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Nickend blickt Hazel wieder gerade aus, wartet geduldig bis ihre Freundin, die richtigen Worte gefunden hat. „Ich weiß, dass Runa und du nicht gerade begeistert von Harvey und all dem seid.″ Kurz stoppt sie, bevor Josephine mit festerer Stimme fortfährt. „Ich glaube daran Hazel, an das, was er verspricht, auch wenn es fast unmöglich scheint. Mein Vater wurde ohne richtigen Prozess hingerichtet und wieso? Weil er in den Augen der Regierung nichts wert war", sagt Josephine, mit Wut in ihrer Stimme. Ihre Augenbrauen kräuseln sich dabei, bilden Schnörkel und verharren unnatürlich weit oben auf ihrer Stirn. „Das weiß ich Josephine, aber wir werden jetzt als kanadische und amerikanische Staatsfeinde angesehen. Und die Chancen, dass wir noch lange leben sind gering, wirklich gering. Selbst Mexiko wird von dem amerikanischen Militär regiert, wir sind da nicht sicherer als hier", erwidert Hazel und kann nur schwer ihren Ärger zurückhalten, den Ärger darüber, dass ihre Freundin blind einer Idee hinterherläuft, die zum Scheitern verurteilt ist.
„Nicht mehr lange.″
„Das kannst du nicht wirklich glauben.″, sprachlos schüttelt Hazel den Kopf, geschockt von Josephines Naivität. „Ich glaube du unterschätzt Tick, die TV-Show war nur der Funke, der den Scheiterhaufen in Brand setzt. Du weißt nicht was gerade in Mexiko passiert, aber du wirst eine ganz andere Sichtweise auf all das hier haben, wenn du es siehst", erwidert Josephine. Darauf sagt Hazel nichts, sondern starrt einen Punkt zwischen dem grauen Himmel und dem blauen Wasser an. Josephine ist anscheinend verrückt geworden, genauso durchgedreht wie Harvey.
„Es tut mir leid, dass ich dich und Runa mit all dem in Gefahr bringe, aber es geht nicht ohne euch.″ „Wieso? Harvey hat doch schon den Virus, wieso braucht er noch immer mich?″ „Du bist die einzige Person auf dieser Welt, die gegen den Virus immun ist, deshalb bist du wichtig.″ Sie zweifelt nicht daran, dass Josephines Worte wahr sind, als sie sie hört, aber merkt, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Unmerklich kneift Hazel die Augen zusammen. „Sicher, dass das der einzige Grund ist?″, fragt sie. „Nein. Jetzt wo bekannt ist, dass der Virus mit deiner DNA zusammenhängt, ist es zu riskant dich allein herumlaufen zu lassen. Wenn Harvey den Virus schaffen konnte, können das auch Andere.″
Insgesamt haben sie vier Kabinen auf dem Schiff, eine für Harvey, eine für Luna, eine für Hazel und eine für Josephine und Runa. Hazel fühlt sich von der Enge erschlagen, als sie ihre Kabine betritt. Sie hat kein Fenster, die Möbel scheinen schon seit einiger Zeit nicht mehr hell zu sein und haben schon deutliche Benutzspuren und Flecken. Die Wände sind weiß, an manchen Stellen grau und an den Rändern dunkelgrün verfärbt. Das Bett ist einfach, die Fläche steinhart und die Decke kratzig. An Schlaf kann Hazel nicht denken, lieber starrt sie vor sich hin und versucht ihren aufgewühlten Magen zu beruhigen. Ab und an ist das Knallen von Türen zu hören und Stimmen, dessen Sinn unter dem Meeresrauschen verloren geht. Zischend vor Schmerz, hält Hazel kurz inne, als sie versucht mit ihrer Bürste, ihre verknoteten Haare zu richten, die sich zu einem Turm auf ihren Kopf zusammengehäuft haben. Ein schmerzhaftes Verfahren.
Ihre Zähne putzt sie anschließend, die Zahnbürste und Zahnpasta hat Runa ihr nach dem Abendessen gegeben und sie vor dem bitteren Geschmack gewarnt, nicht zu Unrecht wie Hazel leider feststellen muss. Dann legt sie sich hin, lauscht ihrer eigenen Atmung und den Gesprächen aus der Nachbarkabine. Sie erkennt Harveys Stimme, hört aber keine Zweite, was sie auf ein Telefonat schließen lässt.
Die weiße Farbe der Wand verschmilzt mit den hellen Punkten, die anfangen vor ihren Augen hin und her zu tanzen, als würden sie den vielen, schwebenden Staubkörnern ausweichen wollen. Das Schiff schaukelt währenddessen kaum merklich auf und ab, als würde es so Hazel ein Schlaflied singen wollen. Langsam dämmert sie weg, ihre Augenlider werden immer schwerer, ihre Atmung wird lauter und ihre Brust senkt und hebt sich unter der dicken Decke regelmäßig. Sie bekommt nicht mehr mit, wie ihre Tür einen Spalt weit geöffnet wird und Runa einen Blick auf sie wirft, um sicherzugehen das alles in Ordnung ist.
Wirklich viel sieht Hazel nicht von dem Schiff oder es kommt ihr nur so vor, da alles gleich aussieht, sowohl die Kabinen als auch die Umgebung über Deck. Die Crew ignoriert sie und Runa, mit dem Rest reden sie, obwohl Luna Waights Fragen auch nur sehr karg beantwortet werden. Viel geredet hat Hazel mit ihr nicht, nur das Nötigste, was aber keinen der Beiden stört.
Seitdem sie weiß, dass Luna hinter Harvey und Tick steht, ist sie ihr genauso unheimlich geworden wie ihre aktuelle Situation. Josephine hingegen ignoriert sie ganz, zu tief sitzt die Wut in Hazels Herzen, auch wenn sie weiß, dass sie diesen bald herunterschlucken muss, um mehr Antworten zu erhalten. Nur Runa vertraut sie zurzeit ihre Meinung und Gedanken an, für die sie als Gegensatz von ihr aufgeschnappte Gespräche erzählt bekommt, die mal mehr und mal weniger Sinn ergeben.

TickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt