35| Perspektivenwechsel.

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 Micha 

In meinem Kopf herrschte Chaos. Mal im Ernst, es war als würden all meine Synapsen vor Panik kreischen. Wir hatten das in den letzten Wochen mehr als einmal durchgeplant. Tasche, Autoschlüssel, Marie. Einfach. Sollte es jedenfalls sein.
Ich hatte nicht eingeplant das ich plötzlich in Panik geriet. Wenigstens hatte Marie einen kühlen Kopf. Sie watschelte zur Tür, während ich mit zitternden Händen hinter ihr war. 
Es war soweit. Das Lotterleben war vorbei. Und es störte mich kein bisschen. Moment, wenn musste ich nochmal alles anrufen? Mama, Papa, Kathi, Alex, ja Alex würde nicht schaden. Ah und Jakob. Wichtig!!! 
Marie drehte sich zu mir um, ihre langen blonden Haare, die in den letzten Monaten echt gewachsen waren, umrahmten ihr gerötetes Gesicht und obwohl sie litt, lächelte sie mir aufmunternd zu, als wäre ich es der ihre Hilfe brauchte. Nun so war es, doch ich war hier der Mann. Ich musste einen klaren Kopf behalten. 
Aber alles woran ich dachte, war wie schön sie war. Seit dem Tag an dem ich sie in meinem Bett fand. Ich hatte gehofft sie würde nicht aufwachen, weil ihre weiche Haut sich so gut angefühlt hatte und als sie dann in Panik aufgesprungen war... Aber ihr Kratzbürstiges Verhalten hatte mich erst richtig scharf gemacht. Ich liebte es wenn sie wütend war, vorzugsweise nicht auf mich, aber schon so wütend, dass sie die Nase rümpfte und Fluchte. Das war heiß. 
Und mit jedem Mal das ich sie sah, hatte sie mich fester gepackt. Ich meine sie hatte diesem Typen die Nase eingeschlagen. Ohne zu zucken. 
"Ich möchte dich ja echt nicht stören, aber ich muss jetzt ins Krankenhaus." Riss sie mich aus meiner Trance. "Ja, klar. Scheiße. Alles in Ordnung?" Fragte ich sie und marschierte auf sie zu. Sie war schon aus der Tür gegangen und wartete im Treppenhaus auf mich. 
Ich konnte es nicht abwarten, wenn wir endlich in das Haus ziehen konnten. Marie sah mich mit einem Lächeln an. "Ich bekomme gerade ein Kind, ansonsten geht es mir gut." Langsam machte sie sich auf den weg die Stufen hinunter. "Warte." Ich hing mir die Tasche um und trat zu ihr, griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis wir endlich im Auto saßen und ich mit Vollgas ins Krankenhaus fuhr. 
Ich verstand jetzt warum die Väter solche Nervensägen waren. Als Rettungssanitäter waren die Väter meist die schlimmsten. 
Ich hielt vor der Aufnahme und fuhr mit dem Wagen auf den Angestellten-Parkplatz. Der Eingang war nur ein paar Meter entfernt. Ich half ihr aus dem Wagen, rannte dann hinein und schnappte mir einen Rollstuhl aus der "Flotte" wie Alex und ich sie nannten. 
Dann ging alles so schnell, dass ich es kaum mitbekam. Und mit jeder Sekunde, wurde sie noch schöner. So schön und so unglaublich und stark, dass ich vor Stolz fast platzte. Und als ich den kleinen Wurm sah, endlich von Angesicht zu Angesicht, tat meine Brust so weh, dass ich wusste ich würde egal wie schlimm es werden würde, alles überstehen konnte. Für sie und für den Wurm. Für den Wurm der endlich ein Gesicht hatte und bald schon einen Namen haben würde. Für den Wurm der sowohl ein Teil von ihr, als auch ein Teil von mir war. 
Es gab keinen schöneren Anblick als ihr verschwitztes, verheultes, gerötetes, erschöpftes Gesicht, das wie ein Leuchtfeuer strahlte, als sie ihn in ihren Armen hielt und mich ansah, um mir zu danken. Dabei hatte ich nichts damit zu tun, das war ihr Werk. Und ich war der Glückliche, den sie sich entschieden hat dabei zu haben.
Wir wurden auf die Station verlegt und immer wieder nickte sie kurz weg. Der Kleine schlief die meiste Zeit und ich hoffte, dass es so bleiben würde. Denn nicht das ich das süße Quieken und säuerliche Kreischen nicht mochte, doch ich wollte das Marie nicht bei jedem seiner Geräusche aufschreckte.
Als die Tür aufging und ich meine Mutter und meinen Vater sah, konnte ich mir kaum die Tränen verkneifen. Ich wusste das meine Eltern mich liebten, das hatten sie immer und auch wenn ich viel Scheiße gebaut hatte, waren sie Stolz auf mich. Doch ich realisierte es nicht. Ich war selbst enttäuscht von mir. Doch der Stolz in ihren Gesichtern, brachte mich fast um. Mein Vater kam zu mir und lächelte, als er den Kleinen sah. Väterlich legte er seine Hand auf meine Schulter. "Das hast du gut gemacht, mein Sohn!" Er sagte es leise und fast so als wolle er nicht das jemand, anderes als ich, es hörte. 
Als Kathi hereinkam fing sie sofort an quietschende Geräusche zu machen. "Du bist ja ein süßer, kleiner Fratz." Sagte sie und griff nach seinen kleinen Fingern.  "Oh guck mal, er blinzelt." Sagte sie entzückt und Mama lächelte ebenfalls verzaubert. "Wie kann aus dir nur sowas schönes entstehen." Sagte Kathi und grinste mich breit an. "Ich glaube nicht, dass er besonders viel von mir hat." Antwortete ich und sah zu Marie, die träge zu uns blickte. "Oh da wird man ja richtig neidisch." Sagte Kathi und ich lachte, als Papa sie ansah und schockiert den Kopf schüttelte. "Aber nur fast." Sagte er und auch Mama lächelte. 
Dann ging die Tür auf und Jakob kam herein. Marie schnappte nach Luft, als er nur mit einer Krücke hereinkam. Er wurde von einer kleinen, brünetten Frau begleitet, die ihn stützte. Sie sah sich um und errötete. Jakob griff nach ihrer Hand, tätschelte sie sanft und bat sie ihm zu dem kleinen Wagen zu helfen in dem sein Neffe lag.
Er blieb davor stehen und lächelte stolz. "Gratulation, Mann." Sagte er und hielt mir die Hand hin. Ich schlug ein und lächelte stolz. "Danke." Dann wandte er sich zu Marie um und ging, mit der Hilfe seiner neuen Freundin, zum Bett und ließ sich etwas darauf sinken. Er nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. "Mama wäre stolz auf dich. Und Papa wüsste schon genau was für Unsinn er dem Kleinen als erstes beibringen würde." Marie lächelte, während Tränen aus ihren Augen quollen. Sie blickte mich an und dann wieder den kleinen Wurm. "Ich wünschte sie wären hier." Sagte Marie leise und ich schluckte. Der Schmerz in ihrer Stimme überschattete mein Gemüt sofort. "Das sind sie doch." Flüsterte Jakob leise. "Sie sind immer hier. Und wenn sie mal nicht da sind, dann hast du die beste Familie die man sich wünschen kann." Seine Stimme klang so brüderlich, wie es nur ging. "Sieh dich doch nur um. Noch mehr Liebe würde doch nicht in diesen Raum passen." 

Will you be my SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt