meine Haare zur Seite und schenkte mir noch ein paar Küsse. Ihre Umarmung war so warm und voller Geborgenheit. "Ich würde jetzt viel lieber hier bei dir bleiben, den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen oder gleich die ganze Woche." Auch wenn ihr Gesicht nicht sah, wusste ich, dass sie gerade lächelte. Liebevoll griff ich ihre Hand, führte sie zu meinem Mund und drückte meine Lippen wie einen Stempel auf ihre Haut. "Das wäre schön." gab ich zu und allein der Gedanke zauberte mir ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht. Ich drehte mich zu ihr um, so dass sich unsere Gesichter ganz nah kamen. Mit meinem Zeigefinger strich ich über ihre Stirn und erkundete zärtlich ihre Wangen, ihren Mund und ihr Kinn, als wäre es das erste Mal. "Ich werde dich sehr vermissen." gestand ich. "Ich weiss. Mir wird es nicht anders gehen." Für einen Moment gab es nur uns beide und wir versanken jeweils in den Augen des anderen. Doch uns blieben nur wenige Sekunden bis der Wecker erneut klingelte. Mir blieb keine andere Wahl. Wenn nicht jetzt, würde ich es heute überhaupt nicht mehr schaffen. Ich küsste sie kurz und intensiv, wand mich ab und sprang aus dem Bett.

Die Woche verging wie im Flug. Carol war mit ihrer Klasse sehr eingespannt und ich musste Überstunden schieben, weil eine Kollegin krank geworden war. Ich war froh darüber, denn die viele Arbeit lenkte mich von meinen Eltern und Carols heimlicher Liebeserklärung ab, die mir noch immer durch den Kopf spukte und ein unangenehmes Ziehen in meiner Magengegend verursachte.
Und doch - ich vermisste sie, mehr als ich es mir eingestehen wollte. Bei jeder Nachricht von ihrer lächelte nicht nur mein Mund. Meine Hand suchte sie in der Nacht und die Sehnsucht übermannte mich oft unverhofft bei vielen unzähligen Gelegenheiten.

Am Freitag konnte ich nicht schnell genug aus dem Büro kommen. Carol wollte mich am frühen Abend abholen. Mehr hatte sie mir nicht verraten. Ich stand gerade im Bad als es klingelte. Mein Herz setzte kurz aus. Schnell drückte ich den Türöffner, eilte in mein Schlafzimmer und suchte ein neues Oberteil heraus. Gleich würde ich meine Liebste in die Arme schließen und mit Küssen voller Sehnsucht begrüßen. Immer mehr beschleunigte mein Puls bei dem Gedanken an sie. In Rekordzeit hatte ich mir ein Poloshirt übergezogen und öffnete voller Euphorie die Wohnungstür. Beinahe hätte ich vor Schreck aufgeschrien, denn statt Carol stand ein junger Mann vor mir. "Na, sie haben jetzt aber jemanden anderen erwartet." grinste er. Gleichzeitig überreichte er mir einen Brief und bat um eine Empfangsbestätigung. Ich konnte mir nicht vorstellen, was so wichtig sein könnte, dass es mir mit Einschreiben Übergabe zugestellt werden musste. Ich gab der Tür einen Schubs und ging  in Gedanken versunken in die Küche. Dabei achtete ich nicht darauf, dass sie überhaupt nicht ins Schloss fiel.

Grübelnd lehnte ich mit dem Rücken zur Arbeitsplatte und starrte auf den weinroten Umschlag in meinen Händen als mich plötzlich eine Stimme aus den Gedanken riss: "Da bin ich mal ein paar Tage nicht da und schon hältst du einen Liebesbrief von jemand anderen in der Hand."
Wieviel solcher Schrecken kann ein Mensch an einem Tag überleben? Carol stand in der Küchentür und musterte mich mit ernsten Blick und strenger Miene. Mein Herz rutschte tiefer und tiefer, während meine Wangen glühten. "Nein, ich, dass ist nicht, ich ...." stotterte ich herum. Alle Worte schienen sich in meinem Kopf zu einer großen Chaoskugel zu verbinden, denn nichts sinnvolles kam mir mehr über die Lippen. "Das ist, ich weiß nicht, nein, nicht, also..." Heiß brannte der Brief in meinen Händen. Ich gab auf und senkte meine Arme. "Carol." flüsterte ich hilflos.

Alles was bleibt ... | girlxgirl teacherxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt