30| Würmchen.

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"Ich habe scheiße gebaut." Sagte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Jakob sah mich stirnrunzelnd an und griff nach meiner Hand. "Hey, hey. Alles gut." Sagte er und klang etwas überfordert. "Tut mir leid. Du hast so viel auf der Platte gerade." Sagte ich leise und kniff die Augen zusammen.
"Egal was ist, du kannst mit mir immer über alles reden. Egal was bei mir los ist. Also rede mit mir." Sagte er und hörte sich an, wie früher. Das warme Gefühl strömte durch mich hindurch. Er war meine Familie. Er war alles was ich an Familie noch hatte. Er und der kleine Wurm. 
Mein kleiner Wurm. 
"Ich wünschte Mama wäre hier. Ich würde mit ihr darüber reden. Bei ihr dachte ich immer, ich kann alles schaffen." Sagte ich und sah, wie er nostalgisch lächelte. "Ja. Sie war unglaublich. Sie hat mich immer zum Lachen gebracht. Ich hab mich sofort besser gefühlt. Egal was los war." Das stimmte. Sie hatte mir immer über den Kopf gestrichen und leise irgendwas gesagt, was mich aufgemuntert hatte. 
"Also, erzähl mir was los ist." Bat er und lächelte, wie Mama es immer getan hatte. Wie er mich ansah, sah er Mama so ähnlich. "Ich bin schwanger." Es war das erste mal, dass ich es aussprach und es traf mich, als hätte ich es noch nie gehört.
Doch nicht eine Sekunde entgleiste sein Ausdruck. Er nickte nur. "Willst du es behalten?" Fragte er neutral. Ich hatte Angst gehabt er würde mich verurteilen. Er würde mir sagen, wie dumm ich war, doch das tat er nicht. 
"Ja." Hauchte ich leise. "Was ist mit dem Vater? Weiß er bescheid? Steht er dazu?" Ich war dankbar das er nicht fragte, wer es war. Doch vermutlich glaubte er, dass er ihn eh nicht kannte. "Nein." Flüsterte ich mit bebenden Lippen. 
"Gut. Hast du einen Plan? Möchtest du weiter studieren bis zur Geburt? Möchtest du eine Pause machen? Wie sieht es mit deiner Wohnung aus? Hast du genug Platz?" Ich sah ihn an. Ich hatte mir darüber noch absolut keine Gedanken gemacht. Ich war ein Wrack. Ich dachte daran, dass ich richtig essen sollte und wusste nicht mal was das bedeutete. Ich war einfach überfordert. 
"Ich weiß es nicht." Gab ich also zu und drückte mir beide Hände ins Gesicht. Sachte zog er sie allerdings weg und schenkte mir dieses warme Lächeln. "Wir bekommen das hin!" Versicherte er mir. "Du wirst eine tolle Mami sein." Fügte er hinzu. "Und bei einem so gut aussehendem, charmanten, witzigen Onkel kann doch nichts schief gehen." Schniefend lachte ich über seine Worte. Ich fühlte mich sofort besser. 
"Ich fahre nachher zu Kathi nach Hause. Ihre Mama hat ein paar Sachen für mich. Kathi konnte es ihr nicht verheimlichen. Was auch ganz gut ist, Erika hat das ja alles schon durchgemacht." Sagte ich. Ich war nur froh, dass Micha wohl Nachtschicht hatte. Nur als sie mir versichert hatte, dass wir alleine mit Erika sein würden, hatte ich zugestimmt. 
"Sie wird dir bestimmt helfen können." Sagte Jakob. Dann wechselte ich das Thema und Jakob ließ es zu. Ich wollte nicht den ganzen Tag darüber sprechen, nicht wenn ich schon den ganzen Tag darüber nachdachte. Als der Pfleger, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte, Jakob abholte, machte ich mich auf den Weg zu Kathi. Ich war erleichtert, als ich Michas Wagen nicht vor der Haustür stehen sah. 
Sie riss die Tür auf, bevor ich geklingelt hatte und riss mich in eine Umarmung. "Wie geht es dir? Alles in Ordnung?" Wollte sie wissen und ich blickte sie an. "Mir geht es gut." Sagte ich zögerlich und ließ mich von ihr in die Küche ziehen. Schnell drückte sie mich auf die Bank, stellte aber sicher, dass mein Hintern auf drei Kissen saß, damit ich es schön weich hatte - ihre Worte nicht meine. 
"Lass sie doch erst mal ankommen." Bat Erika ruhig. Kathi war aufgeregt, seit wir das Ergebnis vom Arzt hatten. Sie hatte mich etwas in den Wahnsinn getrieben. Doch Erika bildete nun ihren Gegenpol. Eine ruhige Oase im Sandsturm. 
"Möchtest du etwas trinken?" Fragte Erika und sofort sagte Kathi: "Keinen Kaffee. Davon wird ihr schlecht." Ich lachte auf. "War bei mir auch so. Einen Tee? Wasser?" Obwohl sie mich umsorgte, war es anders. Bei Erika hatte ich nicht das Gefühl zerbrechlich zu sein, sondern, dass sie sich um mich kümmern wollte.
"Einen Tee. Danke!" Sagte ich und lächelte sie an. "Sehr gerne." Sagte sie und holte eine große Tasse aus dem Schrank. Sie hängte einen Beutel hinein und wartete auf den Wasserkocher. An der Theke lehnend blickte sie mich an. "Also wie geht es dir? Wie geht es deinem Bruder?" Sie stellte zwar die gleiche Frage wie Kathi, doch hatte ich das Gefühl, dass sie etwas anderes wissen wollte. 
"Ich bin überfordert. Ich habe es Jakob gesagt und alle sagen immer, dass wir das hinbekommen, aber das Gefühl habe ich nicht." Erklärte ich ehrlich. Kathi nahm meine Hand. Erika lächelte mütterlich. "Wir bekommen das hin." Versicherte sie. "Aber egal wie viele Leute dir helfen, wirst du immer Angst haben. Das ist das Leben einer Mutter. Das Gefühl für jemanden verantwortlich zu sein. Das ist ganz normal." Sagte sie sanft und goss den Tee auf. Kam dann zum Tisch, stellte die Tasse vor mir ab und ließ sich mir gegenüber auf einem der Stühle nieder. 
"Kathi meinte vom Vater hast du noch nichts gehört? Aber du weißt wer es ist? Denn auch wenn dir das unangenehm ist... Es wird Zeiten geben da wirst du das Geld und das Kind einen Vater brauchen." Sagte sie schlicht. "Ich weiß wer der Vater ist aber..." Ich brach ab. 
"Ich werde das ohne ihn schaffen." Sagte ich stattdessen. Erika lächelte. "Das bezweifle ich nicht." Die Haustür klappte. Keine Minute später stand Micha in der Tür, gefolgt von Alex. Es traf mich wie einen Schlag in den Magen. Er sah gut aus. Trug einen weißen Pulli mit einem Logo auf dem Herzen, dass ich nicht lesen konnte und eine rote Hose mit Reflektoren an dein Beinen. Kathi hatte irgendwann erwähnt, dass er als Rettungssanitäter arbeitete, doch ich hatte das nie irgendwie aufgenommen. Alex trug wie immer schwarz. 
Er blieb stehen und starrte mich für einen langen und doch viel zu kurzen Moment an. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen. Übelkeit kroch in mir hoch. Ich war absolut nicht bereit ihn zu sehen. Er war so attraktiv. Und diese Uniform. Ich schloss die Augen. 
Doch als mir die Galle aufstieg, riss ich mir die Hand vor den Mund, sprang auf und rannte zum kleinen Gästeklo, der Küche gegenüber. Alex sprang zur Seite, doch Micha reagierte nicht schnell genug und ich rempelte ihn an. Aber darauf konnte ich mich nicht konzentrieren. 
Als ich mich endlich übergeben hatte und mein Körper nur noch in der Lage war trocken zu würgen, ließ ich mich auf den Boden fallen und legte meine Hand auf meinen Bauch. "Tut mir leid, das deine Mama so eine Verrückte ist." Flüsterte ich dem kleinen Würmchen zu. "Ich hoffe du magst mich wenigstens ein kleines bisschen." 
Erst als die Tür hinter mir geschlossen wurde, öffnete ich die Augen. Kurz hatte ich Angst es wäre Micha, doch Erika stand vor mir. "Geht es dir gut?" Ging es mir gut? Tat es das? Ich hatte keine Ahnung. "Die Hauptsache ist doch dem Würmchen geht es gut." 

Will you be my SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt