CN: Gedanken an Tod und töten, Angst, Kindstod
Was war das gewesen? Alec hatte sie geküsst. Nur sehr flüchtig, aber es war ein Kuss gewesen.
Stumm stellte Mel sich in die Reihe der Wartenden. Ihr Blick glitt in die Ferne, ihre Gedanken waren wie gelähmt. Als hätte sich Nebel in ihrem Kopf ausgebreitet und jegliche Gedanken verschluckt.
Nur ganz langsam rückte ihr Fokus zurück in die Gegenwart, gleichsam wie die Reihe von Jugendlichen, in der sie stand, Schritt für Schritt nach vorne trat, um ihre verpflichtende Anwesenheit zu bestätigen. Die Erkenntnis dessen, was gerade passiert war, trat in Mels Bewusstsein.
Wieso hatte Alec das getan?
War er in sie verliebt? Klar, sie wohnten nebeneinander, gingen in die gleiche Schule und ihre Familien waren nachbarschaftlich befreundet. Sie hatten schon einige Stunden zusammen verbracht, hatten zusammen mit ihren Eltern zu Abend gegessen und waren öfter zusammen einkaufen gegangen. Aber trotzdem, sie kannten sich kaum. Befreundet sein war etwas anderes.
Hatte sie etwas bemerkt, früher? Soweit sie sich erinnern konnte, nicht.
In Gedanken versunken trat sie an den Tisch, hinter dem eine Friedenswächterin saß und in ein Buch blickte.
Ohne aufzuschauen, fragte diese mit kalter Stimme: "Nachname?"
"Hook"
Sie blätterte einige Seiten um.
"Robin?" Irritiert kniff Mel die Augen zusammen. Dass die Friedenswächterin sie mit Robin verwechselt hatte...
„Nein, Melody."
"Geh weiter."Sie fühlte sich schlecht. Sie hatte nicht gewusst, dass Alec sie so mochte, und empfand es auch nicht als schlimm, dass er es ihr gezeigt hatte. Aber wie sollte es weitergehen? Sie war sich ziemlich sicher, dass sie nicht in ihn verliebt war. Oder? War da etwas in ihr?
Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten. War sie aufgeregt wegen Alec? Oder wegen der Ernte? Oder hatte der Name Robin irgendetwas in ihr getriggert? Letzteres konnte eigentlich nicht der Fall sein. Schließlich hatte sie ihren älteren Bruder nie kennengelernt, der kurz nach seiner Geburt gestorben war. Als Andenken an ihn trug sie das Rotkehlchen immer bei sich. Rotkehlchen, Robin...
Sie konnte ihre verwirrenden Gefühle gerade einfach nicht sortieren.
Die Sirene ertönte erneut. Die letzte Warnung zur Vollversammlung. Mit einem Schlag war Mel wieder in der Gegenwart. Ihre Verwirrtheit rückte in den Hintergrund ihres Bewusstseins, als ihr wieder klar wurde, dass heute DER Tag war. Und sie sorgte sich um einen Kuss!
Automatisch folgte sie dem Wink des weiß-gekleideten Friedenswächters, der ihr einen Platz in der Menge der fünfzehn-jährigen Mädchen zuwies. Angespannt nahm sie ihn ein und ballte ihre Hände zu Fäusten, um das Zittern unter Kontrolle zu bekommen.
Wenn man sich bei der Erntezeremonie auffällig verhielt, gab es Konsequenzen. Zumindest seit den Spielen vor sechsundzwanzig Jahren mit den berühmten Tributen aus Zwölf.
In der Schule wurden sie genauestens in der Geschichte der Hungerspiele unterrichtet und wussten somit Bescheid über das, was damals geschehen war. Aber das war natürlich nur die Sicht des Kapitols...
Die Tür des Justizgebäudes hinter der Bühne öffnete sich und der Bürgermeister sowie die vier lebenden Sieger des Distrikts traten heraus. Der Bürgermeister trat nach vorn an das Mikrofon und räusperte sich, bevor er begann, zu der mittlerweile mucksmäuschenstillen Menge von Jugendlichen und den Erwachsenen, die um den Platz herumstanden, zu sprechen.
"Ich wünsche euch fröhliche Hungerspiele."
Glücklich sah er nicht aus.
"In diesem Jahr feiern wir die einhundertsten Hungerspiele, eine Tradition, die uns mit den anderen Distrikten und dem Kapitol zutiefst vereint. In den bisherigen neunundneunzig Jahren konnte Distrikt Acht stolze sechs Sieger aufweisen, die da wären, Savera Inchcape, Woof Casino, Indigo Weaver, Cecelia Sánchez, Riva Manclude und Dolph Trist."
Mit diesen Worten erhoben sich die zwei Frauen und zwei Männer hinter ihm von ihren Stühlen und die Erwachsenen klatschten höflich. Auch einige der Mädchen um Mel herum applaudierten leise und sie tat es ihnen gleich. Nicht auffallen.Nun betrat die Betreuerin des Distriktes und der Tribute aus Distrikt Acht, Maja Rauner, die Bühne - in einem neon-orangefarbenen Kostüm und unnatürlich gut gelaunt. Sie wackelte auf ihren hohen Schuhen zum Mikrofon, rief laut "Fröhliche Hungerspiele! Und möge das Glück stets mit euch sein!" hinein, sodass der Hall von den umstehenden Häusern zurückgeworfen wurde, und deutete auf die riesige Leinwand, die neben der Bühne hing.
Auf der weißen Fläche erschien das übertragene Video von Präsidentin Snow, wohlwollend war der Blick, der in ihren Augen lag.
"In diesem Jahr, dem Jahr der einhundertsten Hungerspiele, feiern wir das vierte Jubel-Jubiläum! Und für dieses besondere Jahr gibt es natürlich auch besondere Regeln!"
Mit diesen Worten hob sie einen Brief in die Kamera und brach das Siegel.
Snow hob das dicke Pergamentpapier hoch und las vor: "Bei den einhundertsten alljährlichen Hungerspielen werden nur zwölf Tribute antreten, als Zeichen für die Gnade und das Wohlwollen des Kapitols. Als Gegenleistung der Distrikte gibt es eine weitere Regel: dieses Jahr wird es keine Freiwilligen geben."
Nur zwölf Tribute! Die Hälfte!
Ein erleichtertes Raunen lief durch die Menge. Endlich schien es mal eine Regel zu geben, die den Distrikten zugunsten kam. Es hätte viel schlimmer kommen können! Und die Karriere-Distrikte, die konnten keine Achtzehnjährigen als praktisch sichere Sieger in die Arena schicken!
Mel sah sich erleichtert um. Was konnte ihr jetzt schon passieren?
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Die 100. Hungerspiele: Täuschende Hoffnung
FanfictionWas wäre, wenn Katniss nie mit Peeta die 74. Spiele gewonnen hätte? Was wäre, wenn es die Hungerspiele immer noch gäbe? Eine mit Gefahren gespickte Arena, tödliche Gegner aus elf Distrikten und nur ein lebender Sieger am Ende: All das steht Mel, ein...