16 - Schneewittchen

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„Scheiße." Zu meiner Überraschung war nicht ich es, die zuerst auf Tanjas Ankündigung reagierte, sondern Marsh.

Ich ließ meinen Blick im Wissen durch die Runde wandern, dass ich gerade vom Regen in die Traufe gestolpert war. Sarah blickte betreten zu Boden und Pete kaute auf dem Ende des Stifts herum, den er gestern zum Aufnehmen meiner Personalien verwendet hatte. War das tatsächlich erst gestern gewesen?

Damals hatte meine Welt noch so heil ausgesehen. Jules und ich waren am Leben, hatten Europa erreicht und durften hoffen, all unsere Probleme los zu sein. Soviel zur wohlwollenden Unterstützung von Nemesis...

Tanja seufzte hörbar und stand auf. „Meine Lieben, wir habe ein Problem."

Am liebsten hätte ich sie gefragt, was sie denn damit meine. Ich hatte ein Problem, nicht sie, nicht Marsh, niemand hier außer ich. Aus irgend einem völlig unerklärlichen, unsinnigen und unfairen Grund sollte ich zum Sündenbock gemacht werden für... für was eigentlich? Das Verschwinden einer reichen Göre, die sich ihre Probleme mit größter Wahrscheinlichkeit selbst zuzuschreiben hatte? Ich hatte sie ganz bestimmt nicht in die Rettungskapsel geschoben und tiefgefroren.

Tanja schien meine gereizte Stimmung zu bemerken. „Lo. Ich habe keine Ahnung, was hier gespielt wird, aber ich kann diese Depesche nicht einfach ignorieren. Das würde Ärger mit dem Zentralkommando geben."

„Du denkst doch nicht ernsthaft, dass Lonnie etwas damit zu tun hat?" Marsh sah die Beamtin aus zusammengekniffenen Augen an. „Sie hätte wohl kaum die beiden vermisst gemeldet, wenn sie ihre Entführerin wäre. Wir alle wissen, dass die Staubfüße vermutlich bloß einen Schuldigen brauchen, um ihre eigene Unzulänglichkeit zu vertuschen."

„Ja, wissen wir. Trotzdem müssen wir den Eindruck erwecken, als würden wir den Erdlingen alle denkbare Unterstützung geben. Wenn wir bloß diesen Kopiloten auftreiben könnten."

Ich stellte den Kaffeebecher beiseite und schüttelte den Kopf. Jules hatte genauso wenig mit der Sache zu tun wie ich. Allerdings konnte ich seine Unschuld noch weniger beweisen als meine eigene.

„Ich habe keine Ahnung was die von mir wollen." Mein Hände krampften sich um den Kaffeebecher. „Ich bin vor fünfzehn Jahren von der Erde weg und habe es keinen Moment bereut. Weshalb sollte ich mich ausgerechnet mit der verkorkstesten Regierung im bekannten Weltraum anlegen?"

Das betretene Schweigen der anderen machte mir klar, dass sie mir weder eine Antwort auf die rhetorische Frage noch eine Lösung für meine Probleme bieten konnten. Ich war froh, als eine verzerrte Stimme aus Sarah's Konsole die Stille unterbrach und uns mitteilte, die Papaya sei nun angedockt und wir könnten uns die Gefrierfracht ansehen.

„Also, lasst uns das hinter uns bringen." Tanja stand auf. „Lo, du wirst die beiden identifizieren müssen, selbst wenn wir sie nicht auftauen können. Ich will sicher sein, dass wir die richtigen Individuen auf die Erde zurückschicken und nicht irgendwelche Verwechslung vorliegt."

Das bedeutete wohl, dass ich meine Kapsel abschreiben konnte. Oder zumindest die teure Kryo-Einheit. Immerhin erwähnte Tanja nicht die Möglichkeit, mich mit zur Erde zu schicken. Da bestand also noch etwas Hoffnung. Ich nickte, allerdings musste mir meine Niedergeschlagenheit ins Gesicht geschrieben sein.
Marsh versuchte sich in einem aufmunternden Grinsen. „Komm schon, Lonnie, zumindest musst du dich nicht mit deinen Passagieren auseinandersetzen. Nach dem, was du erzählt hast, gehören sie eher zu der unangenehmen Sorte."

Das konnte er laut sagen. Nun, mir blieb wohl nichts anderes übrig, als weiter mitzuspielen, egal wie übel dieses Spiel war. Sarah kündigte unseren Besuch bereits bei der Papaya an. Ich schluckte den Rest meines kalt gewordenen Kaffees und stand auf.

Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt