Bushaltestellenwahrheit

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-Malte
Da geht er nun. Allein. Verletzt. Traurig. Wütend. FUCK. Auch mein Weg führt mich nach unten. Zu meinem Vater. Er stand mir immer zur Seite bei Liebeskummer, warum dann auch nicht jetzt. Ich schlurfe die Treppe herunter und der verwirrte Blick von Paps trifft mich. Er starrt mit großen Augen auf unsere Haustür, die sich so eben mit einem lauten Knall geschlossen hat. Ich setze mich zu ihm an den Tisch und rupfe am Saum der Tischdecke. "..He.", werfe ich in den Raum und bekomme ein bemitleidendes Lächeln zurück. "Hast du... Hast du jemals das Problem gehabt, vor anderen zu zeigen, wie sehr du einen Menschen mag... liebst? Ich versteh's nicht. Ich.. ich wollte doch nicht, dass... dass er so verletzt wird." Mein Vater packt meinem Arm. "Malte. Wir haben dieses Gespräch schon einige Male geführt... nicht? Du musst ehrlich mit ihm sein. Hast du ihm davon.. du weißt schon.. erzählt? Du musst klaren Tisch machen, sonst ist er weg. " Aufmunternd fährt er mit seiner Hand über meinen Arm und entgegnet mir sowas wie ein.. Lächeln. "Danke... Aber er will sicherlich nicht mit mir reden. Was soll ich denn jetzt machen?" "Wenn er dich liebt, wird er auch jetzt mit dir reden. Ruf ihn an. Kläre das. Ein für alle Mal." Kaum hat mein Vater den Satz beendet, öffnet sich die Haustür und Mama betritt das Wohnzimmer. "Severin.. er kam mir entgegen. Alles gut bei euch?" Die Frage wird ignoriert und ich stampfe in mein Zimmer zurück, um ihn anzurufen. Wie früher.

-Sevi
Mein Handy sirrt in meiner Tasche. Lass mich in Ruhe. Trotzig schiebe ich das Kinn vor, an dem meine Tränen hinunter kullern, und ignoriere mein Telefon. Es hört nicht auf zu klingeln. Ich habe die Bushaltestelle erreicht. Mein Brust hebt und senkt sich viel zu schnell. Zum Glück ist niemand hier und brauch sich die verzweifelten Laute anhören, die ich von mir gebe... Meine Hände zittern in meinen Manteltaschen. Das Handy vibriert unaufhörlich neben meiner Hand. Dir ist klar, dass du die ganze Zeit schniefen wirst, wenn du jetzt drangehst...? Ich nehme ab. Verdammt jetzt habe ich auch noch Schluckauf bekommen! "Was ist?" hicks

-Malte
"..Sevi.. ich.. äh.. ich will nicht, dass du gehst. Er ist es doch schon.. Komm zurück. Ich erklär dir auch alles. Wirklich. Du hast die Wahrheit verdient.. ich will dich doch nicht verlieren. Dreh um. Bitte. Oder.. oder ich komme dir entgegen." Kaum ausgesprochen, habe ich schon meine Jacke an und sprinte aus der Haustür. "Ich bin gleich bei dir.. bitte warte.. bitte."

-Sevi
Mit dem Handy in der zitternden Hand und verheulten Gesicht stehe ich hicksend an der Haltestelle und warte auf den Mann, den ich liebe. Ich muss dermaßen scheiße aussehen... Ich sehe ihn schon von Weitem. Er rennt fast zu mir. Meine müden Augen haben Schwierigkeiten damit, die angenehme Röte seiner Wangen zu fixieren, als er mir immer näher kommt. ,,Warte.", klingt seine Stimme aus dem an mein Ohr gepressten Telefon. Meine Unterlippe beginnt zu zittern. Schnell sauge ich sie zwischen meine Zähne, damit die Angst, die meinen Körper durchfährt, nicht auffällt. Fuck...

-Malte
Er sieht unglaublich fertig aus. Toll gemacht, Malte. Ich komme ihm entgegen und greife nach seiner Hand, um ihn auf die Bank an der Haltestelle zu zerren. "Sevi.. ich.. hör mir zu. Ich weiß nicht, warum ich dir das nie erzählen konnte.. ich.. meine erste Freundin. Wir waren sehr verliebt.. sehr. Wir waren eine halbe Ewigkeit zusammen, bis sie mich verlassen hat, weil ich ihr... zu anhänglich war. Zu anhänglich. Sie fand es schrecklich, dass.. dass ich sie so viel küssen wollte, berühren wollte, alles. Hat einfach Schluss gemacht. Und...und seitdem halte ich mich sehr zurück. Vor allem vor anderen. Es war ihr so... peinlich. Ja, peinlich. Dass das dann oft der Trennungsgrund in weiteren Beziehungen war, brauch' ich dir wohl nicht erzählen. Ich wollte dich nicht verletzen.. wirklich. Und vermutlich hab ich dich aus wieder mal den selben Grund verloren. Ich bin so ein Idiot. SCHEIẞE. Es tut mir leid." Meine Stimme zittert, wie auch mein ganzer Körper. Ich habe geredet und geredet, ohne ihm nur ein Mal ins Gesicht zu blicken. Es tut mir so leid...

