12| "Auf keinen Fall!"

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Ich saß auf meiner Couch und atmete tief ein. Es roch noch immer etwas modrig, doch das gröbste war überstanden. Ein paar Tage Lüften und meine Wohnung wäre wieder so gut wie neu. Es war eigenartig. Ich war heilfroh wieder in meiner kleinen, perfekten Wohnung zu sein. Hier konnte ich alleine sein. Ich konnte ich sein. Machen was ich wollte. Nackt rumlaufen, singen, tanzen. Ich konnte ich sein. 
Gleichzeitig aber spürte ich diesen stich. Es war schön gewesen mal wieder in eine Familie zu gehören. Wenn auch nur für ein paar Tage. Es war schön, dass sich jemand um einen sorgte, um einen kümmerte. 
Erika hatte mir in den letzten Tagen täglich mein Handgelenk behandelt und das obwohl der Schmerz schon fast weg war. Und auch wenn Kathi mich nervte würde ich diese nächtlichen Gespräche vermissen. Ihre vielen, lauten Worte. Ihr klares Lachen und diese Freude. Eigenartig sie nicht ständig um mich herum zu haben. Und Willy. Er hatte mich stets mit Anekdoten erfreut. Hatte mir ständig Fragen gestellt, die ich nicht beantworten konnte, aber über die ich so lange nachgrübelte, bis mein Kopf weh tat. 
Und Micha. Keine Ahnung was das war. Doch jeden Morgen machten wir uns gemeinsam im Bad fertig. Setzten uns an den Frühstückstisch und aßen schweigend. Ich wusste das er mich manchmal beobachtete und ich ging davon aus, das er wusste, dass ich ihn manchmal beobachtete. Kathi redete meistens so viel, dass es kaum auffiel das wir eigentlich nichts sagten. Wir unterhielten uns mit den anderen. Aber es machte mich so nervös nur in seiner Nähe zu sein. Dieses Essen hatte etwas verändert. Jedenfalls für mich. 
Ich legte die Füße hoch und kuschelte mich in meine große Eckcouch, die ich für Lau im Internet bekommen hatte. Meine gesamte Einrichtung hatte nicht viel Geld gekostet, einfach, weil ich es nicht gehabt hatte. 
Zwar hatten meine Eltern uns ziemlich viel Geld hinterlassen, doch das meiste war für Transporte und Krankenhausrechnungen drauf gegangen. Für Jakob hatte ich ein Konto angelegt, das etwa die Hälfte der Gesamtsumme beinhaltete. Und obwohl ich mich sträubte das Geld anzurühren, hatte ich doch seine Kosten von meinem Geld bezahlt und immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich daran dachte, mich daran zu bedienen. Dafür hasste ich mich sogar selbst. Doch neben dem Studium hatte ich immer einige Wochen hier und da gearbeitet. Ich würde einige alte Arbeitgeber anrufen und fragen, ob ich bei ihnen arbeiten konnte. Immerhin brauchte ich das Geld und vom Bafög ließ sich nicht ewig leben. 
Als ich aufwachte merkte ich erst das ich eingeschlafen war. Mein Telefon klingelte vehement und schrie mich förmlich an. Ich musste dringend diesen Klingelton ändern, war ja furchtbar. 
"Ja?" Fragte ich Kathi, als ich ranging. "Endlich. Ich dachte schon du ignorierst mich." Sie lachte. "Kommst du mit ins Lupo?" Ich schloss die Augen. "Ich will feiern und Leon hat keine Lust. Bitte." Quengelte sie in ihr Handy. "Nur wir beide?" Wollte ich wissen und ich konnte ihr Nicken beinahe hören. "Nur du und ich." Versprach sie aufgeregt. "Gut. Wann willst du los?" Hakte ich nach und sie quietschte freudig. "Ich bin um acht bei dir! Das wird super." Ich brabbelte ein paar Zustimmende Worte, doch sie lachte nur leise. "Bis nachher." Dann war sie weg. Ich ging also Feiern. In die Disko im Nachbarort. 
Mit diesem Gedanken pennte ich auf der Couch ein und erwachte, als das Klingeln einfach nicht aufhören wollte. Genervt schwang ich mich vom Sofa und taumelte verpennt zur Tür. Es war schon zehn nach acht. Das war kein kleiner Mittagsschläfchen gewesen. Das war ein ausgewachsenes Nickerchen. 
Es überraschte mich nicht das Kathi aufgedreht vor der Tür stand und mich belustigt musterte. In der Hand eine Flasche Sekt und eine Tasche, vermutlich waren da ihre Klamotten drin. 
Kathi war eines dieser Mädchen Mädchen. Sie liebte es sich aufzubrezeln, hübsch zu sein und dafür auch alle Hausmittel zu benutzen die sie fand. Dabei hatte sie es nicht nötig. Denn sie war auch eines dieser Mädchen, die von Natur aus so schön waren, dass Leute wie ich sich direkt fehl am Platz fühlten. Aber das ließ sie einen nie spüren. Sie war freundlich und gütig. Meistens. Denn niemand ist perfekt, auch wenn ich glaubte, dass Kathi ziemlich nah dran war. 
Sie war auch manchmal eine richtige Zicke. Sie dachte nicht an Konsequenzen und war dann damit überfordert. Und wenn sie getrunken hatte wurde sie manchmal zu einer kleinen Egomanin. Doch keine dieser schlechten Eigenschaften würde mich dazu treiben mich von ihr abzuwenden. Denn sie war die beste Schwester die ich je hatte. Sie gab mir immer das Gefühl Teil von etwas zu sein und niemals machte sie mir klar, dass ich nicht zu ihr gehörte. Etwas was ich gebraucht hatte. Ich wollte zu jemandem gehören. 
"Lass uns heute richtig Party machen." Sagte Kathi und riss mich aus meinen Gedanken. Ihr freudiges Lächeln hob meine Laune und holte mich endgültig aus dem Schlaf. "Du wirst dir heute was richtig geiles anziehen. Wie wäre es mit einem deiner Prachtstücke?" Sie marschierte an mir vorbei ins Schlafzimmer. Ich schloss die Wohnungstür. Schnell folgte ich ihr. Sie hing schon mit dem Kopf in meinem Schrank. 
"Das hier?" Sie hielt ein kurzes, schwarzes Kleid hoch, mit geschlitzten Schenkelausschnitt. Sofort schüttelte ich den Kopf. 
Meine Prachtstücke, wie Kathi sie immer bezeichnete, waren Kleidungstücke, die ich mir gekauft hatte und nie getragen hatte. Nicht weil sie nicht passten oder weil sie mir nicht mehr gefielen. Sondern weil sie gewagt waren und ich nicht die passende Figur hatte, sie zu tragen. Ich mochte es Kleidung zu tragen die mir an anderen gefiel. An dünnen, schönen Frauen. Und ich mochte sie auch an mir. Doch nie traute ich mich damit vor die Tür. Und erst recht nicht in den Kleidern. Ich fühlte mich darin nackt. 
"Komm schon." Sie zog ein leuchtend rotes Kleid aus dem Schrank, das einen viel zu tiefen Rückenausschnitt hatte. Wieder schüttelte ich den Kopf. Sie durchsuchte noch eine ganze Weile meinen Schrank, bevor sie sich wieder hervorkämpfte und einen langen Jumpsuit herauszog. Einer meiner Lieblinge. "Den hier!" Sagte sie wiederholt und hielt ihn mir hin. Er verdeckte so ziemlich alles, außer dass er einen Wahnsinnig tiefen Einblick in mein Dekolletee erlaubte. Meine Schultern wären nur von einem dünnen Träger bedeckt und das bisschen Stoff daran verdeckte gerade so meine Brüste. An der Taille war er eng geschnitten und fiel dann in langem fließenden Stoff an meinen Beinen hinab. 
"Auf keinen Fall!" Flüsterte ich leise und starrte auf den schwarzen Jumpsuit. Er funkelte leicht im Licht. "Auf jeden Fall." 

Will you be my SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt