Teil 56 Herzschlag

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Ich war schon eine Weile wach, wollte aber meine Augen nicht öffnen. Zu schön war der Augenblick hier in Carols Armen zu liegen, ihre Wärme, ihren Duft in mich aufzunehmen und ihren beruhigenden starken Herzschlag zu hören. Hier war ich sicher, hier konnte mir nichts passieren. Ich versuchte  mich zu erinneren, wann ich das letzte Mal so empfunden hatte, doch es gelang mir nicht.
Irgendwo trällerte eine Amsel ihr Lied und ich spürte, wie Carol immer wieder ganz sanft über meinen Arm streichelte und mir einen Kuss auf die Stirn hauchte. Könnten wir nicht ewig so hier liegen bleiben - träumend, schweigend und einfach vergessen?

Wenn ich an den gestrigen Tag zurück dachte, stieg eine innere Unruhe in mir auf, ein seltsames Unbehagen mich erklären zu müssen, alles Preis zu geben und die Angst davor, dass sie es nicht verstehen würde. 
Ich wollte nicht in die Vergangenheit zurück gehen, mich erinnern an das Erlebte, den Schmerz und den Verlust. Stattdessen hatte ich gehofft, ich könnte vergessen. Ich wünschte mir nichts mehr als endlich nach vorne zu schauen. Neu anzufangen mit Carol, die zweite Chance zu nutzen, die ich hier bekam. Aber vielleicht würde dies nie möglich sein. Verdiente ich dieses Glück überhaupt?

Die Erinnerung überkam mich, bäumte sich auf, wie eine riesige Felswand und drohte über mir einzustürzen, genauso wie der Gedanke an diese Schuld, die ich stets mit mir trug. Er wurde größer und größer bis er mich fast zu erdrücken schien. Wie ein schwerer Stein auf meiner Brust und ich spürte, wie er mich mit sich riss, hinunter in die Tiefe, in die Dunkelheit. Mein Herz schlug heftig, schmerzhaft, als versuchte es sich dagegen zu wehren und ich hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Bilder überfluteten mein inneres Auge, wie in einem Traum war ich gefangen.

Jemand rief meinen Namen und wie befreit und erschrocken zugleich riss ich meine Augen auf. Als ich in Carols warme, braune Augen blickte, fühlte ich einen Anflug von Erleichterung. Mein Hals war furchtbar trocken und ich holte tief Luft, als hätte ich die ganze Zeit den Atem angehalten. Sie strich mit ernstem, besorgten Blick über mein Gesicht.  Noch immer raste mein Herz und ich wünschte mich weit weit weg und doch genau hier her in Carols Arme.
"Wie wäre es mit einem guten Tee?" fragte sie mit einem unglaublich süßen Lächeln auf den Lippen, so dass ich für einen winzigen Augenblick alles um mich herum vergass.
Bevor sie aufstand, schenkte sie mir noch einen kurzen Kuss. Zu gern hätte ich mehr davon gehabt. Aber die laute Sirene eines vorbei rasenden Krankenwagens ließ mich erschocken zusammen fahren und holte mich ganz schnell in die Realität zurück.
Ich sah Carol nach, wie sie das Zimmer verließ und war dankbar über die paar Minuten, die sie mir allein überließ. Ich musste mich aufsetzen. Immer noch aufgewühlt, zog ich die Knie an mich und umschlang verloren meine Beine. Da waren wieder diese Lichter gewesen, die auf mich zu schossen und in meinem Inneren wusste ich genau, dass sie nicht von meinem Fahrradunfall stammten. Sondern sie kamen von weit her, aus meiner Vergangenheit.

Stumm nahm ich Carol die Tasse Tee ab, schloss die Augen und inhalierte den aufsteigenden Dampf, in der Hoffnung ein wenig innere Ruhe zu finden. Auch wenn sie nichts sagte, fühlte ich mich dennoch unter Druck ihr mehr zu erzählen. Doch war ich auch schon bereit dafür? Würde ich es jemals sein? Ich stellte den Tee auf den Nachttisch und umfasste wieder meine Knie, um den Halt nicht zu verlieren. Sollte man nicht einander vertrauen und offen zueinander sein in einer Beziehnung? Ich beschloss, dass es an der Zeit war über meinen Schatten zu springen und ihr eine ehrliche Antwort zu geben. Nervös zupfte ich an meinem Zeigefinger und suchte nach den richtigen Worten, die schon längst darauf warteten, endlich ausgesprochen zu werden. Liebevoll legte sie ihre Hand auf meine und wartete einfach ab. Ich kam mir vor wie ein Idiot, wieder einmal. Wovor hatte ich nur Angst? War es denn wirklich so schwer? 

"Ich hatte schon einmal einen Unfall,..." Stille. Der Anfang war getan. Ich holte tief Luft bevor ich weiter sprach. "..., vor einigen Jahren." Meine Kehle war rauh und brannte als ich überlegte einen Schluck von dem Tee zu trinken, ließ es dann aber sein. "Ich war damals Beifahrer und seitdem ..." Die Worte, eben noch so klar in meinem Kopf stoben durcheinander und sorgten dafür, dass ich ins Stocken geriet. Ein Schauer lief mir über den Rücken und drang tief in mich ein. Ich spürte wie mein Herz erzitterte. Nur noch ein Satz - sagte ich zu mir selbst und biss meine Zähne zusammen, bevor ich weitersprach: "... und seitdem steige ich nur noch ungern in ein Auto."
Was für eine Untertreibung! Carol hatte selbst erlebt, wie mein Körper panisch reagierte, mich in einen furchtbaren Angstzustand versetzte. Und ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren, so sehr ich es auch wollte.

Ich lehnte mich etwas zurück und nahm meinen Tee. Nur kurz schaute ich zu Carol und meinte für einen winzigen Augenaufschlag einen fragenden Funken erblickt zu haben. Wollte sie mehr wissen? Details? Für mich war alles gesagt. Es war raus, fertig und erledigt. Wichtig war doch nur, dass ich wieder völlig genesen war, es überlebt und alles gut überstanden hatte. Doch hatte ich das? Waren wirklich alle Wunden verheilt? Ich wollte die Vergangenheit nicht weiter herauf beschwören, wollte vergessen, wollte damit abschließen, wollte los lassen und ich hatte beschlossen, dass es Carol genügen musste. Ob sie wollte oder nicht.

Tropfen ließen mein Spiegelbild in der Tasse verschwimmen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Tränen über meine Wangen liefen. Noch immer spürte ich die Verletzungen, tief und schmerzhaft. Ich seufzte und konnte nicht verhindern, dass mir mein Herz weh tat.


Alles was bleibt ... | girlxgirl teacherxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt