Diesmal ließ die auf- und abschwellende Sirene das Blut in meinen Adern gefrieren. Allerdings fand ich nicht die Zeit, den alarminduzierten Schockzustand zu analysieren. Die Tatsache, dass die anderen Anwesenden mich mit angsterfüllten Augen anstarrten, riss mich in nützlicher Frist aus meiner Starre. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, was die neue Sirene bedeutete.
Dieser unverkennbare Ton, das Äquivalent der sieben Trompeten der Apokalypse für alle Raumfahrer, das Geräusch das wir mehr fürchten als die Begegnung mit dem Steuereintreiber, kündigte das Versagen der Sauerstoffaufbereitung an.
Unverzüglich hechtete ich zur Hauptkonsole, eifrig bemüht, meine Fassung wiederzugewinnen. Als Captain war ich schließlich für das Wohlergehen meiner Crew und Passagiere verantwortlich. Selbst wenn die Crew aus einer Katze bestand und ich auf die Gesellschaft der regulären Passagiere gerne verzichtet hätte.
Es galt als erstes, dem anstehenden Problem auf den Grund zu gehen. Jules bewies auch sogleich, dass er nützlicher war als der Rest der Anwesenden. Souverän hielt er mir den Rücken frei, indem er Herakles und die Prinzessin mit scharfer Stimme zum Schweigen verdonnerte, bevor sie überhaupt daran dachten, aufzumucksen.
Leider hatte ich keine Zeit, ihm zu seinem bühnenreifen Auftritt zu gratulieren. Fieberhaft war ich bereits dabei die Analysen der Scanner zu überprüfen und Dichtungen zu kontrollieren. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Die trügerische Normalität stand in krassen Gegensatz zum Heulton der Sirene. Verspätet kam ich auf die Idee, sie abzuschalten. Jules lächelte mir zu, den verstörten Pilot im Arm, und die Prinzessin nahm die Finger aus den Ohren. Ich verkniff mir ein Grinsen über die unkönigliche Geste und wandte mich wieder meinem Problem zu.
Falls tatsächlich ein Asteroid durch die Aussenhülle gedrungen war, hatte die Autoversiegelung einwandfrei funktioniert. Warum zum Zeus versagte also die vermaledeite Oxanlage?
Mein Körper schrie nach Kaffee, aber das musste warten. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen rief ich die Anzeige für die Sauerstoffsättigung der Atemluft auf. Bei gleichbleibendem Verbrauch konnten wir mit dem, was im Schiff vorhanden war, zwei Tage durchhalten. Maximum. Danach wären wir auf Raumanzüge und Rettungskapseln angewiesen. Jules, der mir über die Schulter blickte, stellte mit leiser Stimme eine nüchterne Frage. „Was ist mit der Ersatzanlage?"
Ich seufzte. Der Junge war gut. Zielstrebig hatte er meinen wunden Punkt berührt. Laut Vorschrift, und dies ist wohl die einzige Vorschrift, die niemand mit einer Strafandrohung durchsetzen muss, besitzt jedes Schiff eine Ersatzanlage. Das galt auch für Nemesis. Allerdings würde sie uns im Moment nicht weiterhelfen.
„Die Kalkpatronen sind im Eimer. Ich wollte sie auf Sol-1 ersetzen lassen, aber dank dieser verfluchten und absolut unsinnigen neuen Gesetzgebung des Senats war niemand bereit, mir Ersatzteile zu liefern. Alle potentiellen Wiederverkäufer machten sich vor Angst in die Gravitationsstiefel."
Ein erschrockenes Keuchen erinnerte mich an die Anwesenheit der Prinzessin. Richtig, ihr Vater saß im Senat und war maßgeblich mitverantwortlich für diese oxygen-deprivierten Maßnahmen.
Es mag aus dem Dunst der irdischen Atmosphäre heraus ja nett aussehen und Wählerstimmen einbringen, die lokalen wirtschaftlichen Monopole zu schützen. Aber hier draußen sterben Raumer wegen der finanzpolitischen Spiele der Staubfüßler.
Meine Sympathie für den senatorialen Nachwuchs hielt sich verständlicherweise in Grenzen. Geschah der verwöhnten Göre ganz recht, die Konsequenzen von Papas kurzsichtiger Politik am eigenen Leib zu erfahren. Ich schnaubte verächtlich.„Komm mit Jules, sehen wir uns den Schaden näher an."
Ohne meine Passagiere eines Blickes zu würdigen, drängte ich mich an ihnen vorbei, zurück zur Treppe in den Maschinenraum. Allerdings nicht ohne vorher meine Konsole mit meinem Retinacode zu sperren. Es fehlte uns gerade noch, dass Herakles oder Omphale an der Navigation herumspielten.
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Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 Shortlist
Science FictionEigentlich sollte ich nur die Tochter des Senators nach Europa-5 bringen. Der Lohn würde reichen, endlich mein Schiff zu überholen. Aber das Schicksal meinte es anders. Es bescherte mir nicht nur einen Asteroideneinschlag, sondern auch einen blinder...