20.- Neu geboren

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20.- Neu geboren

Sich wie neu geboren zu fühlen bedeutet sich wohl zu fühlen. Das Gefühl nach einem langen Tag ins Bett zu verschwinden und am nächsten Tag ausgeruht und ausgeglichen aufzustehen. Nach einer anstrengenden Woche sich frisch rasiert unter die Decke zu kuscheln. Das Glücksgefühl nachdem man sein Baby nach der Geburt gesehen hat. Neu geboren fühlen hatte nichts mit dem Gefühl zu tun, welches mich überkam, als ich das erste Mal meine Augen öffnete. Das erste Mal das Licht der Welt erblickte.
Ein dunkelroter Baldachin aus hochwertigem Samt. Die einzelnen Fasern kräuselten sich weich in die breite. Bei genauer Betrachtung fiel mir auch der geringe Violettton in der Farbgebung auf. Ich hörte das rascheln von Kleidung. Baumwolle.
Mein Kopf ruckte zur Seite, folgte dem Geräusch.
Dunkelblaue Baumwollfasern in einem feinen Stoff zu einem Hemd gewebt. Zusammengehalten mit Knöpfen aus Horn, dessen ungleichmäßige Marmorierung mich faszinierte.
Ich folgte jedem Knopf bis hoch zu einem markanten Kinn, über volle Lippen, zu einem wehmütigen lächeln verzogen, eine gerade Nase zu müden goldenen Augen. Seinen Augen.
Ich setzte mich auf. Es ging viel zu leicht, viel zu schnell und doch überkam mich kein Schwindel. Ich füllte meine Lungen mit Luft, doch es erschien mir unnötig. Einzig und allein die vielen Gerüche, die auf mich einprasselten machten mich etwas benommen. Da waren die Steinwände, der erdige Geruch der von ihnen ausging. Der trockene Geruch des Holzbettes und des Baldachins. Sanddorn, Rosmarin, Fichtennadeln, Baumharz, Moos und ein Hauch von Erde überströmten mich, als ich darauf achtete. Es war sein Geruch, den ich nun seinen einzelnen Bestandteilen zuordnen konnte.
Seine marmorne Haut schien unglaublich weich, schimmernd und fast, als sei sie aus Kristall.
Ich stand schneller auf den Beinen, als das ich es hätte wirklich verarbeiten können und war einige Meter zurückgewichen.
Felicitas!
Meine Tochter brauchte mich!
Die Tür, wo war die Tür?
„Nelida.“, mein Kopf fuhr in seine Richtung. Carlisle hatte sich erhoben und kam langsam, behutsam auf mich zu.
„Ich muss zu meiner Tochter!“, rief ich und doch war es nicht meine Stimme, die meinen Kehlkopf verließ. Nicht glockenhell, aber melodisch, wundervoll, ein wenig verzogen von dem Ärger, den ich verspürte. Ich schnappte nach Luft, erneut vernahm ich diese ganzen Gerüche. Es war beinahe schmerzhaft.
„Du kannst nicht zu deiner Tochter. Nicht solange du deinen Durst nicht unter Kontrolle hast.“, sagte er leise und doch schmerzhaft laut.
Durst.
Meine Kehle entflammte und ich schnappte erneut.
„Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich sie nicht vor alldem beschützen könnte. Nicht nachdem-”, er hörte auf zu sprechen und blickte mich wehleidig an.
„Du bei mir versagt hast.”, beendete ich seinen Satz und ließ mich auf das Bett sinken. Meine Kehle stand in Flammen, doch der Schmerz war willkommen, nahm meinen Verstand ein.
„Sie haben dafür gesorgt, dass wir durch die Katakomben in den Forst gelangen. Wir sollten aufbrechen, bevor Heidi mit den Menschen kommt.”, sagte er.
Sein Blick lag sanft auf mir uns doch schien er sich Vorwürfe zu machen. Er hasste sich dafür, dass er mich nicht hatte bewahren können.
„Es sei denn du willst-”, er brach ab, konnte nicht weitersprechen. Es widerstrebte ihm daran zu denken, dass ich mich von Blut ernähren musste, mehr noch, dass ich es in Betracht ziehen könnte einen Menschen zu ermorden.
„Ich bin keine Mörderin Carlisle. Ich bin Ärztin.“, wisperte ich und starrte auf einen feinen Riss in der Wand hinter ihm. Ich konnte ihm nicht in die Augen blicken, war er doch Grund all des Übels, welcher mir widerfahren war. Dennoch brachte ich es nicht fertig ihm in die Augen zu sehen. Zu groß war die Angst ihm zu verfallen. Das letzte Mal, als es passiert war, war mein damaliges Leben ruiniert gewesen. Es erschien das einzige Richtige in dem Moment.
Doch mein totes Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
„Lass uns gehen.“, murmelte ich, unfähig etwas anderes zu der beklemmenden Situation zu sagen.
Carlisle erhob sich elegant von den Stuhl, auf welchem er die ganze Zeit gesessen hatte und hielt mir eine Hand hin, um mir aufzuhellen, oder einfach nur um seinen Körper meinem ein bisschen Nähe zu spenden. Ich ignorierte die Hand, stand auf und ging an ihm vorbei auf die Holztür zu.
„Ich will nicht-“, mein Atem stockte, als ich die Holztür öffnete. Ein unglaublich süßer Geruch schlug mir entgegen und ließ mich leicht zurücktaumeln. Das Brennen in meiner Kehle griff in meinen Verstand über und nur noch dieser Geruch beherrschte mich. Ich wusste, dass es das Blut eines Menschen war, bevor ich ihn sehen konnte. Die Absätze der menschlichen Buchhalterin, der Empfangsdame, hallten durch den Gang, doch ich hörte es nicht. Es war das Schlagen ihres Herzens, das Rauschen ihres warmen, süß duftendenden Blutes in ihren Adern, was mich voll und ganz einnahm.
„Nelida!“
Ich spürte Carlisles Hand an meiner Schulter nicht wirklich, stieß ihn weg.
In einer unglaublichen Geschwindigkeit hatte ich die Frau eingeholt und gegen die Wand gedrückt. Sie schrie auf und ich knurrte aufgrund ihres Lauten Tons so nah an meinen überempfindlichen Ohren.
„Nelida, tu nichts, was du später bereuen wirst!“, hörte ich Carlisle rufen.
Der Speichel- oder war es Gift lief mir im Mund zusammen. Die feinen Poren ihres Halses waren mit einem feinen Schweißfilm überzogen, ihr Herz hüpfte viel zu schnell und das Blut.
Mein Verstand war vernebelt. Ich sah wortwörtlich Rot.
Carlisle konnte mich nicht aufhalten. Niemand konnte es, als ich mir das Recht nahm das Leben der namenlosen Italienerin auszusaugen. Ich kannte sie nicht, wusste nicht ob sie Familie hatte, wusste nicht, ob man sie jemals irgendwo vermissen würde. Das warme Blut in meinem kalten Körper ließ mich unnatürlich zufrieden werden und erst als ihr Herz aufhörte zu schlagen, ihr Körper blutleer und leblos auf den Boden glitt begriff ich, was ich getan hatte.
Das weiße Kleid, welches man mir angezogen hatte war mit ihrem Rubinrotem Blut besudelt. Meine Hände, die sich kaum von dem Ton des Stoffes abhoben schimmerten rot. Entsetzt blickte ich auf die Tote und taumelte zurück.
Was hatte ich getan?
Carlisle stand im Gang. Er hatte nur tatenlos dabei zusehen können, wäre es für ihn doch rötlich gewesen meinen Rausch zu unterbrechen.
Er sah mitleidig aus. Ich wollt kein Mitleid. Ich hatte kein Mitleid verdient.
Ich bin keine Mörderin Carlisle. Ich bin Ärztin.“
Benommen ließ ich mich von dem blonden Vampir in den Arm nehmen, hörte nicht, was er sagte.
„Ohje, sie war neu.“, klang nach einer geraumen Zeit eine kindliche, jungenhafte Stimme an mein Ohr.
„Das sind sie alle, Alec. Aro erwartet euch- obwohl sie sich noch einmal umziehen sollte nach ihrem... Kolletaralschaden.“, hauchte das engelsgleiche Mädchen und deutete mit einer kleinen Geste auf die Leiche, als wäre sie eine seltene Blume am Wegesrand.
„Wir werden sofort da sein, Jane.“, hörte ich Carlisle sagen und bekam nicht wirklich mit, wie er mich in das Zimmer zurückbrachte und mir ein weiteres weißes Kleid herauslegte, mich dann im Badezimmer platzierte und mich eines besorgten Blickes bedachte.
„Du musst dich duschen, Nelida.“
„Ich habe sie umgebracht.“, kam das erste Wort wieder über meine Lippen.
Der blonde Vampir zog mich wieder in seine Arme, streichelte mir behutsam über den Rücken.
„Es ist sehr schwer menschlichem Blut zu wiederstehen. Sogar den Besten von uns passiert Mal eine solche Eskapade. Sei nicht zu hart zu dir. Du wirst lernen den Durst zu kontrollieren.“, redete er auf mich ein. Ich hob meinen Kopf leicht an verfing mich mit seinen gütigen Augen. Er war so erbarmungslos Gütig.
Benommen ließ ich mich erneut in den Arm nehmen. Sein Geruch, seine Ausstrahlung halfen mir mich zu beruhigen.
„Komm, es hilft eine Dusche zu nehmen. Ich lasse dich jetzt alleine.“, murmelte er. Ich nickte benommen und stand langsam, wie in Zeitlupe auf. Carlisle verließ den Raum und schloss die Tür sorgfältig hinter sich.
Kriechend bewegte ich mich in die Dusche, drehte das Wasser auf die heißeste Stufe und stellte mich unter das dämpfende Wasser. Es war nicht der gewünschte Effekt, es war einzig und allein ein warmes Kribbeln unterhalb meiner steinernen Haut bemerkbar. Nichts schmerzte und einzig und allein das bisschen Wärme, welche durch meine Haut gelangte half mir mich ein wenig mehr Menschlich zu fühlen.
Die Zeit die ich unter der Dusche stand verging schnell. Ich sah, wie das Blut der fremden Frau gerann und in kleinen Klümpchen im Abfluss verschwand. Ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen, mitten in den Duschstrahl und schrie einmal frustriert dem Wasser entgegen.
Alles an meinem neuen Leben hasste ich jetzt schon. Ich würde meine Tochter nie wiedersehen können, war zu einem Monster geworden.
Da wo eigentlich schon längst Tränen geflossen wären kam nichts. Es fühlte sich falsch an und frustrierte mich mehr als es sollte.
Der einzige Hieb mit welchem ich auf die Glastür schlug brach diese zum Zerbersten. Es war mir egal.
Ich huschte aus der Dusche, wickelte mich in ein Handtuch und kam nicht darum herum mich endlich im Spiegel zu betrachten. Spätestens jetzt bemerkte ich den vollen Ausmaß meiner Veränderung.
Ich sah jünger aus, mindestens zwei Jahre. Meine braunen Haare, die ich zu einem widerspänstigen Longbob hatte schneiden lassen, sahen das erste Mal in meinem Leben nicht wirr und wild aus. Meine Haut war rein, keine einzelne Pore war zu sehen und selbst die kleinen Rundungen, die ich durch die Schwangerschaft bekommen hatten schienen wie eingegliedert in meine, nun perfekte Sanduhrfigur.
Die Schönheit hätte ich von meiner Großtante. Das hatte mein Großvater immer gesagt. Meine Tante, die vor einigen Jahrzehnten einfach verschwunden war. Rosalie Hale stand meiner jetzigen Schönheit in nichts nach. Sie war meiner Meinung nach immer noch am Atemberaubendsten, doch in meiner neuen Mary Sue Verkleidung fühlte ich mich, anders als sie, ganz und gar nicht wohl. Das war nicht ich. Und dann waren dort diese rubinroten Augen, die mir voller Abscheu und Ekel entgegenblickten. Die dichten Wimpern, welche diese umgaben schienen beinahe scharf wie Messer.
Ich wendete mich ab und warf mir die Kleidung über, die Carlisle mir parat gelegt hatte. Der weiße Leinenstoff des Kleides hätte sich für einen Menschen wahrscheinlich kratzig angefühlt. Aber das spielte hier keine Rolle.

Carlisle wartete immer noch geduldig und legte schützend einen Arm über meine Schulter, als wir hinaus in den Gang traten. Ich dich die Frau noch immer, doch das Brennen in meiner Kehle war nicht mehr so präsent, wie vorher. Meine Finger krallten sich wie vin selbst in Carlisles Schulter und Arm.
Ich konnte nicht sagen, dass ich ihm vollends verziehen hatte, aber was hätte er tun können. Schlussendlich war es Aros Entscheidung gewesen und niemand hätte es jemals gewagt Veto einzulegen. Carlisle hatte es versucht, das machte es noch leichter zu vergeben. Ich war nicht so nachtragend und unglaublich Starrsinnig wie meine Mutter. Diese müsste sich mittlerweile auch schon die ärgsten Sorgen machen.
Die Gänge des Palastes schienen endlos und verwinkelt. Es gab bei jeder Kreuzung mindestens drei abkreuzende Wege und es machte eine Orientierung in den Gemäuern beinahe unmöglich. Carlisle schien sich auszukennen, ging bestimmt immer einen Weg, ohne lange darüber nachzudenken. Ich hatte meine Luft angehalten, aus Angst, ich würde mein nächstes Opfer gleich riechen und ebenfalls anspringen. Ich hatte Angst meinen neuen Instinkten freie Bahn zu lassen. Das war nicht ich. Ich war nicht neugeboren. Mit dem Eintritt in die Unsterblichkeit war ein Teil von mir unwiderruflich ermordet worden und dieser Teil und ich wusste nicht nicht, wie groß er war, würde mich auf ewig verändern.

