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"Aber was sollen wir dagegen machen? Ehrlichen Bürgen das Recht nehmen einem Kind das Leben zu schenken? Sollen wir das Sterben von systemirrelevanten Menschen befürworten? Oder gar ärztliche Hilfe ganz einstellen, bis die Natur ihren Lauf nimmt und uns langsam immer weiter eindämmt? Nein, wir sind besser als das. Wir haben Moral, Prinzipien und Regeln, die wir dafür nicht aufs Spiel setzten dürfen. Es muss ein anderen Weg geben. Einen Weg, der nicht Unschuldige bestraft und einen Unterschied zwischen reich und arm, schön und hässlich oder begabt und mittelmäßig macht. Seit 2048 sind die Anzahl der Gefängnisinsassen immer weiter angestiegen, bis die Regierung sich gezwungen sah klein Kriminelle und Steuerhinterzieher wieder in das freie Leben zu entlassen. Den Luxus, Menschen die den geraden Weg hinter sich gelassen zu haben, wieder in das System zu integrieren, können wir uns nicht leisten.

Dieser Schritt reicht aber nicht, das Land, dass bis jetzt für die großen, schönen Häuser der Reichen und Beliebten hinhalten musste, wird für die Allgemeinheit herhalten. Parks, die aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln, nicht in Stand gehalten werden konnten und asphaltiert wurden, werden wieder begrünt, finanziert von den Geld, dass die Oberschicht wieder abgeben wird. Die Universalregierung, eingeschlossen alle Strippenzieher und Unterarbeiter, werden vor den Gerichtshof gestellt. Auch die Großfirmen, die immer mehr ihre Macht missbraucht und ihre eigenen Taschen gefüllt haben, werden zur Rechenschaft gezogen. Ärzte, die Patienten aufgrund ihres sozialen Status, Behandlungen verwehrt haben, müssen verurteilt werden.

Die Inselstaaten, die sich der Universalregierung angeschlossen haben und die als Gefängnisse oder Reiseziele für die oberste Schicht, verwendet wurden, werden bebaut und erschwinglich gehalten. Schritt für Schritt werden wir die Normen brechen, bis jeder genügend Platz, ein anständiges Dach über den Kopf hat und sich das leisten kann, was er für ein zufriedenes Leben braucht. Die Regierung wird nicht aufgeben, die nächsten Tage, Wochen oder auch Monate werden voll sein, von Gewalt, Hass und Verzweiflung, aber uns muss bewusst sein, dass das der Preis für unsere Gerechtigkeit ist. Nur gemeinsam können wir unser Ziel erreichen, weshalb wir keinen Lügen glauben und keine Versuche glücken lassen können, die versuchen uns auseinander zu treiben. Das alleine reicht allerdings nicht, noch immer sind wir zu wenige um den Machthabern die Stirn zu bieten.

Die Videos und Texte sind online, sie müssen sich verbreiten wie ein Lauffeuer und alles was sich in den Weg stellt und jeden, der sich unserer Bewegung in den Weg stellt, unter sich begraben. Gemeinsam sind wir stark genug um die Welt, wie wir sie jetzt kennen, aus den Angeln zu heben. Es ist der Tag gekommen, an dem wir endlich aufhören zuzusehen und selbst das Spielfeld betreten."

Harveys Hand, die er in all seiner Euphorie nach oben gerissen hat, verharrt, als seine Worte verstummen und Stille auf der Straße unter ihnen einkehrt. Erst sieht sie die Bewegung, das Zusammenschnellen der vielen Hände und hört dann das stechend laute Geräusch des Beifalls. Zitternd atmet sie aus, löst die Hand, die sich davor krampfhaft zusammengeballt hat wieder und starrt in die vielen begeisterten Gesichter. Ihnen gefallen die Worte, die vielen kantigen Gesichter und dünnen Gestalten saugen sie auf, als wäre es Nektar. Die langersehnte Erlösung von dem Leben in einer Welt, in der Wohnungs-, Arbeits-und Versorgungsknappheit herrscht. Vor ihnen der augenscheinliche Messias, der sie von Leid und Sorgen freisprechen soll. Nathan tritt vor, steht wieder auf einer Augenhöhe mit Harvey und legt ihm brüderlich den Arm um die sehnige Schulter. Seine blonden Haare sind zurückgegeelt, geben den Blick auf den schelmen Ausdruck in den dunkelblauen Augen frei. Hazel tritt noch weiter zurück, in der Angst, die Menge unter ihnen könnte sich doch noch sehen und erkennen.

Der Schatten, der Mauern hinter ihr legt sich über sie und und lässt sie vollkommen verschwinden. Runa nimmt sie gar nicht wahr, starrt nur regungslos nach vorne. Hazel sucht Halt, nach einem nicht verblendeten Gesicht, aber auch Josephine und Luna achten nicht auf sie, sondern sind mit den Spektakel vor sich beschäftigt. Der Applaus und die Rufe enden nicht, stattdessen werden sie immer lauter, bis der Einzelne nicht mehr zu erkennen ist sondern ein neuer, lauter, einnehmender Klang entsteht. Sie kann nur noch Harveys und Nathans Rücken sehen, die aufrechte Haltung, die die selbstsicheren und zuversichtlichen Worte unterstützen. Dann sieht sie mehr als verdeckte Haut, blickt direkt in ein Gesicht und ein helles paar Augen, dass sich in all dem Chaos und Lärm nur auf sie richtet. Er hat sich umgedreht, die Hand schon längst wieder gesunken und streckt die langen, blassen Finger nach ihr aus. Kaum merklich schüttelt sie den Kopf, den Pakt, den sie eingegangen sind hat nur die Rede beinhaltet, mehr nicht.

TickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt