23| "Bitte, schlaf mit mir."

111 12 0
                                    

Müde stapfte ich zur Haustür. Das Dauergeklingeln hatte mich aus meinem Tiefschlaf gerissen. Stöhnen kämpfte ich mich unter der warmen Decke hervor. Wenn das kein Notfall war, um halb drei Uhr in der Nacht, dachte ich genervt. 
Unüberlegt, immerhin hätte es sonst wer sein können, öffnete ich die Tür und erstarrte. "Hey du." Sagte Micha mit erhobenem Finger. Er schwankte leicht und griff nach dem Türrahmen, damit er nicht umfiel. Ich hatte ihn noch nie betrunken erlebt. Ich hatte ihn ehrlich gesagt noch nie trinken sehen. "Du bist betrunken." Sagte ich fassungslos, er kicherte. Zusätzlich kniff er sein rechtes Auge zu und zeigte mit einen kleinen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger. Er war absolut besoffen. "Was willst du hier?" Fragte ich ihn und sein Lächeln verschwand. "Bist du mit dem Typen zusammen?" Fragte er mich und ich schnaubte. Ich antwortete nicht. "Dieser Pflegefall? Stehst du auf den? Ich meine..." Er brach ab, vermutlich merkte er das er ein totales Arschloch war. Ich verschränkte abwehrend die Hände vor der Brust. Es war mir egal wer er war, doch wenn er begann Jakob zu beleidigen, dann war ich raus.
"Und wenn es so wäre?" Wollte ich wissen und sah ihm direkt in die Augen. Abrupt wich er etwas zurück. Verlor dabei etwas das Gleichgewicht. "Du solltest schlafen gehen. Darüber können wir später reden." Sagte ich und rieb mir die Augen. Ich war müde, es war spät und er wusste nicht was er sagte. Bevor er aber etwas sagte, was mich richtig wütend machte, sollte er gehen. 
Doch das tat er nicht. Stattdessen schob er sich an mir vorbei in die Wohnung. Streifte sich auf dem Weg ins Schlafzimmer seine Schuhe und Jacke ab. Fassungslos starrte ich ihm nach. "Komm schon." Rief er und ich schnaubte ungläubig. Das konnte doch nicht sein ernst sein. Als ich die Tür geschlossen hatte und in mein Schlafzimmer ging, sah ich seine Hose vor mir auf dem Boden liegen und sein Shirt lag in einer anderen Ecke. Er hingegen lag eingekuschelt in meinem Kissen und meiner Decke da und hatte die Augen geschlossen. "So hatte ich das aber nicht gemeint." Grummelte ich und ging um das Bett herum. Mit einem Ruck zog ich ihm meine Decke weg, doch das schien ihn kaum zu stören. Dann legte ich mich, eingekuschelt und so weit weg wie das Bett es zuließ, von ihm hin. Doch wie sollte ich schlafen. Sein Geruch kitzelte meine Nervenenden. Sein Atem ließ mich schaudern. Krampfhaft versuchte ich zu ignorieren, dass er da war. Das er hier bei mir war.
Doch selbst wenn er nicht hier gewesen wäre, hätte meine verkrampfte Haltung eh nicht schlafen gelassen. Wobei das ja auch an ihm lag. Genervt wälzte ich mich auf den Rücken. Fast im gleichen Moment wälzte er sich herum und warf seine große Pranke auf meinen Bauch. Er zog mich an sich. 
Wäre ich nicht so wütend gewesen, wäre ich explodiert. Doch dieses Gefühl, dass er in mir auslöste wurde von meiner Wut gedämpft. Und doch flatterte mein Herz, sackte mir in den Bauch und explodierte dort in tausend Schmetterlinge, die wild umher flogen. 
Ich konnte mich nicht erinnern je dieses Gefühl gehabt zu haben und es versetzte mich in absolute Panik. Ruckartig schlug ich die Decke zurück und befreite mich aus seinem Griff. Das war absolut furchtbar. Kathi tauchte in meinem inneren Auge vor mir auf. Am liebsten hätte ich sie angerufen und sie gefragt, was ich machen sollte. Doch ich stand auf, ging in die kleine Küche und setzte mich auf die Arbeitsplatte. Ich musste stark bleiben. Dieses ständige hin und her musste ein Ende haben.
Mein Körper fühlte sich wund an. Als wäre ich überall mit Schmirgelpapier behandelt worden. Und mein Inneres wollte sich nicht von ihm fernhalten. Mein Gewissen war leiser geworden mit jedem Mal wenn er mir näher kam. Gänsehaut zog sich über meinen Körper. Ich schloss die Augen, fuhr mir durchs Gesicht und versuchte das alles zu ignorieren was mir die Tränen in die Augen trieb. 
Als ich meine Hände sinken ließ und meine Augen öffnete stand Micha vor mir. Er sah mich an, wirkte völlig klar. "Ich will..." Er brach ab in seiner Stimme eine absolute Verzweiflung. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Es war absolut dämlich. Er war ein fremder. Ein Fremder den ich kaum kannte. Ich wusste doch nichts über ihn. Ich hatte kaum Zeit mit ihm verbracht. Und trotzdem fühlte es sich furchtbar an, dass ich ihm nicht nah sein sollte. Das ich mich entscheiden musste. 
Er kam auf mich zu, umfasste mein Gesicht mit seinen Händen und wischte mir die Tränen aus den Augen. "Nicht weinen, bitte." Flüsterte er und schob sich zwischen meine Beine, die von der Anrichte baumelten. Dann drückte er meinen Kopf an seine Schulter und umarmte mich so fest, dass ich für einen Moment das Gefühl hatte alles würde gut werden. Ich konnte alles haben. Jakob, Kathi und Micha. 
"Ich bin hier." Hauchte er und küsste dann meinen Scheitel. "Und ich werde nicht gehen." Ich wusste er wollte mich beruhigen, doch seine Worte holten immer mehr von meiner angestauten Trauer, Angst und Frustration hervor. "Ich werde nicht gehen, wenn du mich nicht darum bittest." Doch Micha tat nichts außer mich zu halten. Und damit tat er gleichzeitig alles. Ich krallte meine Finger in seinen nackten Rücken und schloss die Augen. Atmete tief seinen Duft ein. Ich wollte ihm näher sein. Wollte das Gefühl der Ruhe konservieren, dass sich langsam einstellte. 
Ich hatte keine Ahnung wie lange ich geheult hatte, doch irgendwann standen wir nur noch da. In dieser seltsam intimen Umarmung und hielten einander fest. Langsam löste ich mich von ihm und sah ihn an. Er sah mich besorgt an, als wäre ich so zerbrechlich, das er Angst hatte mich zu verlieren. Als würde ich jeden Augenblick kaputt gehen. 
Sachte hob er die Hand und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Dann lächelte er sanft. Aber fast zeitgleich wurde er wieder Ernst. Er musterte mich lange, studierte mein Gesicht und die Intensität in seinem Gesicht machte mich ganz nervös. Ein paar Mal schien er etwas sagen zu wollen, doch es wollte ihm nicht über die Lippen. Bis er irgendwann doch sprach, als ich schon fast nicht mehr damit rechnete. "Bitte, schlaf mit mir. Ich weiß wir müssen das beenden. Aber bitte schlaf mit mir. Ein letztes Mal."


Will you be my SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt