6.- Blicke
Ich hatte nie darüber nachgedacht, was Zeit bedeutet. Nie darüber nachgedacht, welch seltsames Konstrukt ebenjene bildete und wie zerbrechlich es für einige auf dieser Welt war.
Meine Schwester war noch so jung gewesen, als ihre Zeit vorbei war. 17 und frisch verliebt in einen jungen Mann. Ich wusste nicht viel über ihn, hatte ihn zwei, vielleicht drei Mal gesehen. Immerzu trug er Kontaktlinsen. Rot, gold, braun, blau.
Sein Name war Fred gewesen. Das wusste ich noch.
Nachdem meine Schwester umgekommen war, hatte er unser zu Hause besucht. Er hatte seine Anteilnahme ausgedrückt und mich sogar umarmt. Damals hatte ich keine Hoffnung mehr, doch als ich an diesem Abend wach in meinem Krankenbett lag spielte sich eben jene Szene immer und immer wieder in meinem Kopf ab.
„Naara." Ihr Name fühlte sich schon fremd auf meinen Lippen an. Die Neonröhren an der Decke fingen gefährlich an zu flackern und der Herbststurm, welcher draußen wie ein Weltuntergang toste rüttelte an den Fenstern des Krankenzimmers.
Ich teilte es mir mit zwei anderen Frauen. Beide hatten eine Operation hinter sich und schliefen tief und fest.
Ich griff zu meinem Handy, in der Hoffnung eine Nachricht von jemanden erhalten zu haben. Ich würde nicht enttäuscht, tatsächlich fand sich eine SMS auf meinem Handy. Sie war von einer fremden Nummer und als ich auf sie ging stand dort nichts weiter als ein Wort.Nimm dich in Acht. Es muss nicht auf diese Weise enden. Und lauf. Lauf so schnell du kannst.
Irritiert löschte ich die Nachricht und legte es zurück auf meinen Nachttisch.
Vermutlich ein schlechter Scherz, mir war es zur Zeit eher nicht möglich zu laufen, auch wenn ich mit der Schiene und den Krücken schon gut zurecht kam.Mein Handy pipste leise, eine Nachricht war eingegangen. Schnell riss ich es wieder von dem Beistelltisch und öffnete den Messenger erneut. José Sántes. Ich hatte lange nichts mehr von meinem Ex-Freund gehört und beinahe neugierig öffnete ich die Textnachricht.
Deine Mutter hat mir erzählt, dass du einen Unfall hattest. Wie geht es dir?
Ich wollte mit dir reden. Es ist dringend, also Ruf am besten so schnell wie möglich zurück.
-JoséIch starrte die Nachricht einige Sekunden an, bevor ich langsam seine Nummer eintippte. Zögernd wählte ich die Freigabe Taste und ein rauschendes Tuten begann. Ein leises Knacken am anderen Ende der Leitung verriet mir, dass José abgenommen hatte.
„Du rufst an."
„Du hast darum gebeten.", ich klang kühler als ich es gedacht hätte.
„Nell, hör zu. Ich habe dir erklärt, warum ich weg musste."
„Rein gar nichts hast du mir erklärt! Jetzt komm zum Punkt.", fauchte ich leise. Ich wollte meine Zimmernachbarinen nicht wecken.
„Ich werde übernächste Woche nach Forks kommen. Freunde meines Vaters leben dort und haben mich dort um ein wichtiges Treffen gebeten.", er schwieg kurz, bevor er vortfuhr, „Meine Mutter meinte, ich sollte dir vorher Bescheid sagen."
Ich kniff die Augen leicht zusammen. Es war klar, dass er nicht selbst auf die Idee gekommen sein konnte mich zu warnen.
„Tritt mir bloß nicht unter die Augen."
Die Zimmertür öffnete sich, ich wusste, dass die Visite anstand. Carlisle kam gefolgt von einer Schwester und einem Praktikanten in das Zimmer.
„Ich hatte gehofft, wir könnten noch einmal reden..."
„Und ich hatte gehofft, dass ich mich mit dir nicht mehr befassen müsste. Also sei so gut und lass mich in Frieden."
Ich drückte auf den roten Knopf und legte mein Handy weg. Die Schwester und die Praktikantin waren damit beschäftigt, aufmerksam die Akten durchzulesen, während Carlisle mich wachsam beobachtete.
