Date mit unerwarteter Wendung

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Androgyn bedeutet, dass man eine Mischung aus männlich und weiblich ist (also äußerlich gesehen, nicht biologisch oder so). Hemaphrodit ist eine andere Bezeichnung für Zweigeschlechtlichkeit. 

Um viertel vor sieben saß ich in dem kleinen Lokal an der Marylebone Road an dem Tisch, den ich bereits reserviert hatte. Das Lokal war perfekt für ein erstes Date, nicht zu fein und nicht zu leger, sondern einfach mit einer angenehmen Atmosphäre.

Als ich am Nebentisch ein junges, sehr verliebtes Pärchen sah, musste ich irgendwie an Sherlock denken, der alleine auf unserem Sofa lag und wahrscheinlich noch nie in seinem Leben ein Date gehabt hatte. War er überhaupt schon einmal verliebt gewesen? War er in der Lage, zu lieben? Oder war er wirklich in jeder Hinsicht der abgrundtiefe, eiskalte Egomane, der er vorgab zu sein? Oder war das nur eine Maske?

Meine Gedanken wurden von Janet unterbrochen, die sich plötzlich auf den Stuhl mir gegenüber setzte. „Hi, John.“, sagte sie. „Du hast wirklich ein schönes Restaurant ausgesucht.“

Ich verdrängte Sherlock aus meinen Gedanken und erwiderte: „Ja, es ist mein Lieblingsrestaurant. Eine Art Geheimtipp.“

Wir plauderten unbefangen über dies und das, bestellten Wein und Essen und schließlich kamen wir auf ein ernsteres Thema zu sprechen.

„Und, John?“, fragte Janet und nahm einen Schluck Wein. „Als was arbeitest du inzwischen?“

„Ich...war in Afghanistan als Militärarzt stationiert.“

„...oh.“, man sah, dass ihr das Thema ein wenig unangenehm war. „Tut mir Leid, ich wollte nicht..“

„Nein, ist schon gut. Das macht nichts.“, versicherte ich ihr. „Jetzt arbeite ich ganz normal in einer Arztpraxis. Und was machst du?“

„Ich bin Krankenschwester, arbeite aber nicht in London, sondern in einer Vorstadt in einem kleinen Krankenhaus. Bin auf der Kinderstation, das ist eigentlich ganz schön.“

„Ah, also wohnst du auch gar nicht hier in London?“, fragte ich.

„Nein, ein Stück außerhalb. Hier ist es einfach zu teuer. Hast du alleine eine Wohnung?“

„Ich wohne mit Sherlock zusammen. Aber, wie gesagt, nur als Freunde, nicht als Pärchen“, versicherte ich ihr noch einmal.

Sie lachte. „Das habe ich auch keine Sekunde gedacht.“

„Ehrlich? Die meisten Menschen halten uns für ein Paar!“

„Warum das denn?“, schmunzelte Janet.

„Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Vielleicht weil Sherlock ein wenig...nun ja, androgyn wirkt.“ Mir fiel kein besseres Wort ein.

„Androgyn? Er ist also ein...Hermaphrodit?“

„Nein! Aber er wirkt eben nicht so...männlich.“, ich lachte verlegen.

„Ah, ich verstehe. Neben dir wirkt er natürlich nicht mehr männlich.“, zwinkerte sie. Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie starrte auf einen Punkt über meinen Kopf. Verwirrt drehte ich mich um und sah direkt in das Gesicht meines – jetzt nicht wirklich mehr androgyn wirkenden – Mitbewohners.

„Hallo John.“, sagte er nur. Aber seine Miene zeigte, dass er den letzten Teil des Gespräches mitbekommen hatte. Ich schluckte.

„Hallo, Sherlock.“ Dann wurde mir bewusst, dass er gerade mal wieder auf einem meiner Dates aufgekreuzt war und wurde langsam wütend. „Was willst du hier?“

„Wir wollten zu Angelo gehen.“

„Nein, wollten wir nicht. Du wolltest zu Angelo gehen, nachdem ich gesagt hatte, ich würde mit Janet hierhin Essen gehen.“ Er starrte mich mit einem unergründlichen Blick an. Leider war es unmöglich, gegen Sherlock Holmes Starrwettbewerbe zu gewinnen. Seine Augenfarbe war so intensiv, dass sie mich komplett fing. Seine Frage kam daher wie aus dem Nichts.

„Wieso willst du nicht mit mir ausgehen?“

Sie war nicht direkt vorwurfsvoll gestellt, aber auch nicht sachlich. Ich starrte ihn an. Ich merkte, dass Janet zwischen ihm und mir ihren Blick wechselte. Ich merkte, dass das ganze Lokal verstummt war und dies tat.

„Sherlock, ich....was?“

„Warum willst du nicht mit mir ausgehen?“, wiederholte er, dieses mal drängender.

„Ich...du...das ist doch jetzt überhaupt nicht das Thema!“, rief ich.

„Ach ja? Und warum verabredest du dich dann ständig mit irgendwelchen Frauen, die du an der Supermarktkasse oder auf dem Weg zur Arbeit triffst?“

„Das geht ja auch gerade dich etwas an!“, erbost stand ich auf, um den Körpergrößenunterschied wenigstens ein Stück zu verringern und meiner Wut freieren Lauf zu lassen.

„Wieso musst du mir immer, immer die Dates versauen?“

Sherlock seufzte. „Du verstehst es nicht. Warum kannst du nicht ehrlich zu dir sein?“

Meine Augen funkelten wütend. „Wovon redest du da bitte?!“

„Du fliehst vor dir selbst, John. Deshalb verabredest du dich immer mit irgendwelchen Frauen, mit denen die Beziehung allerhöchstens drei Monate hält. Du liebst sie nicht wirklich. Du liebst auch diese Frau hier nicht.“ Er holte tief Luft. „Du liebst nur einen Menschen auf der Welt.“

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ihn anschreien? Ihn fragen, wen zum Teufel er meint? Ihm einfach sagen, er solle gehen? Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder.

Plötzlich sah ich etwas Seltsames in Sherlocks sonst so kühlen, berechnenden Augen aufblitzen.

War es Schmerz? „Sherlock...?“, fragte ich unsicher. Das passte doch sonst nicht zu mir.

„Also, John, ich gehe jetzt lieber“, mischte sich Janet verlegen ein. Sie nahm ihre Handtasche und lief zur Tür. Im Restaurant war es totenstill und alle starrten uns an, selbst das Personal. Mit einem lauten Krachen knallte die Tür zu.  

The world belongs to the courageous (Johnlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt