25 || Eine Blase aus Selbstmitleid

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Waves - Dean Lewis

Als ich am nächsten Morgen in den Spiegel guckte, starrte mir ein Wesen entgegen, dass mehr einer Leiche als einem lebenden Menschen ähnelte. Meine Augen waren rot, von dem ganzen Weinen, meine Lippen waren spröde und ausgetrocknet und mein Gesicht war fahl und blass. Es wirkte so, als wäre jedes Leben aus mir ausgehaucht und genauso fühlte ich mich auch.

Ich hatte mich gestern, nachdem ich nach Hause gekommen war, in meinem Zimmer eingeschlossen und den ganzen Tag in mein Kissen geheult, bis keine Tränen mehr gekommen waren. Dann hatte ich nur noch auf meinem Bett gelegen und die Decke angestarrt. Ich fühlte mich so leer, als hätte Noah nicht nur mein Herz, sondern all meine Freude am Leben zerstört.

Nur mit Mühe kämpfte ich gegen das Gefühl an, von der ganzen Welt ungewollt zu sein. Meine leiblichen Eltern wollten mich nicht, der Junge, den ich liebte, wollte mich nicht, sondern hielt mich für eine erbärmliche Person… Irgendwie hatte ich das Gefühl, einfach gänzlich unerwünscht zu sein.

Aber dieses Mal ließ ich mich nicht von meinen durch die Emotionen benebelten Gedanken zu etwas Dummen verleiten, sondern nutzte meiner Trauer und Wut produktiv, indem ich meine Gitarre herausholte und einen Song zu schreiben begann. Ein Lied über falsche, vorgespielte Liebe, eine schreckliche Wette und gebrochene Herzen, von dem sich die Protagonistin jedoch nicht unterkriegen ließ.

Denn genau das würde ich nicht tun, ich würde nicht zulassen, dass ich jetzt wie ein Trauerkloß in Selbstmitleid und Liebeskummer versank. Nein, ich würde stark sein! Ich würde Noah nicht die Genugtuung geben, mich am Boden liegen zu sehen.

Als ich gegen Abend meine Tür doch wieder aufgeschlossen hatte, war meine Mutter hereingekommen und hatte mir etwas zu Essen gebracht. Sie hatte mich nicht darauf angesprochen, was passiert war, sondern mich einfach nur in den Arm genommen und festgehalten.

In diesem Moment waren mir doch wieder die Tränen gekommen und ich hatte heulend in ihren Armen gelegen, wie ein kleines Kind. So viel zum Starksein...

Aber so sehr ich meine Trauer in Hass gegen Noah umwandeln wollte, es ging nicht. Selbst nachdem er mich betrogen, belogen und ausgenutzt hatte, konnte ich ihn nicht hassen.

Und nun stand ich hier vor meinem Spiegel und schmierte mir die dritte Schicht Concealer auf meine dunklen Augenringe. Selbst nachdem ich fertig war, konnte man mir ansehen, dass ich die ganze Nacht kaum geschlafen hatte. Ich zog mir ein schlichtes schwarzes Top und eine hellblaue Jeans an, dann lief ich nach unten in die Küche, wo meine Famile bereits am Frühstücken war.

"Guten Morgen", murmelte ich, wobei meine Stimme ganz rau und kratzig klang. Ich räusperte mich kurz und kippte dann anschließend einen ganzes Glas Wasser auf Ex, um meinen trockenen Hals zu befeuchten.

Es kam ein allerseitiges "Guten Morgen" zurück und sowohl Tyler als auch meine Eltern musterten mich vorsichtig, als würden sie befürchten, dass ich jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen würde.

Und auch wenn ich mich ganz danach fühlte, hatte ich mir fest vorgenommen, keine weitere Träne für diesen miesen Wixxer zu vergießen. Auf der anderen Seite wusste ich aber natürlich auch, dass mir das nicht gelingen würde.

Mir bangte es jetzt schon vor meiner ersten Begegnung mit Noah, ich wusste nicht, ob ich das aushalten würde. Aber noch weniger wollte ich Noah das Gefühl geben, mich so sehr verletzt zu haben, dass ich noch nicht mal mehr wegen ihm zur Schule gehen würde.

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