„Wie geht es dir heute?" Er trat einen Schritt näher an mein Bett und blickte nun auf mein vergipstes Bein.
„Blendend." Ich war genervt und obwohl Carlisle nicht einmal etwas für meine Stimmung konnte, sah er mich gleich sehr aufmerksam an.
Auch die Schwester sah mich erschrocken an.
Es passierte anscheinend selten, dass Patienten Carlisle so angingen, was aus diversen Gründen selbsterklärend war.
„Stress in der Liebe?" Die Praktikantin grinste Keck und ich starrte sie finster an.
„Wenn das Liebe wäre, wäre ich um meine Gesundheit besorgt.", zischte ich und setzte mich beinahe energisch auf, was von meinen Rippen jedoch nicht sehr gut aufgenommen wurde.
Ich japste auf und rang kurz nach Luft. Fluchend biss ich mir auf die Lippe und versuchte wieder gleichmäßig ein- und auszuatmen.
Ich bemerkte erst im letzten Moment, wie Carlisle mir das Oberteil bis zu meinen verletzten Rippen hochzog und diese vorsichtig betastete.
Seine Hände waren eiskalt und sofort war ich von ihm eingenommen. Ich spürte wie meine Wut langsam verrauchte und verfluchte mich innerlich für meine Anfälligkeit.
Nur weil er unglaublich gut aussehend war, konnte ich nicht jegliche Professionalität verlieren.
„Du musst aufpassen. Wenn sich die Rippen verschieben und deine Lunge verletzen kann es zu einem Pneumothorax kommen."
Er schob das Oberteil nach unten.
„Ich weiß, was passieren könnte. Ich sollte selbst seit einer Woche hier arbeiten...", sagte ich, doch der erzielte Nachdruck in meiner Stimme erschien eher jämmerlich.
Carlisle schenkte mir einen sanften Blick und lächelte bemitleidend.
„Rosalie, Emmet und Alice wollten deine Mutter heute bei dem Besuch begleiten. Dann hast du etwas mehr Gesellschaft."
Als hätte er sie kommen hören wandte er sich just in dem Moment zur Tür, als Rosalie als erste eintrat. Ein beinahe verbitterter Ausdruck lag in ihren Augen, als sie mich musterte und mit einem Mal hatte ich das Gefühl sie irgendwoher zu kennen.
Ich behielt meinen Gedanken für mich und achtete auf Emmett und meine Mutter, die eintraten.
„Alice lässt sich entschuldigen. Sie musste sich um ein Problem kümmern... Du sollst sie anrufen Carlisle.", sagte die blonde Schönheit, würdigte mich jedoch keines Blickes.
Ich schenkte ihr trotz des seltsamen Gefühls keine weitere Beachtung und wandte mich an meine Mutter.
„José kommt."
Meine Stimme klang verbittert und ich konnte nicht verhindern sie böse anzufunkeln.
„Warum hast du ihm gesagt, dass ich im Krankenhaus bin? Ich will nichts mehr von ihm wissen.", zischte ich. Es tat mir leid, sie so anzugehen, aber ich hasste, was sie getan hatte.
Meine Mutter lächelte nur sanft.
„Ihr solltet euch wieder vertragen. Er ist ein guter Junge."
Ich blies abschätzig Luft aus.
Carlisle wandte sich derweil an Rosalie, sagte ihr etwas und verschwand im Gang. Emmett musterte mich interessiert und blickte dann zu seiner Frau.
Mit einem Mal herrschte eine Unangenehme Stille im Raum und die Stimmung schien zum zerreißen gespannt.
Meine Mutter seufzte leise und tätschelte mir den Kopf.
„Engel sei mir bitte nicht böse."
Erschlagen war ich nun diejenige, die seufzte.
„Lasst uns in die Cafeteria gehen. Ich habe keine Lust hier die ganze Zeit an den braunen Fleck an der Decke zu starren und muss mir die Beine etwas vertreten."
Ich setzte mich behutsam auf und achtete darauf meinen Brustkorb nirgendwo zu belasten. Meine Mutter reichte mir helfend die Hand, während Emmett mir meine Krücken reichte.*
Am Samstag morgen war ich froh endlich wieder das Krankenhaus verlassen zu dürfen. Ich hatte noch eine Woche krankgeschrieben bekommen, danach durfte ich weiterarbeiten.
Meine Mutter hatte sich entschuldigen müssen und schickte stattdessen Alice, um mich abholen.
Diese war in Begleitung ihres Ehemannes Jasper, welcher mich angestrengt anlächelte.
Ich zog den Reißverschluss meiner Tasche zu und griff nach den Krücken, als Carlisle das Zimmer betrat. Er legte Jasper eine Hand auf die Schulter, als wolle er ihn beruhigen.Es wirkte einen Moment so, als wären sie tatsächlich Vater und Sohn, doch so schnell der Moment gekommen war, war er auch wieder vergangen.
Carlisle sah mich aufmerksam an und trat auf mich zu.
„Wie geht es dir?"
„Sehr gut.", antwortete ich wahrheitsgemäß und blickte ihm in seine wundervollen Augen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich ihn anlächelte und umarmte ihn vorsichtig.
„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Ich denke, dass war jetzt überfällig.", murmelte ich und löste mich aus der Umarmung, die der Arzt etwas unbeholfen erwidert hatte.
Seine Nähe hatte schon wieder diese Wirkung auf mich. Ich hatte Angst, doch gleichzeitig war es wie eine betörende Anziehung.Erst Alice Räuspern riss mich aus meiner unbemerkten Starre. Ich blickte zu ihr und Jasper, welcher mich interessiert beobachtete.
Die Gesellschaft der Cullens war seltsam. Immer schien es, als würden sie mich prüfend ansehen, als wollten sie herausfinden, ob ich geeignet für etwas war.
„Ich will nur ungern stören, aber wenn du heute Abend noch zu uns kommen möchtest, sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen. Du willst doch sicherlich den Krankenhausgeruch loswerden.", sagte Alice und legte den Kopf schief. Sie lächelte mich an und in ihren Augen lag eine Gewissheit, die mich unbehaglich fühlen ließ.
„Ja... Ich komme.", erwiderte ich leise und blickte noch einmal zu Carlisle.
„Wir sehen uns später."
Er nickte und hielt uns dreien die Tür auf. Alice lief beinahe tänzelnd voran, Jasper begleitete mich und trug meine Tasche. Ich drehte mich ein letztes Mal zu Carlisle um, doch dieser war bereits wieder im Zimmer verschwunden.An ihrem Auto angekommen rutschte ich vorsichtig auf die Rückbank und beobachtete, wie sich Jasper und Alice auf die vorderen Sitze begaben.
Es herrschte Schweigen im Auto und diese Spannung war wieder da. Ich wollte weglaufen.Wir waren eine Weile gefahren, als Ich Jaspers prüfenden Blick im Rückspiegel bemerkte.
„Du wirkst angespannt.", brach er das Schweigen, während er bei einer Ampel bremste.
„Alles gut, es ist nur...", ich unterbrach mich. Alice sah mich an.
„Du kennst uns noch nicht lange. Es dauert, bis man Vertrauen aufbaut und vielleicht ist das auch gut so.", sagte die Brünette und richtete ihren Blick wieder aus dem Fenster. Mit einem Mal lächelte sie, strahlte beinahe und wandte sich zu Jasper.
„Du brauchst dir nicht mehr lange Sorgen zu machen."
Die kryptischen Worte ließen mich aufhorchen, doch ich wollte nicht nachfragen.Denn jeder Mensch brauchte seine Geheimnisse und ich hatte das Talent sie ihnen zu nehmen.
___
Huhu,
Hier sind wir wieder am Ende. Heute einen Tag früher als sonst.
Wie man sieht häufen sich die seltsamen Blicke der Cullens Nelida gegenüber.
Wissen die Cullens etwas, oder weiß Nelida mehr als sie zugibt?
Was hat es wohl mit Josés Besuch auf sich?
Was steckt hinter der geheimnisvollen Textnachricht?Schreibt eure Vermutung in die Kommentare und lässt mich an euren Gedanken Teil haben.
Wir lesen uns beim nächsten Mal.
Liebe Grüße
~Ann :)(ca. 1560 Wörter)
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Stardust - Carlisle Cullen
FanfictionMit dem Umzug nach Forks beginnt für Nelida Arias ein neues Leben. Sie bekommt einen Job im örtlichen Krankenhaus und lernt schnell ihren Kollegen Dr. Carlisle Cullen kennen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kommen die Beiden auch immer besser mit...