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"20. November 2016. Du und Minho wart in einem Auto unterwegs, und seid in einen Unfall geraten. Du und Minho lagen im Koma, du für ein halbes Jahr, er für acht Monate.", erklärte meine Mutter monoton, das halbvolle Weinglass auf dem Tisch vor uns ansehend, mit einem leeren Blick.
"Was ist mit dem Fahrer? Lebt er noch?", fragte ich.
Sie seufzte.
"Wenn ich dir das erzähle, darfst du aber nicht ausrasten, okay? Der Fahrer war dein Vater. Du und Minho wart ein Paar, und dein Vater war dagegen. Er hat Minho gehasst. Er...hat dich gehasst. Und er wollte euch nicht mehr zusammen sehen. Allgemein wollte er euch nicht mehr sehen. Also hat er sich entschieden, euch umzubringen, und sich gleich mit, weil er wusste, er würde Probleme bekommen. Gestorben ist aber nur er."
Ich schluckte, während mir die Tränen in die Augen traten, und ich versuchte gar nicht erst, sie zurück zu halten. Mein Vater hat versucht, mich umzubringen. Mein Vater ist bei einem Versuch seinen Sohn zu töten selber gestorben.
Minho kannte mich.
Ich kannte Minho.
Wir waren zusammen.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, womit hatten ich und Minho das verdient. War meine Mutter deshalb so nett zu ihm gewesen? Weil sie ihn auch kannte?
"Wie lange war ich mit ihm zusammen?", fragte ich sie, mit wackeliger Stimme, ohne Augenkontakt zu machen.
"Drei Jahre. Ihr wart so glücklich und so süß zusammen...es war tragisch zu erfahren, dass ihr euch nicht mehr aneinander erinnern würdet, sobald ihr aufwachen würdet. Deinen....deinen Bruder hat es am Meisten getroffen, er hat Minho echt gemocht."
Diese Worte waren wie ein Messerstich in meinem ganzen Körper. Mein Bruder wusste es auch. Und er ist mit diesem Gewissen ins Grab gegangen.
Er kannte Minho.
Ich hielt es nicht mehr aus. Und ich wollte es nicht mehr aushalten. Ich brach auf dem Sofa zusammen, lag da nur noch schluchzend, ein paar Mal schrie ich leise. Das tat alles so sehr weh. Ich war mir sicher, alles was danach passieren würde, würde nur halb so schmerzhaft sein, es sei denn ich würde meine Mutter oder Minho verlieren.
Um Gottes Willen, bitte nicht. Ich würde mich von einem Dach stürzen, würde ich die beiden verlieren.
Aber eines war klar. Minho und ich waren zusammen, und eigentlich hielt mich nichts mehr davon ab, ihm zu sagen, dass ich sofort ihm gehören wollte.
Als ich mich beruhigt hatte, stand ich auf, ging in mein Zimmer hoch, um Minho zu schreiben, und stellte fest, dass er mir bereits geschrieben hatte.

Minho
Jisung
Es gab uns schonmal
Wir beide waren zusammen
Mein Vater hat es mir erzählt
Ich erinnere mich wieder

Und ab diesem Moment schien alles einen Sinn zu ergeben. Minho war da. Er war wieder da. Und er erinnerte sich.
Ich öffnete unseren Chat, mit Freudentränen in den Augen, und schrieb ihm zurück.

Ich
Ich habe dich so sehr vermisst

Minho
Ich dich auch
Ich will dich sehen
Jetzt
Ich komme gleich zu dir

Ich ging offline, lief runter und zog mir meine Schuhe schon an, da stand meine Mutter in der Tür.
"Jisung."
Ich schaute zu ihr hoch. Ihre Augen trugen etwas warmes, etwas glückliches in sich, sie war erleichtert.
Sie hockte sich direkt vor mir hin, strich mir über meine Wange, und flüsterte lächelnd:
"Hol ihn dir zurück."
Ich nickte, stand auf und wollte gerade zur Tür rausgehen, da hielt ich inne. Etwas fehlte.
Ich drehte mich langsam wieder zu meiner Mutter um, ging auf sie zu und umarmte sie fest. Sie schmiegte sich an mich, ließ mich dann los und nickte mir zu. Dann ging ich los.
Kaum war ich aus der Tür, begann ich zu laufen, ich rannte so schnell ich konnte auf dem Weg zu Minho. Und irgendwann, da ganz vorne, so klein wie ein Punkt, lief ein Junge auf mich zu. Er hatte braune Haare, die beim Laufen überall herumflogen, er lief so schnell er konnte.
Minho.
Mein Herz begann zu rasen, ich lief schneller. So als würde ich einen Wettlauf mit meinem Puls machen, wer würde zuerst anhalten, wer würde zuerst stehen bleiben.
Ich hatte ihn fast erreicht. Ich sah sein Gesicht, die scharfen Züge, und ich lächelte. Gleich, gleich habe ich dich. Gleich werde ich dich wieder in meinen Armen halten. Gleich werde ich dich wieder küssen.
Gleich.
Ich hatte ihn erreicht. Er blieb stehen, fing mich auf, und direkt lagen meine Lippen auf seinen. Ich spürte sie wieder, und als hätte etwas in meinen Kopf eingeschlagen, waren die Erinnerungen wieder da. Alles war wieder da, die Zeiten die wir zusammen durchlebt hatten, die Höhen, die Tiefen, alles war wieder da.
Ich erinnerte mich.

Kalon (Minsung) [Stray Kids FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt