1- Feueralarm

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Der Asteroid schlug genau in dem Moment ein, in dem ich meinen Becher mit synthetischem Kaffee absetzte. Eigentlich erhielt das Schiff nur einen kleinen Schubs, vermutlich nicht hart genug, um ernsthaften Schaden anzurichten. Zumindest wurde kein Alarm ausgelöst, also konnte der Rumpf nicht fatal beschädigt sein.

Aber natürlich verschüttete ich meinen Kaffee, der noch heiß genug war, mir die Finger zu verbrennen, und verteilte den Inhalt des Bechers über meine Navigationskonsole. Um die bittere Brühe tat es mir nicht besonders leid, aber Elektronik reagiert bekanntlich schlecht auf heiße Flüssigkeiten.
Ein kleiner Kurzschluss, und schon quoll unter der zerkratzten Abdeckung eines meiner Hauptsysteme beißender Rauch hervor. Diesmal untermalte ein schriller Alarm die schicksalshafte Relevanz meiner Beobachtung.

Fluchend ließ ich den leeren Becher fallen und widerstand dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten, als eine lautes Piepsen die erste Sirene überlagerte. Die Folge war eine schrille Kakophonie, die mir die Tränen in die Augen trieb. Ich riss den Sicherungskasten auf und tastete nach den Kippschaltern für den Alarm, bevor ich für die nächsten anderthalb Stunden taub war oder eine Migräne mich außer Gefecht setzte.

Zum Glück war es nicht das erste Mal, dass mir sowas passierte. Inzwischen wusste ich genau, wo die unauffällig kleinen Schalter versteckt waren. Manchmal frage ich mich, wer verantwortlich ist für das Design von Raumschiffbrücken. Aber in diesem Moment hatte ich keine Zeit für weiterführende philosophische Betrachtungen.

Noch bevor ich den offensichtlichen Schaden an der Navi und den potentiellen am Schiffsrumpf genauer inspizieren konnte, schaltete sich die Komm ein. Ein trügerisch melodisches Summen kündete die voraussichtlich unangenehmsten Konsequenzen des Zwischenfalls an.

„Captain? Was ist los? Wurde das Schiff beschädigt? Sind wir hier noch sicher? Melden sie sich, sie inkompetente Person!"

Ich fluchte leise. Die ausfällige Bemerkung am Schluss zeigte klar, dass meine Fracht ernsthaft verärgert war. Die schrille, befehlsgewohnte Stimme erschien mir schlimmer als jeder Alarm, den ich auf meinem Schiff bereits ausgelöst hatte. Und das waren einige.

Einmal mehr wurde ich unsanft daran erinnert, warum ich es hasse, Staubfüßler auf einen langen Schlag mitzunehmen. Altgediente Schwerelose sind mir wesentlich lieber, sogar überdrehte Minenarbeiter, die sich auf einen Stationsurlaub freuen.

Normalerweise versuche ich deshalb, den Kontakt mit Passagieren auf ein Minimum zu beschränken und ausschließlich über Komm abzuwickeln. Das kommt meiner geistigen Gesundheit zu Gute. Aber die bittere Wahrheit ist, dass ich auf Personentransporte angewiesen bin. Dies stimmte besonders für meine aktuelle Fracht. Dieser eine Flug sollte mir das dringend benötigte Kleingeld für die lange aufgeschobene Überholung meines Frachters in den Docks von Europa-5 einbringen.

Ein weiterer Wortschwall der nervigen Stimme unterbrach meinen Abstecher in bitteres Selbstmitleid.

„Captain? Sind sie da oben? Hallo, hören Sie mich? Natürlich, dieses Kommunikationssystem funktioniert nicht, so wie alles auf diesem Schrotthaufen, von dem sie behaupten, er sei ein raumtaugliches Schiff..."

Die Stimme dröhnte weiter, während ich die Lautstärke der Komm reduzierte. Schließlich verblasste sie zu einem erträglichen Hintergrundgeräusch, das sich ignorieren ließ.

Ich schnappte mir meinen Werkzeugkasten. Aber noch bevor ich die Abdeckung der Navi abgeschraubt hatte, hörte ich das unverkennbare Zischen der Luftschleuse zur Brücke. Geistesgegenwärtig warf ich meine robuste Raumerjacke über die rauchende Konsole und stählte meine Nerven für das unvermeidliche Zusammentreffen mit der Tochter des Senators.

Zu meiner Überraschung schien heute aber doch mein Glückstag zu sein. Anstelle der ehrenwerten Dame zwängte ihr Leibwächter seine breiten Schultern durch das enge Schott. Mein kleines Königreich wirkte augenblicklich übervölkert.

Der Kerl war jung, vielleicht Ende zwanzig, mit einem Körper den er Apollo oder Herakles geklaut haben muss. Die voluminösen Muskelpakete sprachen eher für letzteren, und die schwarzen Locken und himmelblauen Augen passten ebenfalls zu meinem Bild eines griechischen Halbgotts. Einer seiner entfernten Vorfahren könnte Modell für Michelangelos David gestanden haben.