Mein Begleiter hielt vor der großen Holztür an. Ich bereute es kurz eingeatmet zu haben, denn der Geruch frischen Blutes gelang an meine Nase. Carlisle zischte kurz schmerzhaft auf, als ich ihm meine Finger in die Schulter grub, aus Angst, ich würde gleich meinen Verstand verlieren.
Die Türen würden aufgestoßen und ich hielt die Luft an. Links von uns lagen mindestens dreißig Leichen, blutleer, der Boden war rot gefärbt und die Augen aller anwesenden leuchteten beinahe aufgrund des neuen Blutes. Es kam mir so vor, als hätten sie ebenfalls einen leichten rosa Schimmer auf den Wangen, der sie beinahe lebendig wirken ließ. Beinahe.
Mein Blick traf auf die drei Throne im hinteren Zentrum des Saales.
Aro grinste mich mit teuflischer Freude an, Caius schien verwundert, was an meiner glänzenden Schönheit liegen könnte, oder an der Tatsache, dass ich nicht verrückt, aufgrund des Blutgeruchs wurde. Marcus, der dritte im Bunde würdigte mich eines kurzen, beinahe freundlichen Blickes und sah dann wieder in die Ferne. Gelangweilt und wehleidig, als sei er mit dieser Existenz ebenfalls nicht im Reinen.

„Ich bin höchst erfreut dich offiziell willkommen zu heißen, wertvolle Nelida. So hübsch, beinahe hübscher als deine Schwester.”, sprach der mittlere Vampir. Ich knurrte leise und fixierte Aro mit einem tötlichen Blick. Der Hass sprudelte beinahe über, aber Carlisles eiserner Griff erinnerte mich daran, wer ich war- wer ich gewesen war.
Es war eine Qual meinem Mörder gegenüber zu stehen und doch wusste ich, dass ich weiterhin ausgeliefert war.

Ich war trotz meiner neuen Kräfte die Machtlose in diesem Spiel.

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(ca. 2150 Wörter)

Stardust - Carlisle CullenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt