Natürlich gab es immer noch keinen Hinweis auf Jules' Verbleib und deshalb verkroch ich mich nach einem hastigen Nachtessen in meiner Koje. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, in einem der Restaurants im Knoten die exotischen Leckereien zu bestellen, auf die Jules und ich uns so gefreut hatten. Statt dessen begnügte ich mich mit einer dehydrierten Fertigmahlzeit, die penetrant nach feuerfestem Isolationsmaterial schmeckte.
Pilot entschloss sich, mir in meinem Bett Gesellschaft zu leisen und ich war froh, seinen warmen, leise schnurrenden Körper an meinem Rücken zu spüren. Zumindest hinderte mich das daran, mich unruhig hin und her zu werfen. Trotzdem fand ich keinen Schlaf. Vor meinem geistigen Auge spielten sich die unterschiedlichsten und unwahrscheinlichsten Szenarien ab.
Was erwartete mich, wenn die Papaya mit meiner Rettungskapsel hier eintraf? Immer wieder stellte ich mir das Gesicht der Prinzessin vor, die Lippen ihres Schmollmunds blau vor Kälte und Frost in ihren Wimpern und Augenbrauen. Schließlich fiel ich trotzdem in einen unruhigen Schlaf.
Erst das Summen des Komm riss mich aus einem Schlummer, der wohl doch tiefer gewesen war, als ich geglaubt hatte. Noch gefangen in angenehmen Traumbildern eines Sonnenaufgangs über einem wolkenverhangenen Planeten, beobachtet von der behaglichen Sicherheit meiner Brücke aus, lauschte ich der Stimme, die mir entfernt bekannt vorkam. „Lo? Bist du wach? Die Papaya nähert sich der Station und Tanja Darling hat mich gebeten, dich in die Kommunikationszentrale zu rufen."
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und versuchte, trotz meiner morgendlichen Heiserkeit Worte zu formulieren. „Sarah, bist du das? Ist es schon soweit? Hast du überhaupt geschlafen in der Zwischenzeit?"
Ein fröhliches Lachen sagte mir, dass es ihr deutlich besser ging als gestern. „Ich scheine wesentlich wacher zu sein als du. Beeil dich, Marsh hat versprochen, Kaffee und Brötchen für alle mitzubringen. Nicht, dass deiner kalt wird."
Nun, die Aussicht auf Marshs Kaffee versetzte meiner Motivation einen gewaltigen Schub. Minuten später hatte ich Pilots Napf mit frischem Wasser und Katzenfutter gefüllt und war unterwegs zur Zentrale, begleitet von einem Bodyguard aus Devons Team.
Der Junge sah aus, als wäre er höchstens siebzehn, mit kurz geschnittenem, braunem Haar und rötlichem Bartflaum. Er überragte mich um mindestens zwei Köpfe, war aber so hager, dass sein purpurner Overall wirkte, als sei er über eine zu dünn geratene Gliederpuppe gestülpt. Der Jüngling machte ein Gesicht, als hätte er eine Zwiebel geschluckt und war nicht besonders gesprächig, aber das störte mich so kurz nach dem Aufstehen nicht. Im Gegenteil, es gab mir Zeit, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Eigentlich hatte ich die Wartezeit bis zum Eintreffen der Papaya nutzen wollen, um mich nach einem neuen Oxwandler umzusehen. Aber am Vorabend war ich einfach zu erschöpft gewesen, mich noch darum zu kümmern, und nun war es zu spät.
Ursprünglich hatte ich gehofft, nein, geglaubt, Jules würde mir dabei helfen. Bis sich der Verräter heimlich davonschlich. Das sollte mir in Zukunft eine Lehre sein, mich dem nächstbesten Anhalter an den Hals zu werfen. Nicht dass ich mich ihm buchstäblich an den Hals geworfen hätte, aber ich hatte zumindest mit dem Gedanken gespielt. Verflucht, warum hatte ich es nicht getan? Vielleicht war er einfach weg, weil er mich für prüde hielt.
Wir erreichten zum Glück den Knoten, bevor ich mich noch tiefer in Selbstzweifeln vergraben konnte. Mein jugendlicher Begleiter steuerte geradewegs auf den Flur zu, der zum Komm-Zentrum führte. Aber ich erspähte Marsh, der ein voll beladenes Tablett balancierte und das gleiche Ziel zu haben schien. Ich lief ihm entgegen und er ließ es zu, dass ich ihm die Tüte abnahm, die er unter den linken Arm geklemmt hatte. Der betörende Duft und die Wärme verrieten mir, dass sie die angekündigten frischen Brötchen enthielt. „Guten Morgen! Sarah hat also nicht zu viel versprochen."
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Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 Shortlist
Science FictionEigentlich sollte ich nur die Tochter des Senators nach Europa-5 bringen. Der Lohn würde reichen, endlich mein Schiff zu überholen. Aber das Schicksal meinte es anders. Es bescherte mir nicht nur einen Asteroideneinschlag, sondern auch einen blinder...