Wir hatten die Tür zum Hauptkommando erreicht, als ein Ruf Tanja innehalten ließ.
„Tanja Darling. Können wir woanders hingehen? Ich brauche einen Drink, selbst wenn es nur Kaffee ist." Ich hatte natürlich schon von Ludmilla gehört, war ihr aber noch nie persönlich begegnet. Als sie mit langen Schritten auf und zukam genügte ein Blick, um zu verstehen, warum sie die große Ludmilla genannt wurde. Sie hätte selbst Marsh noch ein gutes Stück überragt und hatte es zudem geschafft, einiges an Muskeln anzusetzen, was für Stationsbewohner noch ungewöhnlicher war als für Raumfahrer. Wir waren alle davon besessen, mit regelmäßigem Training dem Muskelschwund vorzubeugen.
Alles in allem war Ludmilla eine beeindruckende Erscheinung in ihrem fleckigen Overall und mit dem wilden, feuerroten, von grauen Strähnen durchzogenen Haar, das sich wie eine Wolke um ihr Gesicht mit den kantigen Zügen kräuselte. Aber so auffällig ihre Erscheinung war, mein Blick streifte sie nur, um an der Person hängenzubleiben, die einen Schritt hinter ihr stehenblieb, halb verborgen von ihren maßigen Schultern.
Jules' Overall war noch schmutziger, als ich ihn in Erinnerung hatte, die Bartstoppeln auffälliger, und sein Gesicht war mit schwarzem Öl verschmiert. Aber seine Augen blitzten schalkhaft, und sein Grinsen zeigte zwei Reihen perlweißer Zähne. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, aber Ludmilla schob sich beinahe besitzergreifend vor ihn.
„Lasst uns rüber zu Marsh gehen. Ich denke, wir haben einiges zu besprechen." Ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich gewohnt war, dass man Ihr Beachtung schenkte.
Ich hatte nichts dagegen, das Gespräch, das bestimmt nicht angenehm wurde, bei Marsh zu führen und blickte Tanja an. „Ich könnte einen weiteren Kaffee vertragen. Was denkst du?"
„Von mir aus. Also los." Die ungeduldige Geste und die Blicke, die sie zwischen Ludmilla, Jules und mir hin- und herwandern ließ zeigten deutlich, dass sie sich ungern geschlagen gab.
Vermutlich hätte sie sich lieber in ihren neutralen Besprechungsraum zurückgezogen. Ich war erleichtert, dass sie dennoch einlenkte. Unterwegs schien Ludmilla irgendwie immer zwischen Jules und mir zu bleiben. Das hinderte mich daran, mit meinem ehemaligen blinden Passagier ein paar ungestörte Worte zu wechseln und machte meine zunehmend gereizte Stimmung nicht besser.
Endlich erreichten wir Marshs Lokal, das inzwischen schon wieder recht präsentabel aussah. Er hatte sich wohl Hilfe beim Aufräumen besorgt. Der Schankraum war leer, was mich überraschte. Dann fiel mir ein, dass es nach Stationszeit immer noch sehr früh sein musste. Tanja wirkte erleichtert, als ob sie gerne auf Zeugen unserer Besprechung verzichten konnte.
Ludmilla führte uns geradewegs zu einem Ecktisch, schubste Jules ziemlich unsanft auf den hinteren Platz auf der Bank und setzte sich neben ihn. „Marsh, eine Runde von deinem Muntermacher für alle!" Ihre Stimme war laut genug, um Tote aufzuwecken und Marshs Kaffee als unnötige Zutat erscheinen zu lassen. Eine gebrummte Antwort aus einem Hinterraum ließ ahnen, dass der Lokalbesitzer zumindest anwesend war.
Jules hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt, aber seine Mundwinkel zeigten immer noch nach oben, normalerweise ein Zeichen seiner guten Laune. Während ich mich ihm gegenüber setzte, fragte ich mich, weshalb er unter all dem Schmutz gerade aussah, als hätte er in der Lotterie gewonnen.
Tanja nahm sich den Stuhl neben mir. „Ludmilla. Was war so dringend dass du uns aus dem Frachtdeck hochholen ließt?" Sie saß sehr gerade und nur auf der Stuhlkante. „Und wer ist dein Gast?"
Jules räusperte sich. „Mein Name ist Jules Dubois. Ich bin vorgestern mit Lo hier angekommen."
Genau. Und danach hatte er sich dünn gemacht, ohne mir auf Wiedersehen zu sagen. Ärger stieg in meiner Kehle auf wie ein bitter Pfropfen. Bevor Tanja etwas sagen konnte, verschaffte ich mir Luft. „Jules, wo warst du? Du bist einfach ohne ein Wort abgehauen."
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Und mein Schiff heißt Nemesis | Wattys 2021 Shortlist
Science FictionEigentlich sollte ich nur die Tochter des Senators nach Europa-5 bringen. Der Lohn würde reichen, endlich mein Schiff zu überholen. Aber das Schicksal meinte es anders. Es bescherte mir nicht nur einen Asteroideneinschlag, sondern auch einen blinder...