-Sevi
Mein Herz beginnt während seiner Worte aufgeregt zu hüpfen. ,,Das tut mir so leid..." , flüstere ich und lege meinen Arm um seinen zitternden Körper. Verlegen drückt er sein Gesicht an meinen Hals. Diese Situation ist so absurd.  ,,Ich werde dich nicht verlassen. Niemals. Danke, dass du mir das erzählt hast..." Nur sein heftiger Atem, der gegen meinen Hals stößt, füllt die unheimliche Stille.
Zaghaft.
Langsam.
Ganz langsam und zittrig umschließt seine Hand meine. Sein Daumen fährt über meinen Handteller. Seine von den Saiten des Basses rauen Finger malen Muster in meine Hand. Die Berührung bringt mich den Tränen nahe. Oh Gott. Wie sehr ich dich liebe. ,,Sevi...?", murmelt er.
,,Ja?"
,,Ich... Du- Es... Du hast etwas Besseres als mich verdient." Tränen erreichen meinen Hals und laufen in mein Sweatshirt. ,,Hab ich nicht... Ich bin genauso wenig fehlerlos wie du... Aber weißt du... Weißt du, deine Fehler und Mängel machen dich ja gerade erst perfekt. Und nein, das ist kein Widerspruch..." Seine zweite Hand kriecht zitternd in meinen Nacken. ,,Und ich dachte, nur Henning könne philosophisch sein..."

-Malte
Mein Herz rast in einer Geschwindigkeit, die wohl kaum noch gesund ist. "Heißt das.. du.. du... kommst du wieder mit? Ich will nicht, dass du fährst. Du darfst jetzt nicht fahren." Ich nutze den Augenblick, um ihn zu küssen. Schließlich muss ich ihn ja überzeugen, wieder mit mir mitzukommen. "Ich.. ich liebe dich, Sevi. Und das werde ich ab heute auch jedem zeigen. Versprochen. Versprochen.." Als hätte ich vorhin nicht schon genug geheult, fließen auch bei mir wieder die Tränen. Es ist unglaublich. Er ist unglaublich. Meine Angst schwindet, wie auch mein Zittern.

-Sevi
Lächelnd schließe ich sein Gesicht in meinen Händen ein und streichle über die winzigen Bartstoppeln, die schon wieder unter meinen Finger sprießen. ,,Du machst mich zum glücklichsten Mann dieser Welt." ,,Geht gar nicht, Bärchen... Das machst du ja schon mit mir." Grinsend beuge ich mich vor und küsse ihn nochmal. Seine Hände krabbeln unter meine Jacke und umfassen sanft meine Taille. Der Wind pfeift um uns und bläst mir Maltes Haarsträhnen ins Gesicht. Grinsend streiche ich sie ihm hinter die Ohren, nur um ihn danach noch näher an mich heranzuziehen. Wenn du so weiter machst , hockt er gleich auf deinem Schoß. ,,Es ist so kalt... Sollten wir uns nicht doch eher drinnen kü-" Als er bemerkt, dass diese Worte schon wieder sehr verdächtig klangen, verstummt er. ,,Ach egal..."  Seufzend klettert er auf meinen Schoß.

-Malte
Das Plastik unter uns knarzt und scheint fast durchzubrechen. Ich spüre deutlich die Blicke, die auf uns haften, aber sie sind mir egal. Sie sind mir tatsächlich egal. Und auch das Getuschel kann mich nicht davon abbringen, mich noch näher an ihn ran zu ziehen. "Ich liebe dich. Ich bin so.. so... so froh, dich zu haben." Sein Gesicht scheint mit meinen Händen zu verschmelzen und die Welt um uns herum verstummt. Alles, was zählt, ist das hier. Nicht, was die Leute wohl sagen könnten, was sie denken könnten, was sie tun könnten.. nein. Nur wir zählen. Zusammen.

-Sevi
Schnaufend löst er sich mit einem sanften Saugen an meiner Unterlippe von mir und blickt mir tief in die Augen. Diese blauen Augen... Grinsend drücke ich einen weiteren Kuss auf seine Stirn. Er will gerade von mir abrücken, als ich aufstehe und er gezwungen ist, sich wie ein Äffchen an mich zu klammern. ,,Hey! Jetzt lass mich runter... Ich-" Um ihn vom Reden abzuhalten, presse ich meinen Mund hart auf seine Lippen. ,,Jeft laff mich..." Seine Worte ersterben, als meine Hände seine Oberschenkel umklammern und beginnen, in Kreisen ihre Unterseite zu streicheln. ,,Du willst gar nicht wissen, wie verdammt hot es ist, von seinem Freund nach Hause getragen zu werden...", raunt er in mein Ohr und gibt nun wohl vollständig sein Gezappel auf. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Die Passanten, die uns entgegen kommen, schauen entweder leicht verwirrt oder grinsen mir anerkennend zu. Maltes Gesicht strahlt geradezu vor Stolz. Seine zwei Grübchen zieren sein Gesicht. Ich verteile zwei leichte Küsse auf ihnen. ,,Hmmm..." , brummt er und drückt sein Gesicht gegen meinen Hals, um dort ebenfalls Küsse zu verteilen. Ich bin kurz davor, ihn fallen zu lassen, so sehr bringen mich seine Lippen um den Verstand. Er kichert leise.

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An alle Klugscheißer: Der Titel des Teils ist ein Neologismus.
Heutige Musikempfehlung: Waveboy von Mia Morgan

Liebe auf den zweiten Blick [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt