22.- Vollkommenheit
Es ist seltsam, wie sehr sich das Leben einer einzelnen Person verändert, wenn man auf einmal nicht mehr da sein sollte. Meine Mutter hatte auf meinem Handy hunderte von Anrufen hinterlassen, Charlie ebenso. Auch von meinen Schwiegereltern und Arbeitskollegen aus der Schweiz hatte ich Nachrichten erhalten.
Es war komisch, nicht wirklich darauf antworten zu können. Ich wollte nicht als Tod gelten, meine Mutter hätte den Verlust ihrer letzten Tochter nicht verkraften können und auch den Rest war es komisch etwas vorzugaukeln.
Carlisle hatte mir empfohlen, die Geschichte ihm zu überlassen, doch nachdem der erste Anruf von Charlie bei ihm einging, wussten wir, dass sein Plan nicht aufgegangen war. Zumindest auf der Seite meiner Mutter und ihm.
Ich hatte mit Charlie gesprochen, hatte mich entschuldigt und gesagt, dass ich Zeit bräuchte. Meine Mutter war um einiges sturer gewesen und hätte unter einigen Flüchen letztendlich akzeptieren müssen, dass ich vorerst nicht nach Hause kommen würde.In Alaska war es schön. Der Schnee störte mich das erste Mal in meinem Leben nicht und ich genoss die unendliche Stille in den Tiefen des Denali National Park.
Die Denali Familie hieß mich herzlich willkommen. Carlisle stellte mich ihnen vor, nachdem Alice und Emmett zurück in die Stadt gegangen waren, wo sie eigentlich wohnten. Meine Felicitas war auch dort.
Tanya, Kate, Garrett, Eleazar und Carmen waren wirklich herzliche Zeitgenossen und Garrett liebte es mich häufiger zu ärgern. Mit Carmen verstand ich mich besonders gut. Sie verstand mich und die Sorge um meine Tochter am besten. Tanya und Kate waren freundlich und ich liebte es mich über belanglose Dinge mit ihnen zu unterhalten.
Eleazar musterte mich von Anfang an immer recht interessiert, sprach jedoch nicht sehr viel mit mir. Carlisle und er unterhielten sich oft und gerade Nachts war es angenehm ihnen bei ihren Unterhaltungen zu lauschen.
Ich gewöhnte mich nur langsam an das Tierblut. Die isolierte Lage des Hauses half mir, jedoch gab es hin und wieder verirrte Wanderer oder Ranger, die mich beinahe den Verstand kosteten.
Garrett war in solchen Situationen eine Hilfe - musste er sich nach Jahrzehntelanger menschlicher Ernährung an das tierische Blut erstmal gewöhnen.
Carlisle und ich redeten nicht viel. Ich war ihm nicht mehr böse, schon lange nicht mehr, aber er war voller Vorwürfe und ich voller Irritation. Meine Gefühle für Carlisle schienen so stark wie nie zuvor, aber ich konnte einen kleinen Teil nicht loslassen. Die Wunde und der Verlust meines Ehemannes war nicht einmal drei Monate her und es kam mir einfach falsch vor mich Carlisle hinzugeben.
Oft ließen uns die anderen alleine, ich hatte ihre Gespräche gehört. Sie wussten alle, dass wir etwas füreinander empfanden, aber ständig standen auch Esme und Jovin bei ihren Gesprächen im Raum.
Eines Nachts, die anderen hatten einen erneuten Versuch gestartet uns Zeit zu geben, kam Carlisle, welcher sich sonst eher in ein Buch vertiefte, auf mich zu. Ich saß auf dem weichen Sofa und war in ein Buch vertiefte, sodass ich ihn erst bemerkte, als er direkt vor mir stand. Ich senkte das Buch und er nahm es mir vorsichtig aus der Hand, um zu sehen, was ich las.
„Anna Karenina? Interessante Wahl.", er lächelte mich sanft an. Ich erwiderte seinen Blick auf dieselbe Weise und schnappte es mir zurück.
Seine Haare hingen ungeordnet über seinem Kopf und es kostete mich Mühe, sie ihm nicht aus der Stirn zu streichen.
„Schon seltsam, wie sehr die Liebe einen aus der Bahn werfen kann.", murmelte ich nur und betrachtete den Buchrücken der kostbaren Erstausgabe.
„Anna Karenina ist verrückt geworden, du bist noch sehr weit davon entfernt auch nur annähernd so zu werden wie sie."
Ich blickte zu Carlisle.
„In einer Ewigkeit ist genug Zeit da um komplett den Verstand zu verlieren."
Ich lächelte kurz und legte das Buch endlich zur Seite. Carlisle hob eine Augenbraue und setzte sich dann zu mir auf das Sofa.
„Es ist jetzt bald einen Monat her seit...", fing er an. Ich nickte nur und starre in die Nacht hinaus.
„Ich habe ein Geschenk für dich. Du gehörst zur Familie, das ist dir hoffentlich bewusst."
Erstaunt blickte ich zu ihm und dann auf das kleine Päckchen in seiner Hand. Es war perfekt mit rotem Geschenkpapier umwickelt und trug eine hübsche Schleife aus goldenen Band. Verdutzt bedankte ich mich und zog am Band, um zuerst die Schleife und anschließend das Geschenk zu öffnen.
Zum Vorschein kam zuerst ein schwarzes Schmuckkästchen. Ich sah meinen Gegenüber überrascht an und klappte es auf.
Ein silberner Anhänger, nicht sehr groß, war erkennbar. Er trug ein Wappen, soweit ich es erkannte und stellte einen Löwen, eine Hand und drei Kleeblätter zu dessen Füßen dar. Das Amulett war wunderschön und detailreich gearbeitet und musste ein Vermögen gekostet haben.
„Das kann ich nicht annehmen, Carlisle. Es ist wunderschön, aber es muss ein Vermögen gekostet haben.", hauchte ich. Der blonde Vampir lächelte traurig.
„Er hat Esme gehört. Ich habe lediglich die Kette erneuern lassen, aber sie hätte gewollt, dass du es bekommst.", seine Stimme klang so unendlich traurig. Er musste mit denselben Vorwürfen zu kämpfen haben wie ich und ich hätte mich schlagen können, dass ich ebenjenes nicht schon früher bemerkt hatte.
„Bitte erzähl mir mehr über sie.", flüsterte ich.
Ich war mit einem Mal so interessiert an der verstorbenen Vampirfrau, die Carlisle einmal so sehr geliebt hatte.
Er lächelte zaghaft und strich mir eine Strähne hinter das Ohr.
„Genau genommen war sie dir gar nicht so unähnlich. Ich traf sie das erste Mal, als sie sechzehn war. Sie hatte sich das Bein gebrochen und der örtliche Arzt fehlte zu dem Zeitpunkt. Ich behandelte sie und ich denke schon da war mir klar gewesen, dass sie besonders war. Ich musste den Ort verlassen und fand sie zehn Jahre später im Leichenschauhaus. Sie war nach dem Tod ihres Sohnes von einer Klippe gesprungen, sah keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Ich habe sie zu einer unserer Art gemacht und wir heirateten bald darauf. Esme war mein ein und alles, aber ich habe gelernt mit ihrem Verlust zu leben.", er schwieg kurz, bevor er Luft holte, um weiter zu reden, „Sie ist in einem Kampf gestorben. Ich hätte sie besser beschützen sollen, doch es gelang mir nicht. Es war vor fast genau sechs Jahren. Wir mussten Bella beschützen, die zu dem Zeitpunkt noch ein Mensch war und von einer Vampirin gejagt wurde und eine Neugeborenenarmee geschaffen hatte. Esme war beim Kampf zu falscher Zeit am falschen Ort. Sie verlor den Kampf und wurde schneller vom Feuer vernichtet, als dass ich es hätte stoppen können. Ich war verloren. Eine so lange Zeit und dann kamst du.", er blickte mich an und schwieg. Ich sah betroffen auf den Anhänger und nahm ihn vorsichtig in die Hand.