Nun, ich bin grundsätzlich ein Fan der griechischen Mythologie. Einer meiner Vorfahren kam aus dieser Gegend und ich bin stolz auf mein Erbe. Immerhin besser als diese neumodischen Weichspülreligionen, die auf jeder Raumstation wie Pilze aus den Schotten schießen.

Das heißt aber nicht, dass ich dumm genug war, mir in Bezug auf den knackigen Halbgott von einem Leibwächter Hoffnungen zu machen. Er war offensichtlich in seine Herrin verknallt und las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab. Beinahe tat er mir leid. Sie fühlte sich so weit über ihn erhaben, dass sie seine schmelzenden Blicke nicht einmal bemerkte.

Ich wünschte, ich könnte mir ein Stück ihrer Distanziertheit abschneiden. Als Herakles so dicht vor mir stand, schlug mein Herz automatisch in einem schnelleren Takt. Deshalb verschränkte ich die Arme vor der Brust und versuchte den Eindruck zu erwecken, die Situation vollständig unter Kontrolle zu haben.

Die Stimme des Halbgotts war ein tiefes, angenehmes Rumpeln, sein Akzent und seine Wortwahl kontrastierten hingegen in reinem Staubfuß.

„Captain, die Dame von Schroeder ist besorgt über den unangenehmen Ruck, der vor einer Weile wahrzunehmen war. Außerdem versagt die Kommunikationseinheit in ihrer Kabine den Dienst. Können sie mir die Situation angemessen erläutern?"

Beim Versuch, mein Lachen zu unterdrücken, verschluckte ich mich und krümmte mich in einem heftigen Hustenanfall. Der ätzende Rauch, der unter meiner Jacke hervordrang, half nicht dabei, meine Würde zu bewahren. Dem jungen Herakles schien die Komik der Situation zu entgehen, und ich bemühte mich verzweifelt um Fassung.
In diesem Moment brachte die Stimme seiner Herrin die Komm-Einheit zum Scheppern. Sie fand wohl endlich den Lautstärkeregler.

„Captain? Die Zustände auf diesem Stück Schrott, das sie als raumtauglich zu bezeichnen belieben, sind haarsträubend. Ich informiere sie hiermit von meiner Absicht, meine schriftliche Beschwerde einzureichen, sobald wir die Raumstation Europa-5 erreichen."

Wenn ich nicht noch immer um Atem gerungen hätte, wäre ich versucht gewesen, ihr zu erklären, dass sie sich ihre Beschwerde sonst wohin stecken solle. Herakles zog wissend eine elegant geschwungene Augenbraue hoch und sah sich mit einem arroganten Blick auf der Brücke um. Einen Moment lang ließ er ihn auf meiner rauchenden Jacke und einen zweiten auf Pilot verweilen, der von allem unberührt im Kommandantensessel schlief. Dann drehte er sich überraschenderweise um und ging. An der Schleuse warf er einen anklagenden Blick über die Schulter zurück.

"Ich verlasse mich darauf, dass sie die Situation in nützlicher Frist in den Griff bekommen. Bitte vergessen sie nicht, der Dame von Schroeder Bericht zu erstatten, sobald sie den ärgerlichen Fehler im Kommunikationssystem behoben haben. Captain."

Ich ignorierte den spöttischen Ton mit dem er das letzte Wort anfügte und sparte mir den genervten Seufzer, bis sich die Schleuse hinter ihm geschlossenen hatte. Dann riss ich meine Lieblingsjacke vom Brandherd, bevor sie endgültig in Flammen aufgehen konnte.

Zum zweiten Mal an diesem Tag leuchtete mir das Glück: Das schwere Material hatte das Feuer erstickt. Eine kurze Kontrolle zeigte, dass der Schaden an der Jacke gering und an der Navigation tragbar war. Deshalb wandte ich mich umgehend dem Asteroideneinschlag zu.

Zu meiner ungemeinen Beruhigung registrierten die Rumpfsensoren nirgends ein Leck. Der Asteroid musste winzig klein gewesen sein, sonst hätten ihn meine Kollisionsscanner rechtzeitig erfasst und mich gewarnt oder ein Ausweichmanöver eingeleitet. Trotzdem ist jeder Einschlag im Rumpf gefährlich, selbst wenn die Autoversiegelung ein allfälliges Leck fast augenblicklich schließt.

In solchen Momenten wird mir immer bewusst, wie fragil mein Schiff und letztendlich alles Leben ist. Aber zum Philosophieren fehlte mir gerade die Muße. Entschlossen leitete ich die Navigationsfunktionen fürs erste auf eine Hilfsstation um und begann verschmorte Wiederstände auszuwechseln.

Ich bin den Umgang mit der Lötpistole gewohnt und die Arbeit schritt rasch voran. Trotzdem wurde ich das nagende Gefühl nicht los, etwas übersehen zu haben. Die rote Warnlampe in meinem Unterbewusstsein blinkte immer noch vor sich hin. Etwas war mit dem Alarm...

Fluchend ließ ich mein Werkzeug fallen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag mit dem Hammer – oder einem faustgroßen Meteor. Das zweite schrille Piepsen war überhaupt kein Brandalarm. Dieser spezielle Ton signalisierte einen Eindringling.

Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt