Ich betrat die Küche, gefolgt von Erika und atmete tief ein und aus. Das Gefühl der Übelkeit ebbte langsam ab, doch der säuerliche Geschmack blieb.
"...ich meine man schwängert doch keine Frau und lässt sie dann sitzen. Was für ein Arschloch." Ich erstarrte. Kathi hielt inne und blickte mich an. "Irgendwann sieht man es ja." Erklärte sie und sah mich unbehaglich an. Sie wusste das sie scheiße gebaut hatte. Sie hatte mir versprochen es für sich zu behalten. Mein Blick wanderte zu Micha, der mich fassungslos anstarrte. Ich sah wie er schluckte.
Etwas das aussah wie Wut huschte über sein Gesicht. Er wollte das Baby nicht. Nicht mit mir jedenfalls, das war mir klar. Doch die Kälte in seinem Blick traf mich trotzdem volle Breitseite. "Katharina, du bist unmöglich." Sagte Erika und schüttelte den Kopf. Gerade als Willi hereinkam und sich verwirrt umsah. "Was denn? Ist doch so. Sie wird viel hier sein und er wird sie sehen. In ein paar Monaten wird es nicht zu übersehen sein." Erklärte sie. Bebend holte ich Luft. "Entschuldigt mich kurz." Sagte ich leise, blickte Micha an und verließ dann die Küche. Noch immer diesen kalten Gesichtsausdruck von Micha im Kopf. Als ich die erste Stufe erklomm hörte ich noch Willi sagen: "Was ist denn los?"
Gerade als ich das Gästezimmer betreten und die Tür hinter mir geschlossen hatte kamen die Tränen. Schluchzend sackte ich zu Boden. Nach einer Weile kämpfte ich mich auf, wischte mir übers Gesicht und legte mich ins Bett. Ich war müde. Ich war erschöpft. Und ich hatte absolut keine Lust mehr mich mit dem Scheiß auseinanderzusetzen. Ich wollte eine Pause und die nahm ich mir jetzt. Und nach einer Sekunde war ich schon eingeschlafen.
Es war seltsam. Denn noch vor wenigen Wochen hatte ich das Gefühl gehabt, dass mein Leben still stand. Und dann plötzlich hatte es mächtig an Fahrt aufgenommen und für kurze Zeit fühlte es sich an, als wäre alles perfekt. Genau so wie es sein sollte. Bis ich von der Straße abkam und volle Kanne in eine Betonwand krachte.
Ich dachte nicht oft an meine Eltern, weil es schmerzlich war. Denn es war einfacher zu ignorieren, dass ich welche gehabt hatte. Doch natürlich war das total absurd. Denn jeder hatte Eltern und ich hatte tolle Eltern gehabt.
Mein Papa war einer dieser Macher-Typen. Er war immer dabei etwas zu bauen. Wir hatten in einem Haus gelebt, dass er als eine Ruine gekauft hatte. Er hatte uns ein Baumhaus gebaut. Einmal hatte er mir ein Puppenhaus selbst gebaut. Ich hatte es geliebt. Aber er war auch jemand der mit dem Kopf immer in den Wolken hing. Er war ein Träumer und alles war für ihn erreichbar. Jeden Unsinn den Jakob und ich gebaut hatten, kam ursprünglich von ihm. Ich vermisste ihn, viel mehr aber vermisste ich das Gefühl das er mir immer gegeben hatte. Irgendwie frei und unbeschwert zu sein.
Meine Mutter war das Gegenteil. Sie war nicht streng oder so, doch sie holte Papa immer auf den Boden zurück. Sie war unser Fels und unser Kleber. Sie kümmerte sich darum, dass wir bei all dem Schwachsinn nicht verhungerten oder uns verletzten und wenn wir es taten, dann war sie immer da um uns aufzufangen. Sie beharrte auf Regeln und wir bekamen auch mal Ärger, wenn wir sie nicht einhielten, doch damit schützte sie uns oft vor dummen Ideen. Aber sie beschützte uns immer wie eine Löwenmutter und hatte immer ein offenes Ohr und den besten Rat. Manchmal wünschte ich, ich könnte sie nach einem Rat fragen, wie jetzt gerade.
Sie hätte genau gewusst, was ich machen sollte. Sie hätte mir die Angst genommen und ich hätte mich sofort besser gefühlt. Aber hätte, hätte Fahrradkette.
Der Unfall hatte mich aus meinem Leben gerissen. Aus meiner kleinen, behüteten Blase. Ich hatte immer gedacht, sowas würde mir nicht passieren. Sowas passierte nur in Büchern und Filmen. Wie so oft hatte ich mich geirrt.
Obwohl ich vorher geglaubt hätte es wäre das schlimmste jemanden zu verlieren hatte ich mich auch dabei geirrt. Ja ich hatte es kaum verkraftet, als mir eine Psychologin erklärt hatte was passiert war. Bis heute konnte ich mich kaum erinnern. Nach einigen Monaten hatten die Albträume angefangen und einige Fetzen waren zurückgekommen. Doch man erzählte mir, dass wie einige Stunden in dem Wrack verbracht haben mussten. Mein Vater, der gefahren war, war langsam innerlich verblutet. Dabei war seine Stimme alles woran ich mich wirklich erinnerte. Er musste wahnsinnige Schmerzen gehabt haben. Doch er hatte versucht mir die Angst zu nehmen.
Mama hatte kein Wort gesagt, ich wusste nicht genau ob sie schon Tod war als der Wagen zum liegen kam. Ich konnte nur Jakob sehen, der neben mir, seltsam verdreht lag. Der Wagen hatte sich einige Male überschlagen und war auf der Fahrerseite zum liegen gekommen. Jakob hatte hinter Papa gesessen. Ich hatte mir den Kopf angeschlagen und so ziemlich alles geprellt was man sich so prellen konnte. Ich hatte gequetschte Nieren durch den Gurt und eine gebrochene Schulter. Doch ich war nach ein paar Wochen schon wieder völlig in Ordnung. Jedenfalls körperlich.
Jakob hatte zwei gebrochene Beine und eine gebrochene Wirbelsäule. Seine Beine mussten geschient werden. Er wurde vier Mal operiert um seine Beine zu richten. Zum Glück waren seine Nerven kaum geschädigt und auch seine Bänder hatten den Unfall größtenteils unbeschadet überstanden. Er hatte sich alle Rippen gebrochen und seine Lunge gequetscht. Ebenso wie seine Leber und seine Nieren. Eine der Nieren hatte sich nach etwa vier Wochen verabschiedet. Doch zum Glück hatte seine zweite Niere die Arbeit auffangen können. Doch der massive Schaden seiner Lunge und der Leber, die langsam auf das Herz schlugen hatten die Ärzte zu einer künstlichen Komamaßnahme verleitet. Zunächst sollte das nur einige Tage, dann ein paar Wochen dauern. Nach elf Wochen hatte man die Maßnahmen so weit beendet, dass er hätte aufwachen sollen, doch sofort hatte sein Körper rebelliert. Obwohl seine Gehirnaktivität in voller Funktion war. Im ersten Jahr hatten wir die Maßnahme drei mal beendet. Jedes Mal ohne Erfolg und mit weniger Hoffnung.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Haus schon geräumt und verkauft, um näher bei Jakob in eine kleine Wohnung direkt neben dem Krankenhaus zu ziehen. Das Geld der Lebensversicherung wurde geteilt und in zwei Fonds angelegt, von denen die Therapien bezahlt wurden.
Als mir die Ärzte eröffneten, dass er verlegt werden müsse in eine Anstalt für Dauerkoma- Patienten war ich zunächst völlig vor den Kopf gestoßen. Man riet mir die Klinik bei München, sie sei eine der besten des Landes. Ich bekam einen Platz und folgte ihm.
Noch während ich auf der Suche nach einer Wohnung war, nachdem ich mich bei der Uni eingeschrieben hatte, lernte ich Kathi kennen. Ich entfernte mich weiter von Jakob und kämpfte mit meinem schlechten Gewissen. Ich fuhr anfangs jedes Wochenende hin und saß an seinem Bett und mit jeder weiteren Woche fühlte ich mich trostloser, hoffnungsloser.
Bis Jakob aufwachte. Irgendwie war das der Zeitpunkt, wo alles absolut aus den Fugen geriet. Und egal was war, ich würde nichts daran ändern. Nie und nimmer.
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Will you be my Secret
RomanceMarie dachte immer sowas passiert einem nicht. Nicht ihr jedenfalls. Wie soll man darüber schon hinwegkommen? Gar nicht, oder? Naja jedenfalls nicht wenn man dauernd darüber redet und darüber nachdenkt. Ein Jahr später läuft ihr Leben recht gut. Si...