23

12 3 0
                                    

Sie schlägt seine Hand weg und reibt mit ihren eigenen Fingern über ihr blasses Kinn, um das widerwärtige Gefühl zu vetreiben, das seine Hand ausgelöst hat. "Fass mich nicht an." Die Hysterie ist aus ihrer Stimme verschwunden, trotzdem klingen ihre Worte schriller, als sie noch vor ein paar Stunden geklungen hätten. Sein Blick kommt ihr unangenehm stechend vor, die Haltung nicht mehr gerade sondern lauernd und der Zug um seine Mundwinkel brutal. "Es war der einzige Weg, um heute zu gewinnen. Es musste sein." Seine Stimme klingt noch sanfter als sonst und am Liebsten würde sie ihm glauben, nach dem verbotenen Apfel greifen, den ihr die Schlange angepriesen hat. Nur um die Angst und die Wut nicht mehr fühlen zu müssen, die durch ihren Körper wüten."Wir hätten sterben können, Runa hätte sterben können. Wusste Josephine das? Wusste sie von dem Plan uns mit den Virus zu infizieren?" Die Worte überschlagen sich und hallen von den hohen Wänden wieder, die die Hitze in Hazels Wangen nicht verhindern können. Rote Streifen breiten sich auf ihrem Dekolleté aus und kriechen über ihren Hals bis hoch zu ihren Ohren. Die Hitze fühlt sich noch viel schlimmer an, als die, die noch vor kurzer Zeit vor dem Gebäude wütete.

"Runa hatte nie das Virus, nur du, weil es dich nicht umbringen kann. Josephine wusste, dass es kein nennenwertes Risiko gibt." Er streckt nicht noch mal seine Hand nach ihr aus, aber sein Blick bleibt weiterhin auf ihr liegen. "Runa hätte sterben können! Ich hätte sie doch nur anfassen müssen!" Sie hat angefangen zu schreien, obwohl ihre Stimme eh schon so viel lauter und tiefer zwischen den hohen Gemäuer klingt. In Harvey rührt sich nichts, er zuckt nicht zusammen, versucht nicht sie zu beruhigen oder ihr seine Beweggründe zu erklären, stattdessen dreht er sich um. Lässt sie stehen, lässt zu dass sich wieder eine Hand in den Nacken legt und sie weiter gezerrt wird. Ihr Mund öffnet sich, aber sagen kann sie nichts, zu sehr zittern ihre Lippen. Der weiße Boden gerät wieder in ihr Sichtfeld, während ihre müden Füße unbeholfen über die glatte Oberfläche gleiten. Ihre Arme hängen steif an ihren Körper herab und ihr Kopf fühlt sich schwer an, wipt bei jeder Bewegung auf und ab als könnte ihr dünner Hals das Gewicht nicht mehr halten.

Vor ihr taucht eine Treppe auf, dieses Mal schwarz und nicht weiß. Kleine helle Einschlüsse durchziehen den schwarzen Stein in dem sich ihre dreckigen Hosenbeine spiegeln. Einen Schritt vor den Anderen. Der Griff in ihrem Nacken lockert sich, als sie wieder auf geradem Boden stehen und nach rechts laufen. Das Weiß der Wände ist hier noch greller als unten. Das Bein ihres Hintermanns reibt an ihrer Hose und erzeugt ein widerliches Ratschen. Ob Runa vor oder hinter ihr ist - oder überhaupt noch in ihrer Nähe - weiß sie nicht. Sie müssen die Mitte des Saals erreicht haben, als die Schritte verstummen und sie zum Stehen kommen. Ihr Atem geht stoßweise und auf ihrer geröteten Haut haben sich, aufgrund der kühlen Luft, die dünnen Härchen aufgestellt, die sonst mit ihrer hellen Haut verschwimmen.

Dieses Mal wird statt an ihrem Kinn an ihrem Arm gezogen. Die Augen, die ihren begegnen, sind die selben. Hinter Harvey kann sie Runa ausmachen, die von den restlichen Maskenträger umringt wird. "Es tut mir leid Hazel, aber jetzt ist keine Zeit für Gefühle. Wenn die Rede nicht so abläuft, wie Nathan und ich es seit Monaten geplant haben, dann wird Runa einem noch viel höheren Risiko ausgesetzt sein. Nicht nur sie, wir alle." Harveys lange Finger, drücken bei jedem Wort leicht zu und lassen bei jeder Pause nach. Ihr Gesicht verzieht sich, die sonst eher weichen, fast schon faden Gesichtszüge, formen eine wütende Fratze. "Du hast uns beinahe umgebracht und stellst jetzt Forderungen als wäre nichts passiert. Beende den Wahnsinn, es kann doch so nicht weitergehen. Was ihr macht ist falsch und wird scheitern und uns allen das Leben kosten. Wenn wir uns stellen, haben wir noch eine Chance zu überleben. Ich will nicht sterben Harvey." Der Griff wird stärker als ihre Arme zu Zittern beginnen. Sie sieht ihn an, sieht in die hellen Augen, die zwischen den langen Haarsträhnen noch wirrer aussehen als sie es eh schon sind. Die sonst immer herrschende Hibbeligkeit hat ihn verlassen, felsenfest stehen seine schmutzverschmierten Schuhe auf den glatten Boden, während sein Gesicht einen starren Ausdruck annimmt. Die Wärme seiner Hand auf ihrem Arm ist das Einzige, dass sie an seine Menschlichkeit erinnert.

TickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt