28 - Besuch

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Ich starrte die Prinzessin an, als ob ihr grüne Hörner wachsen würden. Wollte sie mich auf den Arm nehmen? Erst als ich ihren leicht verwirrten Gesichtsausdruck eine Weile studiert hatte, wurde mir klar, dass er nicht gespielt war. Das Mädel erinnerte sich tatsächlich nicht an mich. Hilfesuchend blickte ich mich nach Jules um, aber der war voll in die Betreuung unseres zweiten Patienten vertieft. Ich musste alleine mit der Dame von Schroeder fertig werden.

Zögernd hielt ich ihr den Becher hin und überlegte fieberhaft, was ich zu ihr sagen sollte. Eigentlich war sie mir lieber in dieser schüchternen Variante. Aber wenn sie mir helfen sollte, aus dem momentanen Schlamassel rauszukommen, musste sie schleunigst ihr Gedächtnis wiederfinden.

Sie nahm mit einem angedeuteten Lächeln den Becher entgegen. „Danke. Ich fühle mich völlig ausgetrocknet."

„Das kommt von der Kryostase. Soll ein bekannter Nebeneffekt sein. Vermutlich brauchen sie auch Salz. Ich gehe gleich welches holen, ich hab's beim letzten Mal vergessen."

Auf ihrer Stirn bildete sich eine senkrechte Falte, deren Bedeutung ich nur erahnen konnte. „Kryo— was?"

„Kryostase oder Kälteschlaf. Sie haben sich tiefgefrieren lassen."

Die Falte glättete sich etwas, nur um sich gleich darauf noch tiefer einzugraben. „Und weshalb sollte ich sowas Dummes tun?"

Tja, das hatte ich mich auch schon gefragt. Eine einfache Hibernation mit verlangsamtem Metabolismus hätte in ihrem Fall für eine Rettung gereicht, und sie würde sich im Moment bestimmt deutlich besser fühlen. Jules und ich auch, wenn ich mir das näher überlegte. „Keine Ahnung. Vielleicht haben sie einfach die falsche Gebrauchsanleitung erwischt. Nun, versuchen sie das positiv zu sehen. Immerhin konnten wir sie wiederbeleben."

Ein Zittern lief durch ihren Körper, das ich leicht nachvollziehen konnte. Allein der Gedanke an Gefrierschlaf trieb mir Schauer über den Rücken. „Wie fühlen sie sich jetzt? Können sie sich an die Rettungskapsel erinnern?"

„Rettungskapsel?"

Offensichtlich erinnerte sie sich nicht. Ich musste eine andere Strategie wählen. „Sie wissen aber, dass sie Jasmine von Schroeder sind, richtig?"

Der verlorene Blick, den sie mir zuwarf, sagte alles. Mist, wie sollte ich meine potentielle Zeugin in diesem Zustand dazu bringen, mir den Rücken freizuhalten? Nun, vielleicht brauchte sie einfach mehr Zeit. Und Salz, das hatte explizit in Ludmillas Anleitung gestanden. Das Bedürfnis nach Nahrung kam erst Stunden später. „Trinken sie das Wasser, bitte. Ich fülle ihnen dann noch nach und sehe, dass ich Salz auftreiben kann."

Sie tat wie geheißen, und ich versicherte mich, dass Jules mich gerade nicht brauchte, bevor ich hinauf in die Kombüse rannte. Mit dem aufgefüllten Wasserkrug und einem Salzstreuer war ich wieder unterwegs nach unten, als das Komm einen eingehenden Anruf meldete. Aber ich hatte nun wirklich keine Zeit, mich darum auch noch zu kümmern. Ich ignorierte das Summen.

Die Prinzessin hatte ihren Becher ausgetrunken und machte bereits einen etwas weniger blassen Eindruck. Sobald sie den Salzstreuer erspähte, streckte sie verlangend die Hand danach aus. Ich reichte ihr das Objekt der Begierde und wandte mich an Jules.

„Wie geht es ihm? Wie lange noch?"

Er blickte von der Anzeige auf. „Nicht mehr lange. Einige Minuten. Wer war das vorhin am Komm?"

„Keine Ahnung, ich habe es nicht entgegengenommen. Wir sollten zuerst sicherstellen, das Herakles durchkommt."

„Einverstanden. Sieh zu, dass die Dame von Schroeder alles hat, was sie braucht. Ich gebe Bescheid, sobald ich soweit bin, Lo."

Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt