Waffen und Essen holen, mit den anderen dahin fliehen, wo die Spitze des Füllhorns hinzeigt. Wasser finden. Die Umgebung auskundschaften, Nahrung suchen, einen Plan machen. Karrieros ausschalten.
Mel wiederholte die ersten Dinge, die sie in der Arena tun sollte, immer wieder im Kopf. Waffen und Essen holen, mit den anderen fliehen, Wasser und Essen finden, Plan machen, Karrieros ausschalten.
Sie hob ihren Blick. Vor ihr saßen in einer Reihe die Tribute aus Eins bis Sechs, neben ihr die aus Sieben und den äußeren Distrikten. Sie waren schon eine ganze Weile mit dem Hovercraft unterwegs, bestimmt drei Stunden. Ihr Blick fiel auf Edda schräg vor ihr. Diese sah hoch und sie blinzelte mit dem Anflug eines Lächelns. Mehr ging nicht - sie durften sich schließlich auf keinen Fall verraten.
Waffen und Essen holen, fliehen, ...Die Tür glitt auf. Eine hochgewachsene Frau trat bis zur Schwelle und verkündete dann mit einer ungewöhnlich hellen Stimme: " Wir sind in wenigen Minuten da. Ihr steht erst auf, wenn ihr dazu aufgefordert werdet." Dann verließ sie den Raum wieder und die Tür ging hinter ihr zu.
Mel blickte sich um. So eng beieinander waren sie noch nie gewesen. Zwölf Tribute in einem Raum, nebeneinandersitzend. Und in einer halben Stunde würden sie aufeinander losgehen...
Sie mochte sich nicht vorstellen, wie es war, dreiundzwanzig Gegner zu haben und nicht elf. Sie konnte es kaum als Glück bezeichnen, aber sie war froh, dass es nicht mehr waren. Wenigstens ein bisschen leichter war es dieses Jahr...
Kurze Zeit später ruckelte es. Mel nahm an, dass es von der Landung kam, ansonsten war der Flug nämlich so ruhig verlaufen, dass sie kaum etwas davon gespürt hatte.
"Yorick" Die Frau war wieder da. Der Junge aus Distrikt Eins löste seinen Gurt, stand auf und ging auf ihren Wink hin in den Gang. Wenige Sekunden später wurde Davina aufgefordert, dann Edda. Schließlich war Mel an der Reihe. Im Gang warteten Friedenswächter, zwei davon platzierten sich rechts und links von ihr und geleiteten sie bis zu einem Aufzug. So zwischen ihnen eingeengt fühlte Mel sich wie eine Verbrecherin, die abgeführt wurde, um eingesperrt oder getötet zu werden. Aber genau das wurde sie ja eigentlich auch...
Nach dem Aufzug folgte ein weiterer Gang. Zu dritt schritten sie weiter an den grau-weiß gekachelten Wänden vorbei, bis sie an eine Tür mit der Aufschrift "8" kamen.
"Hier herein", sagte einer der Männer, öffnete die Tür und Mel trat ein. Die beiden Friedenswächter blieben draußen."Es ist zwanzig vor Zwölf, du hast noch bis zur vollen Stunde Zeit, um dich umzuziehen, etwas zu essen und zu trinken."
Morius stand neben einem Kleiderständer, an dem sich wohl die Arena-Kleidung für Mel befand. Sie nickte und machte sich daran, ihre Klamotten gegen diese einzutauschen, obwohl es ihr unangenehm war, sich vor den Stylisten umzuziehen. Drei Minuten später hatte sie eine locker liegende, dunkelbraune Hose und ein grünes T-Shirt an. Morius reichte ihr eine Jacke, die sie überstreifte. Sie war leicht, schien aber einiges auszuhalten und war warm. Der schwarze Stoff machte kein Geräusch, als sie sich bewegte. Zuletzt tauschte sie ihre Trainingsschuhe gegen feste Schuhe mit deutlichem Profil ein.
"Willst du etwas essen oder trinken?", fragte ihr Stylist. Mel nickte, froh darüber, dass er gerade wenigstens nicht fies war. Auf einem Tisch in der Ecke standen Brot, ein bisschen Fleisch und eine Schale mit Gemüse. Sie musste schlucken. Beim Anblick des Essens wurde ihr wieder schlecht, aber sie zwang sich, eine Scheibe Brot und Wasser zu sich zu nehmen. Danach fischte sie Karottenstücke aus der Schale.
"Noch zehn Minuten", verkündete eine blecherne Stimme durch eine Tonanlage, die in der Ecke des Zimmers hing.
Zehn Minuten. Noch zehn Minuten, bis sie auf der Plattform am anderen Ende des Raumes nach oben fahren würde, bis die letzten sicheren sechzig Sekunden gezählt wurden und der Gong ertönte, noch zehn Minuten, bis sie womöglich starb oder verletzt wurde-
"Melody!"
Morius' Stimme holte sie mit ihrem harten Klang wieder ins Hier und Jetzt. Trotzdem raste ihr Herz weiter in ihrer Brust und ihre Hände zitterten. Mechanisch griff sie nach dem Rotkehlchen, dass sie in ihrer neue Jackentasche verstaut hatte. Ihre Finger krampften sich darum, während sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Es klappte glücklicherweise. Die anderen durften sie nicht schwach sehen.
Mel rückte den Stuhl ein wenig vom Tisch ab. Essen konnte sie jetzt auf keinen Fall mehr.Vergeblich versuchte sie sich zu beruhigen, aber bald war sie so aufgewühlt, dass sie am liebsten aus dem Zimmer gestürzt wäre, obwohl da die Friedenswächter sicher Wache hielten. Aber es gab keinen Ausweg.
Es gab keinen anderen Weg als die Plattform, die in wenigen Augenblicken nach oben fahren würde."Noch eine Minute" Mels Herz raste so sehr, dass sie das Gefühl hatte, es würde jeden Moment in ihrer Brust zerspringen. Sie wischte sich die schwitzigen Handflächen an der Hose ab und stand auf. Morius hielt ihr eine Hand entgegen und führte sie zu der metallenen Plattform. "Danke", flüsterte sie. Er nickte.
"Noch dreißig Sekunden"
Mel trat mit wackligen Beinen auf die runde Platte. Mit einem leisen Schabegeräusch schlossen sich Glaswände um sie herum. Plötzlich fühlte sie sich, als erwache sie aus einem Traum. Das hier passierte wirklich. Das hier passiert wirklich. Sie musste gleich, in eineinhalb Minuten um ihr Leben kämpfen. Sie musste wegrennen, die anderen finden und an Waffen und Essen kommen. Es waren nicht mehr länger nur Worte in ihrem Kopf. Sie musste da draußen überleben. Und vielleicht war sie in kurzer Zeit eine von denen, die getötet hatten. Es gab nichts mehr, was sie tun konnte. Sie konnte nur noch warten.Und dann erhob sich die Startplattform langsam nach oben, hinein in die Arena.
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Die 100. Hungerspiele: Täuschende Hoffnung
Fiksi PenggemarWas wäre, wenn Katniss nie mit Peeta die 74. Spiele gewonnen hätte? Was wäre, wenn es die Hungerspiele immer noch gäbe? Eine mit Gefahren gespickte Arena, tödliche Gegner aus elf Distrikten und nur ein lebender Sieger am Ende: All das steht Mel, ein...