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Ihre Füße kribbeln, als sie aus dem hohen Wagen springt und auf dem trockenen Erdboden landet, der schon angefangen hat lange, dünne Risse zu werfen. Luna ist gleich hinter ihr und hält sich kurz nach der Landung an Hazels Arm fest, damit sie nicht wieder ins Schwanken gerät. Kurz glimmt Eifersucht in Hazel auf, als sie Lunas perfekte, erdfarbene Haut, ihre glatten und glänzende schwarzen Haare und die hellen blauen Augen länger als flüchtig betrachtet. Tief wie das Meer und gleichzeitig so strahlend Blau wie der Himmel an einem heißen Sommertag, sind Lunas mandelfarbenen Augen, die von tiefschwarzen Wimpern umgeben werden. Hazels Haare sehen wahrlich stumpf gegen ihre aus, obwohl sie in ihren Heimatsort jeden vierten Montag im Monat ihre Friseurin - Helenena, einer rundlichen Frau, die schon seit über zwanzig Jahren Haare schneidet und legte - besucht, sich die Spitzen schneiden lässt und eine nach Rosen duftende Maske bestellt. Kanada vermisst sie mehr als alles andere, nun wo die Sonne wieder unbeschränkt auf sie herabrennt und sie in die Gesichter lauter fremde Menschen starrt. Das hätte sie beunruhigen müssen, aber das tat es nicht. Vielleicht lag es an dem Streit oder den mangelnden Schlaf den sie in der viel zu heißen Nacht bekommen hat. Oder es liegt am Sturz, gestern hatte die Wunde wieder mehr weh getan und der Aufprall hatte vielleicht ihrem Geist mehr Schaden zugefügt als sie vermutet hatte. Es waren komische Gestalten, die bisherigen Tick-Anhänger waren gewöhnliche Personen, Menschen die Familien hatten, gewöhnlichen Berufen - soweit sie das Glück hatten eine der wenigen Angestelltenplätze ergattern zu können - aber die vor ihr sahen abstrakt, ja schon fast unwahr aus. Die Augen waren zu hell und zu beißend in der Farbe um echt sein zu können und die Haut war über und über mit Zeichen verziert, die noch vor einigen Zeiten als modern durchgehen könnten aber heute nicht mehr als ab sonderbar sind. Es fällt ihr schwer nicht zu starren, während Harvey und Nathan begrüßt werden.

Der Mann in der Mitte hat die Haare kurz rasiert, ein blaues Sakko an und ein grünes und ein lilanes - fast schon fliederfarbenes - Auge, dass immer nach oben und unten zuckt. Tatsächlich bevorzugt die Oberschicht oft ausgefallene Mode, zumindestens sind die Schaufenster der teuren Boutiquen, die Läden die mit Kameras und Sensoren ausgestattet sind, voll mit seltsamer Kleidung. Schrillen langen Röcken, klobig geschnitten Jacken und exotischen Kopfbedeckungen. Aber in diesem Ausmaß hatte sie es nie zu Gesicht bekommen. Wie eine graue Motte umgeben vom schillernden Schmetterlingen, fühlt sie sich, als auch sie sich vorstellen. Der Mann, dessen Hand sie schüttelt, scheint schon länger ergraut zu sein, abgesehen von den blauen, grünen und gelben Strähnen die sich am Ende seines langes Haaren um das Sonnenlicht streiten. „Sehr erfreut, Hazel.″ Sein Händedruck ist warm, die Stimme schwingt beim Reden auf und nieder und der Schmuck um sein Handgelenk klimpert bei jeder Bewegung. Als Ozel stellt er sich vor, ein komischer Name der auf seinen, alles andere als ordinären Besitzer, maßgeschneidert zu sein scheint. „Schade, dass wir uns aus einen so unerfreulichen Grund kennenlernen.″
Er scheint ihre Überraschung über seine Worte zu bemerken und legt seine alters gezeichnete Hand auf ihre schmale Schulter. „Wieso ist der Grund unerfreulich?″ Seine buschigen, grauen Augenbrauen heben sich in die Höhe. „Ist eine Flucht nicht immer unerfreulich? Zum Glück konntet ihr schnell genug die Lagerhalle verlassen, es hat ein schreckliches Feuer gegeben.″ „Ein Feuer?″ „Oh ja, die Regierung wollte euren Tod wohl wie einen Unfall aussehen lassen.″
Hazel wird ganz blass um die Nase, ihre Beine - zwar noch etwas blau und mitgenommen von dem Sturm - die sie sonst immer verlässlich tragen, geraten ins Wanken als sie an den möglichen Tod denkt.
„Oh Gott.″ Runa, die dem Gespräch gelauscht hat, schafft es nicht ihren Mund wieder zu schließen und sich den entsetzten Ausdruck aus ihrem Gesicht zu wischen. „Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, wir haben alles im Griff.″ Harvey der zuvor noch mit Nathan gesprochen hat, wendet sich jetzt ihnen zu und versucht der Panik den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Alles im Griff? Ich dachte, die Regierung hilft euch, Nathan? Dabei fährt ihr euren eigenen, verrückten Egotrip″ Der Kloß in ihrem Hals scheint zu wachsen, das Sprechen fällt ihr schwer, zu sehr zittert ihr dünner Körper. „Wir haben nicht gedacht, dass unser Verrat so schnell auffällt. Der Protest wird auf morgen früh verschoben, das ist alles. Wir sind hier sicher. Nachdem zweiten Protest kann nichts mehr schiefgehen.″ Ihre Hände zuckten, am liebsten wäre sie auf ihn losgegangen, hätte ihn angeschrien, all den Frust, all die Angst losgelassen, aber sie lässt es. Wie so viele Male. Findet ihre Fassung wieder und schluckt die Wut herunter, bis nur noch der bittere Nachgeschmack übrig ist. „Ich werde bei dem nächsten Aufstand sicherlich nicht mitmachen.″ „Du bist aber wichtig für den nächsten Aufstand, wir alle müssen, als geschlossene Einheit auftreten, um die Menschen für Tick zu begeistern.″ Keiner von ihnen will die Augen des anderen loslassen. „Ihr seid die Redner, es würde nicht auffallen, wenn Runa und ich nicht mitmachen.″ „Nein, dieses Mal wird jeder von uns etwas sagen. Und anschließend wird es ein kleines, gemütliches Feuer geben.″ Nathan bringt Hazel dazu doch den Blick abzuwenden und sich stattdessen auf sein Grinsen zu konzentrieren. „Was für ein Feuer?″ Runa hat die Arme in die Seite gestemmt, dabei kommen die Muskelansätze zum Vorschein, die sie dem jahrelangen schleppen und heben zu verdanken hat. „Wenn der Protest den Höhepunkt erreicht, beenden wir die Show mit dem Abfackeln des Regierungsgebäudes. Das Ganze muss nur schnell gehen, jetzt wo unser Verrat aufgeflogen ist.″

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