37 - Ein Anfang

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Jules war nicht zurück, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Als Jasmine in Begleitung von Domingo zum Frühstück in den Gemeinschaftsraum kam, bemerkte sie meine gedrückte Stimmung sofort. „Was ist los, Lonnie?"

„Jules ist nicht wieder aufgetaucht. Ludmilla hat ihm gestern Abend diesen Anruf weitergegeben, und er ist gegangen, ohne zu sagen, wohin."

„Oh." Es war selten, dass die Prinzessin keine Worte fand. Ihrem betretenen Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie das Gleiche befürchtete wie ich.

„Nun, er ist erwachsen und wir haben keinen Vertrag miteinander abgeschlossen. Wir sollten deshalb mit den Startvorbereitungen beginnen." Es fiel mir nicht leicht, meine Stimme emotionslos klingen zu lassen. Bestimmt täuschte ich niemanden.

„Wir können warten, auf ein paar Stunden kommt es jetzt wirklich nicht an." Domingo war anzusehen, dass er sich ebenfalls Sorgen machte. So gut, wie er sich mit Jules verstanden hatte, war er vielleicht auch enttäuscht, dass er nicht mitfliegen würde.

Ich fühlte mich zu einer Erklärung genötigt. „Auf der Station habe ich bereits nachgefragt. Sie haben mich mit Pete verbunden. Weder er noch Sarah und Marsh haben Jules seit letzter Nacht gesehen, und Ludmilla war nicht zu erreichen. Ich schlage vor, wir bereiten uns wie geplant auf den Start vor und ich rufe dann noch einmal an."

Die beiden nickten. Das Frühstück war eine schweigsame Angelegenheit, obwohl es diesmal ganz ordentlich ausfiel. Vermutlich war uns allen klar, dass ich mehr an Jules hing, als gut für mich war. Aber ich musste mich wohl oder übel damit abfinden, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte. Wir blieben länger sitzen, als unbedingt nötig gewesen wäre, gehalten von der Hoffnung auf einen Kommkontakt oder ein metaphorisches Klopfen an der Tür des Schiffs.

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. „Na dann los. Wir haben einen langen Flug vor uns. Wenn ihr wollt, könnt ihr den Start auf dem Schirm im Gemeinschaftsraum mitverfolgen, zwei der Sitze sind mit Gurten ausgestattet, falls ich ein rasches Manöver machen muss."

Das zauberte ein Lächeln auf Jasmines Gesicht. Es war nicht üblich, den Passagieren Aussicht zu erlauben. Wohl weil manche Abdockmanöver für Laien lebensgefährlich aussahen und kein Captain im entscheidenden Moment panisches Gekreische und Ohnmachtsanfälle gebrauchen konnte. Trotzdem war ich bereit, für die beiden eine Ausnahme zu machen. Sie hatten schon Schlimmeres erlebt, als ein standardmäßiges Startmanöver bei einer unbedeutenden Station. Trotzdem nahm ich mir vor, vorsichtig zu fliegen. Ich hatte keine Lust, schon wieder Erbrochenes aufzuwischen.

Minuten später hämmerte ich den Kurs zum Neptun-Sprungpunkt in die Navigationseinheit, begleitet von einem enttäuschten Seufzen. Mein Finger glitt über die angesengte Stelle der Konsole, die mich an den Beginn der Ereigniskette erinnerte.
Hier hatte ich während dem schicksalhaften Meteoriteneinschlag Kaffee verschüttet und dabei beinahe meine geliebte Nemesis in Brand gesetzt. Inzwischen benötigte mein Schiff nicht mehr dringend eine gründliche Überholung, aber dafür befand sich mein Herz nun in einem bedenklich reparaturbedürftigen Zustand.

Ich verbrachte die Aufwärmphase der Maschinen damit, Komm abzuhören. Allerdings schwand meinen Hoffnung, etwas über den Verbleib meines vermissten Copiloten herauszufinden, mit der steigenden Temperaturanzeige. Dann war die Betriebstemperatur erreicht und ich konnte oder wollte die Entscheidung nicht weiter hinauszögern.

Es schmerzte, dass Jules ohne ein Abschiedswort abgehauen war. Andererseits hatte ich keinen Anspruch auf seine Loyalität. Er kam zufällig auf die Nemesis, ging dabei beinahe drauf, und verlor meinetwegen mehr als nur ein Auge voll Schlaf. Nicht genug, dass er mir helfen musste, den Oxwandler zu reparieren. Anschließend wurde er auch noch in das ungeplante Abenteuer verwickelt, zwei unfreiwillige Eislollys aufwecken zu müssen.

Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt