3| schwere Gedanken

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Ich spürte den Alkohol schon. Genauso wie alle anderen. Doch die gute Laune war einfach ansteckend. Willi und ein paar seiner Brüder erzählten Anekdoten die urkomisch waren. Tobi der nun neben mir saß, weil Kathi mit Leon verschwunden war, lachte laut. Er hatte seinen Arm auf die Lehne der Bank gelehnt und sich mit der Zeit näher an mich herangeschoben. Immer wieder fragte er mich, ob ich noch etwas trinken wolle. Ich verneinte, obwohl ich ihn so für ein paar Augenblicke losgeworden wäre. Dich mit jedem weiteren Getränke rutschte er näher an mich heran.
Es war nicht so, dass Tobi einer dieser unangenehmen Menschen war. Vielmehr war er tatsächlich lustig und intelligent. Aber seine Nähe, wie die jedes Mannes bis jetzt, versetzte mich in einen Zustand des geschockten Unbehagens. Kurz entschuldigte ich mich, verließ den Stall und sog tief die milde Abendluft ein. Schnell huschte ich zum Klo, denn ich befürchtete, dass mir Tobi folgen würde. Zum Glück tat er es nicht. In der Tür stieß ich beinahe mit dem großen Blonden zusammen, den mir Kathi vorhin gezeigt hatte. Aus der Nähe wirkte er rastlos, verloren und etwas wild.
Ein paar Mal noch hatte ich Alexander gesehen, wie er mit Kathis Bruder von Tisch zu Tisch zog, doch auch sie hatten sich irgendwann verzogen.
Tobi und ich zogen den Altersdurchschnitt somit ziemlich nach unten. Es störte mich nicht. Erica kümmerte sich blendend um ihre Gäste und Willi hörte nicht auf eine unglaubliche Geschichte nach der nächsten zu erzählen. Bodo, Willis ältester Bruder, verteilte nach jeder Geschichte einen Schnaps und bestand darauf das alle ihn herunterwürgten. Ich war bei meinem siebten, glaubte ich und meine Sicht verschwamm schon. Doch er war knallhart. Es überraschte mich nicht das noch vor Mitternacht ein paar der Gäste torkelnd den Heimweg antraten. Ich wäre genauso nach Hause gelaufen, zum Glück saß ich aber.
Willi erzählte gerade von seiner Armeezeit, als ein dunkelblonder, großgewachsener, gutaussehender Mann zu ihm trat und seine Hand auf Willis Schulter legte. Dieser legte seinen Arm dem jüngeren Mann auf den Rücken.
Es war das erste Mal das ich einen guten Blick auf Kathis Bruder werfen konnte. Der Genpool war umwerfend. Er war groß, gutaussehend und wusste das auch.
Seine braunen Haare saßen im geordneten Chaos auf seinem Kopf, seine Augen schienen von hier Gold zu leuchten und sein Lächeln nahm wohl jeder Frau den Wind aus den Segeln.
Er trug ein dunkelgrauen Pullover und eine schwarze Jeans. Schlicht, doch an ihm sag es aus wie aus der Lacoste-Werbung.
Sein Freund stand hinter ihm in der Tür und schaute grimmig. Sie wirkten so unterschiedlich und ich realisierte, dass es genauso war wie bei Kathi und mir.
Er verabschiedete sich, drückte seinen Vater kurz und huschte hinaus. Mein Blick folgte ihm. Er sah aus wie Willi, hatte diesen vergangenen, zeitlosen Charme. Doch er bewegte sie so fließend, elegant und weich, wie es Erica tat. Für eine Sekunde war ich neidisch, dass ich nicht eine solche Familie hatte. In der nächsten war ich dankbar, dass ich hier sein durfte. Ich riss den Blick von der leeren Tür los und lauschte Willis Geschichte.
"Wir sind froh, dass er unversehrt zurück ist und nun hier, wieder bei uns, sein kann." Erklärte er gerade als Bodo uns wieder ein gefülltes Schnapsglas zuschob. "Auf Michael!" Rief Bodo und alle stiegen ein. Ohne ein Wort packte ich das Glas und schüttete die, mittlerweile warme, brennende, Flüssigkeit hinunter. Grimasse schneidend holte ich Luft. Das war absolut ekelhaft.
Es war weit nach Mitternacht, als die letzten sich verabschiedeten. Tobi mit dem ich höflichen Smalltalk gehalten hatte, während ich versuchte Abstand zu gewinnen, bat mich um meine Nummer und verabschiedete sich ebenfalls mit einem, zugegebenermaßen, süßen Kuss auf die Wange.
Vermutlich hatte Kathi recht, wenn sie sagte wir seien ein süßes Paar. Doch wie immer wenn ich mich vor dieser Frage stehen sah, geriet ich in Panik. Nicht weil ich prüde war, sondern weil andere Prioritäten für mich gezählt hatten.
Denn wer war mit vierundzwanzig denn heute noch Jungfrau? Ich hatte immer auf den richtigen Mann, den richtigen Moment gewartet. Ich war hoffnungslos romantisch, auch wenn ich das nicht zugegeben hätte. Ich wollte eine von diesen ersten Liebesgeschichten, die absolut und unwiderruflich romantisch und erschütternd einschneidend waren. Doch das Gefühl das dieser Moment schon vorbei war, verstärkte sich mit jedem Herzschlag. Vielleicht sollte ich über meinen Schatten springen und auf Tobis klägliche Versuche eingehen? 
Er war doch ganz niedlich, mit dem schüchternen Lächeln und dem freundlichen Blick.
Ich sah mich um, griff nach einer Bierflasche, verdrängte meine betrunkenen Gedanken und machte mich daran etwas Ordnung zu machen. "Lass das stehen. Da kümmern wir uns morgen drum." Rief Erica, die neben Willi saß. "Ok. Dann gute Nacht." Sagte ich zögerlich, erhob mich schwankend und stapfte zum Haus. Mit jedem Schritt näher zum Bett wurde mein Körper schwerer.
Schon immer war ich eine gute Freundin gewesen. Ich war die beste Freundin gewesen, war nett, lustig und zuvorkommend gewesen. Aber nie war ich die Frau gewesen, die jemand wollte. Also als feste Freundin. Ich verstand es ja auch irgendwie. Mein Körper entsprach nicht der Norm, aber ich mochte mich selbst wie ich war und haderte mit meinem Körper nicht mehr, als es andere Frauen hin und wieder taten. Mein Kopf drehte sich. Ich war zu betrunken für Gedanken wie diese. Vor allem weil ich wusste, woran es lag. Denn wie auch bei Tobi redete ich es mir madig. Ich verfiel in Panik und fürchtete mich davor, das mich ein Mann nackt, bei Licht, sehen konnte. Geschweige denn die Bereiche meines Körpers zu berühren, die ich für Problemzonen hielt. An guten Tagen hatte ich keine Problemzonen. An allen anderen Tagen fühlte ich mich als einzige Problemzone. Denn ich mochte meinen Körper so, so musste ich mich seltener gegen Männer abwehren. Oder eigentlich musste ich mich nie gegen sie wehren.
Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit bis ich endlich im zweiten Stock war. Meine Gedanken waren zu schwer für meinen Kopf und obwohl das schwere Thema mich irgendwie runterziehen sollte, verdampften meine Gedanken im Nebel von Pfeffi und Waldi.
Verwirrt sah ich mich um. War es die zweite oder dritte Tür rechts gewesen?
Der Flur war dunkel, nur das Licht durch die Fenster beschien den alten Holzboden. "Es war die dritte Tür, oder?" Fragte ich in die Stille, steuerte aber direkt darauf zu. Noch bevor ich das Bett erreicht hatte war ich schon in den komatösen Schlaf gefallen, den der Alkohol bei mir so gut wie immer auslöste.

Will you be my SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt