CN: Gedanken an Tod
Mel stand mit elf Jugendlichen, den anderen Tributen, in einer großen steinernen Halle.
Sie waren insgesamt sieben Jungen und fünf Mädchen. Die drei Karrieros, zwei weibliche und ein männlicher Tribut, standen zusammen und unterhielten sich. Dabei schauten sie arrogant mit vorgerecktem Kinn und straffen Schultern durch die Gegend, abschätzend, beobachtend.
Mel sah mit einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend unauffällig umher und versuchte, die anderen möglichst genau anzuschauen. Immerhin sah sie sie hier zum ersten Mal.
Es gab fünf Tribute, die sie auf fünfzehn Jahre oder jünger schätzte, was sie ein wenig beruhigte. Sie war mit Größe und Gewicht etwa im Mittelfeld ihres Alters und froh, dass sie auch hier nicht an der Spitze oder am Ende stand. Das Mittelfeld war immer noch am unauffälligsten.
Besonders auffallen taten ihr die Karrieros, natürlich, denn sie waren eindeutig die selbstsichersten und stärksten hier. Und sie hatten einen Vorteil - sie waren bereits in einer Gruppe zusammen. Sie und die anderen standen verloren neben den Wagen mit den schwarzen Pferden. Ein sehr junger Tribut fiel ihr auch auf. Wie alt war er wohl? Vermutlich nicht viel mehr als zwölf.
Eine Sirene tönte laut durch die Halle. Was das bedeutete, wusste sie nicht.
Mel sah erneut an sich hinunter.
Sie fand ihr Kostüm für die Parade wirklich toll: eine eng-anliegende, rote Uniform und ein wehender, hauchdünner Umhang aus bunten Flicken. In ihren dunklen Haaren, die sie bis auf einige geflochtene Strähnen offen trug, waren verschiedenfarbige Bänder geknotet. Wenn sie fuhren, würden sie bestimmt schön mit ihrem Haar wehen.
Wenn sie die Aufmerksamkeit der Sponsoren nicht durch Talente auf sich ziehen konnte, dann vielleicht durch Charm und gutes Aussehen. Hoffte sie. Sie war unglaublich nervös, knetete ihre Hände und schaute sich ununterbrochen um. Was, wenn sie es vermasselte? Sie war Menschenmengen nicht sonderlich gewohnt und hier waren es noch viel mehr als jemals in Acht. Irgendwie musste sie ihre Aufregung unter Kontrolle bringen, bevor es losging.
Morius kam auf sie zu und fing ohne Begrüßung an, zu reden: "Wenn du allein auf dem Wagen rausfährst, fang an, den Leuten zuzuwinken. Gewinn ihre Aufmerksamkeit. Dieses Jahr hast du nicht dreiundzwanzig Konkurrenten, das verschafft dir mehr Sponsoren, wenn du dich gut anstellst."
"Okay. Sonst noch was?"
"Nein, das wär's. Mit der zweiten Sirene startet der erste Wagen."
Morius zupfte einige der Bänder zurecht, musterte Mel abschätzig und zeigte ihr, wie sie fest auf dem Wagen stehen sollte, sodass sie sich in sämtliche Richtungen drehen konnte. Dann verließ er die Halle wieder.
Wie viele Zuschauer sind wohl draußen? Ihre Nervosität wurde von Minute zu Minute stärker. Immer wieder presste sie ihre Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen.
Du schaffst das! So schwer ist es doch nicht! Wovor hast du eigentlich Angst?, sprach sie in Gedanken mit sich selbst. Wirklich helfen tat ihr das aber nicht.
Als einige Minuten später das Signal zum zweiten Mal ging und der Wagen von Distrikt Eins in Richtung Ausgang gelenkt wurde, stieg Mel auch auf ihren Wagen. Mittlerweile zitterten auch ihre Beine und ihr ganzer Körper war angespannt. Sie hoffte bloß, nicht umzufallen.
Dann fuhr der erste Wagen los.Die Distrikte wurden der Reihe nach auf die Paradenallee gelenkt, dementsprechend war Mel etwa in der Mitte.
Als die Pferde vor ihrem Wagen sich bewegten und lostrabten, durchfuhr Mel ein Kribbeln. So viele Menschen standen in den Tribünen links und rechts des Weges! Sicher mehr, als in ihrem ganzen Distrikt lebten, und alle jubelten und schrien sie. Es war ohrenbetäubend.
Mel erinnerte sich an Morius' Worte und begann, zögernd der bunten, kreischenden Menge zuzuwinken. Ihre Angespanntheit ging ein klein wenig zurück, dennoch zitterte sie am ganzen Körper.
Als sie merkte, dass das Winken gut bei den Leuten ankam, wich schließlich das Zittern und sie stellte sich aufrechter hin.
Doch sie hatte das Gefühl, dass sie trotzdem unter den anderen Tributen unterging. Sie wirkten stärker, hübscher und beliebter als sie. Aber was konnte sie noch tun, um die Menge zu beeindrucken? Langsam taten ihre Arme weh.
Verzweifelt reckte sie beide Arme in den Himmel, lächelte, winkte und fühlte sich dabei wie auf dem Präsentierteller. Jeder konnte sie sehen, so viele Menschen riefen und warfen Rosen auf die steinerne Allee, auf der sie fuhren. Reichte das, was sie tat? Es musste - musste - reichen. Mehr konnte Mel nicht geben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hielten die Pferde auf dem runden Platz vor dem Trainingscenter an. Hoch über ihnen war eine steinerne Plattform zu sehen, an der das Wappen des Kapitols prangte. Präsidentin Snow und einige andere Leute saßen darauf und schauten auf die Parade der Tribute herab.
Als auch Distrikt Zwölf als letzter Wagen angekommen war, erhob sich die Präsidentin und sagte, durch ein Mikrofon verstärkt: "Willkommen, Tribute! Willkommen! Ich begrüße euch, und ich bin mir sicher, dass die ganze Nation hinter mir steht, im Kapitol! Ich möchte euch zu diesem ganz besonderen Jahr, dem Jahr der einhundersten alljährlichen Hungerspiele gratulieren. Es ist eine Ehre für euch, antreten zu dürfen in diesem gnädigen Jahr unserer Tradition. Tribute, ich wünsche euch fröhliche Hungerspiele. Möge das Glück stets mit euch sein!"
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Die 100. Hungerspiele: Täuschende Hoffnung
FanfictionWas wäre, wenn Katniss nie mit Peeta die 74. Spiele gewonnen hätte? Was wäre, wenn es die Hungerspiele immer noch gäbe? Eine mit Gefahren gespickte Arena, tödliche Gegner aus elf Distrikten und nur ein lebender Sieger am Ende: All das steht Mel, ein...