Kapitel 17

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CN: Tiertötung, Blut, Gedanken an Tod und töten


Oben in den Wipfeln bewegte sich etwas. Es raschelte, Zweige bewegten sich.
Mel lag auf dem Boden und beobachtete nun schon seit einer ganzen Weile den blauen Himmel mit den vorüberziehenden Wolken und die Baumkronen. Die Luft war wärmer geworden in den Mittagsstunden, sodass sie ihre Jacke ausgezogen hatte und als Kissen benutzte.
Nachdem sie geweint hatte, hatte sie sich besser gefühlt und Wasser in einem nahegelegenen Bach geholt. Danach hatte es nichts mehr zu tun gegeben, sie hatte doch noch ein paar Messer geworfen und sich dann hingelegt. Nun wartete sie darauf, dass die anderen zurückkehrten.
Es raschelte erneut und nun erkannte Mel, was sich mehrere Meter über ihr im Geäst des Laubbaums befand: ein Eichhörnchen wuselte umher und machte sich gerade daran, den Stamm kopfüber herunterzuklettern.
Mit den Augen verfolgte Mel den Baum entlang nach unten. Er stand nur wenige Meter entfernt von ihr. Eine Idee blitzte in ihr auf. Konnte sie es schaffen, das Eichhörnchen zu erlegen? Wenn es neben ihr auf dem Boden aufkam, konnte sie versuchen, es mit einem Messer zu treffen.
Sie hörte die kraxelnden Geräusche von den Pfoten des rötlichen Tieres auf der Rinde und setzte sich auf. Langsam erhob sie sich, darauf achtend, möglichst nicht auf trockene Blätter zu treten. Mit einem Griff hatte sie sich ein Messer geschnappt. Wo war das Eichhörnchen?

Da! Es hatte den Boden fast erreicht und befand sich auf ihrer Seite des Stammes. Unsicher hob Mel den Arm. Wann sollte sie werfen?
Das kleine Tier erstarrte. Sicher hatte es sie bemerkt, oder? Jetzt!
Mel schleuderte das Messer mit aller Kraft nach vorn und versuchte, so gut wie möglich zu zielen. Mit einem hässlichen Geräusch traf die Klinge auf den Körper des Eichhörnchens, das laut quiekte und wenige Sekunden später verstummte.
Mel öffnete die Augen. Sie hatte sie zusammengekniffen, sobald die Klinge ihre Hand verlassen hatte. Ich habe getroffen!, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich habe es wirklich getroffen!

Sie ging ein paar Schritte auf das Tier zu und sah, dass sich das Metall seitlich in den Körper gebohrt hatte. Auf einmal erfasste eine Welle aus Unsicherheit und Übelkeit Mel. War das Eichhörnchen tot? Sollte sie es erstechen? Und was dann?
Der Geruch von Blut hing in der Luft und Mel spürte, wie ihr Magen rebellierte. Schnell drehte sie sich weg und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Nach ungefähr einer Minute besserte sich ihr Zustand und sie konnte wieder klarer denken.
"Es ist nur ein totes Tier. Nichts anderes, als was du Zuhause auch gegessen hast.", flüsterte sie, während sie sich wieder umdrehte und auf das rotbraune Geschöpf zuging. Es bewegte sich nicht, als sie es vorsichtig hochnahm.
Mel musste schlucken, als sie das schlaffe Tier in der Hand hielt. Es hatte ein schönes, glattes Fell, dass sich weich anfühlte. "Los jetzt. Als erstes... abwaschen, denke ich.", sagte sie erneut zu sich selbst.
In der Nähe gab es ein winziges Rinnsal mit Wasser, den sie jetzt ansteuerte. Vorsichtig legte sie es in die nassen Blätter und beobachtete, wie das Blut weggespült wurde.
Eine neue, heftige Übelkeit erfasste sie. Mel bückte sich und würgte, aber es kam nichts. Wahrscheinlich hatte sie zu wenig gegessen, um sich zu übergeben, oder ihr Körper fand das gerade nicht so schlimm wie ihr Kopf.
Als sie das Gefühl hatte, es ginge wieder, nahm sie allen Mut zusammen, packte das Eichhörnchen und sprintete zum Lagerplatz zurück. Dort angekommen ließ sie es in die Blätter fallen, sammelte noch weiteres Laub zusammen und versteckte es darunter. Die anderen würden sich wohl oder übel darum kümmern müssen, wenn sie wiederkamen. Mel konnte es einfach nicht.


Ihre Verbündeten tauchten fast gleichzeitig wieder auf. Mel war beeindruckt, als sie die erbeuteten Sachen ausbreiteten: Sie hatten zwei Kapseln mit einem Paar Handschuhe, die für den Kampf geeignet waren, und drei handgroßen Stücken Trockenfleisch gefunden. Außerdem hatte Edda eine Maus gefangen und sie brachten mehrere Pilze und einige Sorten Beeren mit.
"Wow, ihr seid super!", sagte Mel erfreut. "Das Essen reicht bestimmt für den ganzen Tag."
Als sie die Geschichte mit dem Eichhörnchen erzählte, lachten sie alle. Mel war froh, dass keiner Kommentare darüber abgab, dass sie es nicht geschafft hatte, das Tier zu zerlegen. Stattdessen übernahm Edric es, das Fleisch fertigzumachen und gemeinsam brieten sie die Maus und das Eichhörnchen über einem kleinen Feuer. Dazu aßen sie den Rest des Brotes und die Pilze.
"Irgendwie hab ich noch Hunger." sagte Lenox, nachdem alles aufgegessen war.
"Ich auch", stimmte Edda mit ein. Auch Elyan und Mel nickten. Dass sie gestern und am Morgen nicht die gewohnte Menge gegessen hatten, machte sich bemerkbar.
Edric ergriff das Wort. "Dann lasst uns so viel essen, wie wir wollen. Wir brauchen heute Abend all unsere Kraft. Und wenn wir die Karrieros besiegen, haben wir eh genug. Und wenn wir nicht gegen sie ankommen, sind wir tot."
Einen Augenblick lang war es still und sie dachten über die Aussage nach. Mel musste zugeben, dass das einleuchtend klang. "Ich bin dafür"
Auch Elyan, Lenox und Edda bekundeten ihre Zustimmung, bevor sie auch noch die Beutel mit den Äpfeln und den Beeren ausleerten und sie genüsslich verschlangen.

Die 100. Hungerspiele: Täuschende HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt