Kapitel 9

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CN: Gedanken an Tod, Waffen


Als um acht Uhr der Wecker klingelte, wachte Mel erstaunlicherweise erholt auf und fühlte sich ruhig und entspannt. Den Schlaf aus den Augen blinzelnd stand sie auf, streckte sich und ging dann herüber zur Kommode, wo frische Trainingskleidung wartete.
Es war seltsam, aber immer, wenn es ihr sehr schlecht ging, konnte sie umso besser schlafen. Keine schlechte Eigenschaft...
Wenige Minuten später saß sie mit Indigo, Cecelia, Maja und Morius am Tisch und kaute an einem Stück Brötchen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Indigo gestern Abend gar nicht beim Essen gewesen war. Was hatte er gemacht?
Sie beschloss, ihn lieber nicht zu fragen. Bisher hatte sie ihn ziemlich abwesend und in sich gekehrt erlebt.
"Was soll ich denn heute üben?", fragte sie stattdessen.
"Nun ja, andere Waffen auszuprobieren wird höchstwahrscheinlich nichts bringen. Üb am besten weiter mit deinen Messern und Wurfpfeilen. Ansonsten einfach Überlebensstrategien. Pflanzen und Tiere erkennen, Wasser finden, Tarnen, Klettern, Feuer machen... So etwas. Das hilft dir in der Arena vermutlich am meisten.", meinte Cecelia und Indigo brummte zustimmend.
Nach dem Frühstück begleitete Maja Mel zum Fahrstuhl und wünschte ihr viel Erfolg für den dritten Trainingstag, was sie zwar ganz nett, aber irgendwie seltsam fand. Maja schien sie immer begleiten zu wollen.

Mel und ihre Verbündeten hatten gestern noch beschlossen, heute nicht viel zusammen zu trainieren, um keine Hinweise zu geben. Lenox und Edric wollten in der Nähe der Karrieros bleiben, um mögliche Anhaltspunkte für eine Strategie zu bekommen, Mel wollte einfach an den Überlebensstationen weitermachen.

Als erstes wiederholte sie noch einmal die essbaren Pflanzen. Sie hatte die Notizen gestern Abend noch ein paar Mal gelesen und konnte schon deutlich mehr zuordnen. Das machte ihr gute Stimmung, denn Pflanzen waren ein wichtiger Bestandteil der Nahrung in der Arena. Ob sie überhaupt jagen konnte? Vermutlich nicht, oder nicht gut. Es war beruhigend, dass sie immerhin ein paar Pflanzen kannte.
Als sie an die Tarnstation trat, stand auf einmal Avery neben ihr. Erschrocken zuckte Mel zusammen.
"Hey", sagte das junge Mädchen schüchtern.
Mel wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Avery tat ihr unglaublich leid, aber sie durfte nicht mit ihr reden. Cecelia würde es garantiert herausbekommen und - was sie nicht vergessen durfte - die Spielemacher sahen zu.
"Hey", sagte sie und drehte sich ein Stückchen weg, tat so, als würde sie Farben aussuchen und ging ein paar Schritte um den Wagen mit Behältern herum. Avery sah sie kurz traurig an und flüsterte dann, sodass nur Mel es verstehen konnte: "Ist schon okay. Ich weiß, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Ich wollte dich nur warnen. Ich hab gehört, wie gestern jemand mit den Karrieros über dich geredet hat."
Ihre Irritation schien Mel ins Gesicht geschrieben, denn Avery merkte noch an, sie wisse nicht, wer es gewesen sei, und verließ sie dann wieder. Mel beobachtete, wie das Mädchen aus Zehn in Richtung der Kletterbäume lief und musste schlucken. Sie war so jung und trotzdem so klug und hilfsbereit, obwohl sie ihr signalisiert hatte, dass sie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte.
Während Mel versuchte, mit matschigen Farben aus Naturmaterialien ihren Arm so anzumalen, dass es draußen irgendwie unauffällig aussehen würde, schaute sie immer wieder zu den Bäumen.
Avery mühte sich sichtlich damit ab, hinaufzukommen, aber sie war ziemlich klein und die Äste weit auseinander. Immer wieder rutschte sie ab und gab schließlich nach der Hälfte auf. Langsam kletterte sie wieder herunter und rieb sich danach über die verschrammten Arme. Geknickt blickte sie sich um und Mel zwang sich, sich ganz auf die Tarnung zu konzentrieren, die allerdings immer schlechter wurde, je mehr Mühe sie sich gab. Es sah einfach nicht natürlich aus, sondern definitiv wie jemand, der lauter Beerenpampe auf seinem Arm verteilt hatte.
Frustriert wusch sie das Ergebnis weg und musste plötzlich kichern, als sie an die Beerenpampe dachte. Sie lachte leise und machte sich einigermaßen gut gelaunt an eine Runde Messerwerfen und Wurfpfeile. Es klappte nicht weniger gut als gestern, eher noch besser.
Stolz betrachtete Mel die Scheibe, in der immerhin vier von zehn Pfeilen steckengeblieben waren. Und das sogar ohne Coles Hilfe!

Die 100. Hungerspiele: Täuschende HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt