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Hazel kann sich nicht an ihren letzten Streit erinnern und hätte nicht gedacht, dass es jeweils wieder so weit kommen würde. Wenn sie sich gestritten haben war es wenig Kleinigkeiten, weil die andere zu oft abgesagt hat oder sich lange nicht gemeldet hat, aber nie war es um etwas Ernsteres gegangen. Betretene Stille ist zwischen den übrigen drei aufgetreten. Es ist windig geworden, die Kette an dem Schloss der Tür Eingangstür schlägt unablässig gegen das Metall. Hazels Haare kleben an ihrem Gesicht, nicht nur wegen der aufkommenden Windböe, sondern weil auch ihre Augen nicht trocken geblieben sind.

Der Wind in den wenigen, ausgedörrten Bäumen flüstert, so zischend, dass sie glaubt er würde sie verspotten. Resigniert schließt sie ihre Augen, um Runas entsetzte Gesicht nicht mehr sehen zu müssen und den verletzten Ausdruck auf Josephines Gesicht zu vergessen. Das schlechte Gewissen verbreitet sich wie ein Gift in ihrem Körper aus, streckt sich von ihrem Schlüsselbein bis hin zu ihrem Knöchel Gelenk, bis sich alles taub und leer anfühlt.

Auch Runa lässt Josephines Gefühlsausbruch nicht kalt, stumm starrt sie auf ihre Hände und fragt sich, wann aus ihrer glücklichen Beziehung ein unglückliches Chaos herangewachsen ist. Das Hazel ihr die Antwort auf diese Frage nicht geben kann, merkt sie, als sie in den selben leeren und verwirrten Gesichtsausdruck starrt. Die drei bleiben sitzen bis die Sonne hinter der kargen Landschaft verschwunden ist und nichts als Kälte und Dunkelheit hinterlässt. Die Nacht gibt ihnen keine Ruhe, alle vier wälzen sich unruhig hin und her, als würde sie auf heiße Kohle liegen und nur durch Bewegung Erlösung von dem Schmerz finden. Erst als es fast zum Morgen graut fallen Hazels Lider zu und das Geräusch des Windes wird von Josephines Stimme abgelöst, die durch ihre Träume schleicht und sie immer wieder an ihr Versagen erinnert.

Das grelle Licht weckt sie, das ungehindert auf ihre geröteten Augen scheint und langsam die Feuchtigkeit aus ihrer Haut zieht, bis sie sich wie altes Leder anfühlt, dass über ihr Gesicht gespannt wurde. Dieses Mal ist sie nicht als Erste wacht. Die Anderen Fünf sind schon draußen und frühstücken. Statt ihrem Hunger nachzugehen, läuft Hazel zu dem Tisch, an dem Nathan gestern gearbeitet hat. Die Blätter sind nicht mehr da und der PC lässt sich nicht ohne Code öffnen. Angespannt beißt sie sich auf die spröden Lippen, als sie anfängt die Schubladen zu durchsuchen, die alle bis auf eine abgeschlossen sind. Als ihre Finger dann auch noch statt Leere eine Mappe vorfindet, entsteht Misstrauen in ihr.

Entweder Nathan und Harvey sind um einiges dümmer und unvorsichtiger als sie bis jetzt angenommen hat oder sie haben gewollt, dass sie die Mappe findet. Zu gerne hätte Hazel sie aufgeschlagen, sich die Blätter angesehen und jede noch so kleinste Information in sich aufgesaugt, hätte sie nicht die Schritte einer der anderen gehört. Die Mappe verschwindet in ihrer auf dem Boden liegenden Jacke, ein schnelles, wenn auch naives Versteck. Dass es Luna ist, die hinter ihr steht, merkt sie an dem Klacken der Absätze auf dem Betonboden, dass von den Wänden widerzuhallt, bis ein unheilvoller Chor des eintönigen Klangs entsteht. „Guten Morgen.″, ihre Stimme klingt, wie Hazel bemerkt, kratzig bis hin zu näselnd. Anscheinend war sie nicht immun gegen die Abendkälte und verdankt nicht nur der Müdigkeit die Blässe, die sich über ihre Wangenknochen ziert. „Morgen, sind schon alle draußen?″ Zuerst findet Hazel nicht ihren zweiten Schuh, erst als sie sich auf den Boden kniet, bekommt sie die Schnürsenkel des fehlenden Sneakers zufassen. „Ja, wir haben für dich mit gedeckt.″

„Danke, ich gehe davor noch ins Bad. Ich komme gleich nach", erwidert sie, während sie den Staub von ihrer Hose klopft. Kurz überlegt Hazel, ob sie doch noch die Mappe ansehen soll, statt sich frisch zu machen, entscheidet sich aber dagegen. Neugierde ist nicht immer hilfreich. Erst als die gerötete Haut, die in letzter Zeit zu viel Sonne abbekommen hat, gewachsen ist und die Haare frei von Knoten sind, setzt sie sich zu den Anderen. Josephine sieht Hazel nicht an, als sie sich den frischen Teller und den leeren Becher nimmt, stattdessen starrt sie ihre zweite, noch unbestrichene Scheibe Brot an. Nathan und Harvey sitzen auch in der Runde, auch wenn sie geistig nur halb anwesend zu sein scheinen.

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