Misstrauisch starrt sie ihn an, geht seiner Forderung nicht nach und erhebt stattdessen ihre Stimme.
„Ich werde die Akte nicht lesen und mir noch weniger so einen Schwachsinn anhören. Du sprichst über eine Tote, über Tote macht man keine Witze.″
Der Stuhl kippt nach hinten als sie aufspringt und nach der Tüte greift, ihre Augen vor Wut zusammen gekniffen.
„Du wirst hineinschauen, vielleicht nicht heute aber du wirst nicht mit der Ungewissheit leben können. Und wenn du sie liest, wirst du sehen wie ernst mir die Sache ist.″
Sein Blick ist stechend, seine Haltung macht ihr Angst, lässt sie sich nur noch schneller umdrehen und aus dem Restaurant stürmen. Unruhig bleibt sie stehen, wartet bis eine Lücke zwischen den fahrenden Autos entsteht und läuft über die Straße, dabei schlägt die Plastiktüte gegen ihr rechtes Bein. Mit hektischem Atem drückt sie auf den Fahrstuhlknopf, drängt sich durch die halboffene Tür und lehnt sich gegen das kühle Metall.
Hazel ist schlecht, alles dreht sich außer das Gesicht, dass vor ihren inneren Augen erscheint und sie ansieht.Sich über die Augen reibend steigt sie aus, schließt die Tür ihres Apartments hinter sich und macht das Licht an. Die Tüte in ihrer Hand schwingt hin und her, als sie sich vor eines der Fenster stellt und nach unten sieht.
Nichts Außergewöhnliches fällt ihr auf, noch immer ist der Verkehr dicht und Leute strömen zu dem kleinen Restaurant. Mit einem Ruck schließt sie die Vorhänge und zwingt sich so nicht mehr nach unten zu starren, dahin wo sie gerade noch von Harvey geflüchtet ist. Ob sie die Polizei rufen sollte? Vermutlich würde das nicht bringen, um so schneller sie diesen seltsamen Vorfall vergisst um so besser. Ob Harvey schuldig oder unschuldig ist kann sie noch immer nicht beurteilen, will sie auch gar nicht wissen, Hazel weiß nur, dass es besser ist von ihm fernzuhalten. Selbst wenn es stimmt was er sagt, was sollte sie tun? Für Gerechtigkeit kämpfen, die eh nicht mehr hergestellt werden kann? Emilias Familie wieder den Schmerz erleben lassen, die Wunden wieder aufreißen und hoffen, dass aus dem Blut etwas wächst, dass ihnen hilft? Nein. So wütend der Gedanke etwas könnte an seinen Vorwürfen stimmen sie auch macht, handeln würde sie nicht. Besonders da sie seine Gründe für sein Handeln nicht kennt, vielleicht tut er das Ganze nur für die Gerechtigkeit, vielleicht handelt er aber auch so aus Intrige und möchte ihr Schaden.
Zweites wäre durchaus realistischer, wenn Hazel bedenkt, wie manipulativ er sich verhält und versucht sie mit Behauptungen aus der Reserve zu locken. Sie hätte gleich aufstehen soll als er sich an ihren Tisch gesetzt hat, ihm nicht mal zuhören sollen. Aber jetzt ist es zu spät das zu ändern.Keine Stunde hat Hazel geschlafen als ihr Wecker klingelt. Noch nicht einmal den Wochentag weiß sie, vermutlich ist es Mittwoch, immer wenn sie nicht weiß welcher Wochentag heute ist, ist es Mittwoch. Ihr wird schwindlig als sie aufsteht, ihre Sicht ist schwarz und ihre sonst so ruhigen Hände fangen das Zittern an. Heute hat sie noch frei, erst morgen beginnt wieder ihr geordneter Alltag. Die Sonne blendet sie als sie durch den Park läuft, vorbei an den vertrockneten Blätter der Bäume und den erhitzenden Bänken. Hazel sieht sie bevor sie, sie sieht. Es ist nicht die Art wie sie gekleidet ist, es ist die Art wie sie von ihren angesehen wird, als sie auf Hazel zuläuft. Eine Frau, groß und absolut konzentriert auf Hazel, ihr Ziel. Statt panisch zu werden, blickt sie sich um, hält nach anderen Spaziergängern oder einen Ausweg Ausschau, sieht aber zwischen den trockenen Bäumen und den Kiesweg keine Fluchtmöglichkeit.
Die Frau bleibt vor ihr stehen, scheint den Blick über ihre Erscheinung gleiten zu lassen und streckt ihre Hand aus.
„Hazel, oder? Ich bin Runa, Josephines Freundin.″
Der bittere Kaffee verbrennt ihr den Mund, als sie die dunkele Flüssigkeit herunterschluckt und ihr Gegenüber anstarrt. Die Tische sind kaum besetzt, nur eine alte, trällernde Stimme säuselt aus einem Lautsprecher und besingt ihre verstorbene Liebe.
„Es ist rund ein Jahr her als Harvey das erste Mal Josephine kontaktiert hat, ich habe es zu dem Zeitpunkt gar nicht richtig mitbekommen. Mir ist nur aufgefallen, dass sie wieder in ihr altes Verhaltensmuster gefallen ist, sich wieder mit den falschen Menschen getroffen hat. Wenn sie mal nach Hause gekommen ist, hing sie an ihrem Handy, sie haben miteinander geschrieben oder telefoniert. Josephine ist abhängig von ihm geworden. Ich bin misstrauisch geworden und habe die Chats gelesen, er hatte angefangen sie nach dir auszufragen.″
Runa macht eine Pause, richtet einen ihrer Ohrringe bevor sie weiter erzählt.
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Tick
Teen Fiction2092, zwei Jahre vor Hazel Moores Geburt wurde Sulion, ein Heilmittel gegen Krebs, erfunden. Die Menschheit wächst, so schnell und so stark, dass kaum noch freie Fläche auf der Welt existiert. Die menschliche Rasse besteht aus 12 Milliarden Mensch...