Kapitel 10

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„Aus, böser Drache!", hörte ich auf einmal die strenge Stimme von Astrid. Plötzlich fiel Nightmare der Länge nach auf die Pflastersteine und hielt sich mit seinen Vorderfüßen die Ohren zu. „Sie haben sich geküsst, oder?", fragte ich ihn mitleidig. Winselnd nickte er. „Du Armer", sagte ich mit verzogenen Gesichtszügen bevor seine Schuppen von Haut ersetzt wurden. Das war ein weiterer Grund, weshalb ich mich nicht binden wollte. Statt ihm weiter bei der Rückverwandlung zu beobachten wandte ich mich Ben zu. Dieser stand kampfbereit mit dem Rücken zu mir und musterte die Drachenreiter aus zusammengekniffenen Augen. „Wer ist das und warum ist der Nachtschatten im Dorf, normalerweise hält er sich doch von uns fern?", fragte Fischbein neugierig. Die in der Mitte stehende, blonde Schönheit zog ihre Axt hinter ihrem Rücken hervor und trat ein paar Schritte auf Ben zu. Ein tiefes Knurren entwich meiner Kehle. Sofort zuckten ihre Blicke an ihm vorbei zu mir. „Das ist doch Arya!", rief Rotzbacke während er an meinem besten Freund vorbeischielte. Dieser hatte sie kampfbereit vor mir aufgebaut. „Ich schulde euch noch ein paar Informationen", erwiderte ich mit ruhiger, gelassener Stimme als mir der Deal wieder einfiel. Mit geschmeidigen Schritten schlenderte ich an Bens Seite. Dort angekommen verschränkte ich meine Arme vor der Brust und musterte die Reiter abwartend. „Ihr werdet heute die Nacht in einer Zelle verbringen, beide", fauchte Astrid. „Warum?", fragte ich hämisch: „Und wie wollt ihr mich in eine Zelle kriegen?" Astrid blieb stur vor uns stehen, während die anderen unsicher Blicke wechselten. „Ich schulde euch nur noch Informationen, keine Nacht im Gefängnis", fuhr ich ungerührt fort. Meine Gegenüber kniff ihre Augen zusammen und suchte nach einer Antwort. Ben musterte mich aus den Augenwinkeln heraus. Unsicher trat Fischbein einen Schritt nach vorne. Sein Blick war auf den Boden gerichtet während er leise: „Arya hat recht", murmelte. Ohne Astrid anzuschauen stellte er mir eine Frage: „Wie hast du den Drachen unter deine Kontrolle bekommen?" Bens Mundwinkel hoben sich und um diese entstanden kleine Fältchen, er kannte die Antwort. Mit kalter Stimme antwortete ich: „Ich bin der Drache." Geschockt starrten die Reiter mich an. „Wie meinst du das?", stotterte er massige Wikinger mir gegenüber. Ein breites, schiefes Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Langgezogen antwortete ich: „Also in einem Halbdrachen wohnen grundsätzlich zwei Seelen, die eines Menschen und die eines Drachen. Diese müssen sich gemeinsam einen Körper teilen und können sich jedoch nicht unterhalten. Tja, ich bin die Menschenseele losgeworden, besser gesagt hat sie sich selbst aus diesem Körper geholt." „Wie hat sie das gemacht?", fragte Astrid misstrauisch. „Sie hat sich umgebracht", sagte ich herablassend ohne jegliches Mitgefühl. Die Wikinger erstarrten. „Warum?", fragte Fischbein tonlos. Knurrend erwiderte ich: „Sie war zu schwach für dieses Leben." Eigentlich hätte sie mich mit in den Tod gezogen doch weil mein Wille weiterzuleben so groß gewesen war hatte ich überlebt und war darüber hinaus sogar unsterblich geworden. Nun musste ich mir meinen Körper nicht mehr teilen. Astrid erholte sich als erste. „Wie gut kennst du Heidrun und was meintest du mit Klingenpeitschling?", fragte sie mich mit scharfer Stimme. „Wir haben einfach nur für denselben Typen gearbeitet, wir haben uns nicht einmal oft unterhalten", erwiderte ich genervt und herablassend: „Außerdem ist sie auch ein Halbdrache, ein Klingenpeitschling." „Was hat es mit diesem „Rat der Drachen" und diesem Halsband auf sich?", forschte sie weiter. Dunkle Schatten breiteten sich auf meinen Gesichtszügen aus. „Der Rat der Drachen besteht nur aus Arschlöchern, die haben wollen, egal was es kostet und nie etwas geben. Das Halsband ist eine Bestrafung", knurrte ich leise mit starrem Blick. „Woher hast du all diese Narben?", fragte Rotzbacke vorsichtig hinter Fischbeins breitem Rücken. Die Schatten fielen von meinem Gesicht ab, blieben jedoch in meinen Augen hängen. „Vom Üblichen, von Peitschen, Flammen, Klauen, Schwertern, Pfeilen, Schlägen und noch vielem mehr", zählte ich ungerührt auf. „Habt ihr noch Fragen oder kann ich jetzt gehen?", fragte ich genervt. „Ich werde euch zwar nicht in eine Zelle sperren aber ihr übernachtet heute in meinem Haus, unter meiner Beobachtung", behauptete Astrid streng. „Was sagst du dazu?", fragte ich Ben gelangweilt. „Ich weiß nicht, andererseits wäre so ein Haus wirklich bequemer als wieder so eine Höhle", murrte er. Ein leichtes Lachen entwich mir: „So schlimm war das doch gar nicht." „Für dich vielleicht nicht aber ich bin ein Mensch, der nicht gerne auf Knochen schläft", beschwerte er sich mit einem leichten Schmunzeln. „Du hast doch gar nicht auf dem Boden geschlafen", meinte ich empört: „Du bist in der Nacht auf meinen Flügel gerollt, der war am nächsten Tag taub." Seine Mundwinkel zuckten, als er ein Lächeln unterdrückte. Hinter mir hörte ich ein leises Stöhnen. Mit hochgezogenen Augen drehte ich mich um. Auf dem Marktplatz lag ein nackter Hicks. Verwirrt kniff ich meine Augen zusammen, hatte er etwa noch nicht seine Drachenmagie entdeckt? Tja, das war nicht mein Problem. „Also, Freundin von Hicks, wo ist dein Haus denn?", fragte ich sie gelangweilt. „Wir sind nicht zusammen", erwiderte sie jedoch nur und ihre Hände verkrampften sich um den Stiel der Axt. „Kuss?", fragte Ben knapp. Schmunzelnd nickte ich. Irgendwie war es traurig, dass er sich, ohne es zu wissen für den Rest seines Lebens an Astrid gebunden hatte doch andererseits war es auch wahnsinnig witzig. „Was meinst du?", fragte sie mich schockiert und verwirrt. Als würde ich zu einem kleinen Kind sprechen erklärte ich langsam: „Nachtschatten binden sich auf Lebenszeit, durch einen einzelnen Kuss." Während ich sprach schaute ich ihr fest in die Augen. Plötzlich wurde sie bleich. Ihre Knöchel traten weiß hervor und ihr Blick wurde starr. Ein Lachen drang aus meiner Kehle. Ihre Augen wanderten langsam zu Hicks. „Kann uns jemand anders dorthin bringen?", gähnte ich: „Ich will mich endlich hinlegen."

Mein Leben als HalbdrachinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt