Völlig entnervt ließ ich mich in den Kommandantensessel fallen. Am liebsten hätte ich meine Besucher auf der Stelle aus dem Schiff geworfen, aber mir war klar, wie so etwas wirken musste. Und falls ich nicht ohnehin schon das Schlimmste befürchtet hätte, war Marshs Reaktion ein klarer Beweis, dass ich ernsthaft in einem Sumpf der Probleme zu versinken drohte. Er legte mir väterlich eine Hand auf die Schulter. „Lonnie, was genau weißt du über diesen Jules?"
Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Marsh schien zu merken, dass ich gerade mit einer inneren Krise kämpfte und nahm die Hand zurück. Dankbar lehne ich mich in meinem Sessel zurück und schloss die Augen.
Da war sie, die Frage vor der ich mich gefürchtet hatte, seit Jules sich nicht auf meinen Anruf meldete. Ein kalter See nahm die Stelle in meinem Körper ein, an der sich normalerweise mein Magen befand. War es möglich, dass Jules mich geradeheraus angelogen hatte? Dass er der Entführer der Prinzessin war und mir die ganze Geschichte mit dem blinden Passagier nur vorspielte?
Nein, ich konnte und wollte das nicht glauben. Wie ich es wendete und drehte, es ergab keinen Sinn. Andererseits war mir auch klar, dass mir hier niemand volles Vertrauen schenkte. Meine Geschichte klang ohnehin schon verworren. Sobald ich versuchte, Jules' Rolle darin zu durchleuchten, wurde sie vermutlich komplett unglaubwürdig. Leider blieb mir wohl einfach nichts anderes übrig.
Drei ernste Gesichter starrten mich an, als ich die Augen aufschlug. Ich holte tief Atem. „Ich habe Jules erst auf dieser Reise kennengelernt. Er musste Sol verlassen, weil sein Vater sich nicht an die neuen Handelsgesetze hielt. Jules ist einem Anschlag auf ihre Werkstätte nur knapp entkommen. Ich weiß nicht viel mehr, als dass er ein ausgezeichneter Mechaniker ist und uns nach dem Meteoreinschlag das Leben rettete."
Tanja tauschte einen vielsagenden Blick mit Devon. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was jetzt gerade in ihren Köpfen vorging. Marsh schüttelte den Kopf. „Lonnie, was ist, wenn er die Erbin des Schroederschen Wirtschaftsimperiums entführt und deine Gutgläubigkeit ausgenutzt hat? Kannst du irgendwie beweisen, dass es nicht so war?"
Ich wünschte, Marsh hätte das nicht so deutlich ausformuliert. Andererseits waren die beiden anderen bestimmt längst zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangt. Ich rieb meine schmerzenden Schläfen. „Nein, ich kann das nicht beweisen. Aber es ergibt keinen Sinn. Jules hätte mich mehrfach auch als Geisel nehmen können, wenn er gewollt hätte."
Mir fiel der Moment ein, als ich meinen Blaster auf der Brücke liegen ließ. Damals hätte Jules mich zu allem zwingen können, was er wollte. Aber er machte bloß einen Scherz und gab mir die Waffe zurück. Vielleicht war die Szene sogar im Logbuch aufgezeichnet. „Schaut euch mein Log an, ich bin sicher, ihr werdet nichts finden."
Devon betrachtete mich mit einem Blick, der mich an Pilot erinnerte, wenn er sein Futter anstarrte. Seinen Raubtierblick, hatte Jules das genannt. Ich versuchte, selbstsicher und ungezwungen zu wirken. Ob ich irgendwen damit täuschte, stand in den Sternen.
Tanja seufzte. „Also gut. Wir haben einen Verdächtigen, der unglücklicherweise im Moment unauffindbar ist. Devon, gib die Beschreibung dieses Jules an dein Team weiter. Sie sollen ihn aber nicht zu heftig anpacken, es ist immerhin möglich, dass er mit der Sache nichts zu tun hat."
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Solange Tanja Zweifel hatte, würde sie Jules eine Gelegenheit geben, sich zu rechtfertigen. Allerdings zerschlug ihre nächste Bemerkung die aufkeimende Hoffnung auf ein konfliktloses Ende dieser Sache. „Marsh, Ilona, ich schlage vor, dass wir ins Hauptquartier zurückkehren. Ich lasse das Schiff versiegeln, so dass er nicht hierher zurückkommen kann."
„Hey, das geht nicht! Nemesis ist mein Zuhause. Ich habe nicht die Mittel, mich in einem Hotel einzuquartieren. Und was soll aus Pilot werden? Wegen der Quarantänevorschriften kann ich ihn nicht mit auf die Station nehmen. Und ihn hier allein einzusperren ist unmenschlich."
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Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 Shortlist
Ficção CientíficaEigentlich sollte ich nur die Tochter des Senators nach Europa-5 bringen. Der Lohn würde reichen, endlich mein Schiff zu überholen. Aber das Schicksal meinte es anders. Es bescherte mir nicht nur einen Asteroideneinschlag, sondern auch einen blinder...