„Jovin und ich trafen uns im Flugzeug nach Bern. Er saß neben mir und ich habe mich selten so gut mit einem Menschen auf Anhieb verstanden. Ihm ging es da ähnlich. Wie du weißt, haben wir nur wenige Monate danach geheiratet, nachdem ich erfahren hatte, dass ich schwanger war. Mit Felicitas war unser Glück vollkommen. Ich konnte trotzdem nicht aufhören an dich zu denken. Im Nachhinein glaube ich, dass mein Geist es immer irgendwie gewusst hat. Naaras Fähigkeit hat es mich jedoch immer wieder verdrängen lassen. Als Jovin die Krebsdiagnose bekam, war klar, dass jede Hilfe zu spät käme. Die Metastasen hatten sich bis in die Leber ausgebreitet und er entschied sich gegen eine Chemotherapie. Ich habe ihn wirklich geliebt, so sehr, aber man hat mir einfach alles genommen, was ich hatte, alles außer Feli.", leise beendete ich auch mein Gespräch und schaute von dem feinen Schmuckstück zu dem hübschen Vampir.
Er nickte leicht, er verstand wohl, was in mir vorging.
„Wie geht es ihr? Hat Rosalie nicht letztens angerufen?"
„Sie hält alle auf Trab. Rosalie und Bella kümmern sich sehr liebevoll um sie.", sagte Carlisle und nahm mir das Kettchen aus der Hand.
„Darf ich?", fragte er und ich schob meine Haare beiseite, damit er mir das Schmuckstück anlegen konnte.
„Danke."
Meine Stimme klang heiser, mein Herz hätte jetzt Todessprünge gemacht. Als seine Hand meinen Nacken streifte spürte ich augenblicklich das alte, wohlbekannte Flackern. In meinem toten Herz breitete sich eine Wärme aus, die ich als Mensch nie hätte spüren können und ich wandte mich wieder zu Carlisle.
„Du sollst dir keine Vorwürfe mehr machen. Ich habe dir schon lange verziehen und verstehe jeden deiner Beweggründe. Es ist nur-", ich seufzte leise, bevor ich weitersprach, „Ich weiß, dass wir wahrscheinlich niemals unsere Vergangenheit gänzlich hinter uns lassen können. Du wirst immer Esme lieben, ich werde Jovin jeden Tag lieben und vermissen. Aber ich weiß auch, dass es einen Grund gibt für all das hier. Es gibt einen Grund, warum wir immer wieder aufeinander treffen. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Schon länger; aber die Ewigkeit dauert noch länger, nicht wahr?"
Carlisle nickte bedächtig und nahm meine kühle Hand vorsichtig in seine. Der Halt, der kleine wunderbare Moment der Ruhe umgab uns beide und hätte man uns so in ein Museum gesetzt, wären wir wahrscheinlich als Hauptausstellungsstücke präsentiert worden. Der Friede, der mich in diesem kleinen, beinahe unscheinbaren Moment umgab war heilend. Die Wunden der letzten Monate schienen vergessen, der Gram über mein unendliches Leben und auch das schmerzhafte Fehlen meiner Tochter. Der blonde Vampir und ich rückten erst wieder voneinander ab, als wir hörten, dass die anderen wiedergekommen waren. Mit einem lauten Krachen landete Garrett, gefolgt von der hübschen Kate im Wohnzimmer.
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Stardust - Carlisle Cullen
FanfictionMit dem Umzug nach Forks beginnt für Nelida Arias ein neues Leben. Sie bekommt einen Job im örtlichen Krankenhaus und lernt schnell ihren Kollegen Dr. Carlisle Cullen kennen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kommen die Beiden auch immer besser mit...