Kapitel 15

43 4 8
                                    

CN: Tod, Waffen


Es konnte noch nicht viel Zeit vergangen sein, seit sie sich wieder hingelegt hatten, da knallte eine Kanone.
Mel fuhr hoch und blickte erschrocken in Eddas Richtung. "War das weit weg?"
"Ich glaub ja. Es hat sich angehört, als käme das aus der Richtung." Das Mädchen zeigte weg von ihnen in die Dunkelheit. Wenn Mel sich richtig erinnerte, war das Osten.
"Ich denke, wir müssen uns keine Sorgen machen. Die Karrieros sind weit weg.", sagte Lenox.

Zitternd legte Mel sich wieder auf die Matte und zog den Reißverschluss bis zum Kinn. Bestimmt hatte er Recht, trotzdem war ihre Müdigkeit einem unangenehmen Adrenalinstoß gewichen. Sie zog das Rotkehlchen aus der Tasche und drückte es. Dann rollte sie sich wieder zusammen.
Wenige Minuten später ertönte jedoch wieder ein lauter Klang. Im ersten Moment dachte sie, noch jemand war gestorben, doch dann erkannte sie die Hymne von Panem. Das bedeutete, nun wurden die Gefallenen des ersten Tages gezeigt...
Ihr Herz klopfte schnell, während sie versuchte, durch die Baumwipfel etwas zu erkennen. Da, ein erstes Bild wurde eingeblendet!
Sie hielt den Atem an. Es zeigte Eskil aus Distrikt Fünf. Danach folgte Garrick aus Neun. Das hieß, es fehlte noch ein Tribut, der heute gestorben war. Angst schoss wie ein Blitz durch ihr Herz. Was, wenn es Avery war?
Der Himmel zeigte jetzt das letzte Bild. Es war nicht Avery. Es war Cole.

"Cole ist tot", sagte Lenox mit einem ungläubigen Unterton in der Stimme.
Nein!
„Scheiße", flüsterte Edda.
"Gehen wir schlafen. Wir können morgen planen, wie es weitergeht." Auf Mels Blick hin fügte Edric zu dem Gesagten noch "Wir brauchen den Schlaf. Wirklich." hinzu.
Mit einem dumpfen Gefühl in der Brust ließ sie sich abermals zurück auf die Matte sinken. In ihrem Kopf wiederholten sich Lenox' Worte wieder und wieder, während die letzten Klänge der Hymne in der Nacht verschwanden. Cole ist tot, Cole ist tot, Cole ist tot. Sie schloss die Augen und da traf die Erkenntnis sie wie ein Faustschlag in der Dunkelheit.
Cole war heute getötet worden, möglicherweise nur Sekunden, nachdem sie die Lichtung verlassen hatte. Sie hatte ja gesehen, wie sich die Karrieros zu ihm gedreht hatten. Und sie war es auch gewesen, die geflohen war. Hätte sie ihn doch warnen können, ihn wegzerren von den anderen? Eine Welle aus Schuldgefühlen und Trauer überrollte sie und Tränen traten ihr in die Augen. Sie hatte doch nicht gewollt, dass er starb! Verzweifelt blickte sie in die schwarze Nacht und versuchte, nicht zu weinen. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Die anderen sollten nicht mitbekommen, wie es ihr ging und wie sehr es schmerzte, dass Cole weg war.
Er wird nie wieder nach Hause gehen.


Mitten in der Nacht spürte sie plötzlich eine Hand an ihrer Schulter. Panisch keuchte sie auf, hörte aber sofort eine Stimme: "Psst! Ich bin's doch, Edda!"
"Entschuldige!", flüsterte sie zurück. "Was ist?"
"Du bist dran mit Wache halten."
Mel stand auf, so leise es ging, und machte sich daran, um die Schlafenden herum zu dem Felsen am Fluss zu gelangen, auf dem Elyan seine Schicht begonnen hatte. Der halbvolle Mond brachte nur spärliches Licht in die Landschaft, sodass es ihr schwer fiel, ihre Verbündeten zu erkennen.
Die kalte Nachtluft drang durch ihre Jacke und ihr wurde bewusst, wie sehr es abgekühlt war. Erst setzte sie sich auf den Stein, aber dort fühlte sie sich so schutzlos, dass sie wieder heruntersprang und sich im Sitzen dagegen lehnte.
Mel lauschte in die Nacht und vernahm von überall her Geräusche: das plätschernde Wasser vom Fluss, Rascheln im Gebüsch, die Bewegungen ihrer Verbündeten, die sich im Schlaf umdrehten und gelegentliche Vogelrufe. Anfangs zuckte sie bei jedem lauteren Knacken zusammen und suchte mit den Augen die Umgebung ab, aber mit der Zeit gewöhnte sie sich an die natürliche Geräuschkulisse.
Zwei Mal erwischte sie sich dabei, wie ihre Augen schwer wurden, aber jedes Mal fing sie sich und ging ein paar Schritte, um wieder wach zu werden. Als das zum dritten Mal passierte, versprach sie sich selbst, jetzt wach zu bleiben. Es waren mit Sicherheit noch keine zwei Stunden um.

Die 100. Hungerspiele: Täuschende HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt