Prolog - Der Abschied

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"Musst du wirklich unbedingt nach Köln?", verzweifelt halte ich meinen ältesten Bruder fest und fange fast an zu heulen. Ich weiß, das ist peinlich für eine fast Dreizehnjährige, aber trotzdem Felix ist nun mal mein absoluter Lieblingsbruder.

"Wirst du mich vermissen?", frage ich ihn leise, während sich jetzt wirklich Tränen in meinen Augen bilden. "Klar mein Engel. Ich werde euch alle vermissen.", antwortet er mir und schiebt dann noch schnell ein "Dich natürlich am meisten." hinterher, da er merkt, dass ich leicht beleidigt bin.

Jetzt ist es soweit. Felix' Freunde, mit denen er in ein Haus zieht, sind mit einem Umzugswagen angekommen. Sie begrüßen uns alle richtig höflich, doch ich funkle sie nur wütend an. Das sind schließlich die Idioten, die mir meinen Bruder klauen wollen. Simon, ein Typ mit Dreadlocks und Stoffhosen, ein richtiger Öko, kommt auf mich zu. "Hey Zoey, komm sei nicht traurig, dass dein Bruder wegzieht. Du kannst ihn doch besuchen.", versucht er mich zu trösten, doch ich bleibe stur und tue so, als würde ich ihn gar nicht bemerken. Nach einer Weile gibt er seufzend auf und geht weg. Unauffällig beobachte ich ihn dabei, wie er auf die anderen einredet. Anscheinend will er, dass sie auch versuchen mich zu trösten, denn Ardy läuft jetzt zu mir rüber. Er sagt auch irgendwas um mich aufzuheitern, aber auch er wird von mir ignoriert. Als er wieder gegangen ist kommt der letzte der drei auf mich zu. Sein Name ist Taddl. Anders als Simon und Ardy sagt er gar nichts, sondern nimmt mich einfach in den Arm. Anscheinend habe ich genau das gebraucht, denn plötzlich fange ich an richtig zu heulen. "Heey. Ganz ruhig. Ich verspreche dir, dass ich persönlich dafür sorge, dass Felix euch besucht. Okay?", er hat eine erstaunlich tiefe Stimme, die mich beruhigt. Schniefend nicke ich, lächle ihn kurz an, drehe mich um und renne zu meiner Schwester Jil, die mich stumm in den Arm nimmt.

Nachdem Felix mit unsrer und der Hilfe seiner Freunde alles in den Möbelwagen gepackt hat, kommt er ein letztes Mal, um sich von uns zu verabschieden. ich drücke ihn fest an mich und wieder laufen mir Tränen über die Wangen. Er steigt ein und winkt uns, bis der Transporter um die Ecke verschwunden ist.

|| fünfzehn Minuten später ||

Nachdem wir dem kleinen LKW noch lange nachgeschaut haben, sind wir schlißlich reingegangen und haben uns an den Küchentisch gesetzt. Ein bedrücktes Schweigen herrscht zwischen uns. Die zwei leeren Stühle am Tisch fallen richtig auf. Der eine Stuhl gehörte Felix. Felix war die Person, die beim Essen am meisten geredet hat. Scheint so, als müssten wir uns jetzt an Stille gewöhnen. Der andere Stuhl gehört meinem Dad. Wo er ist? Keine Ahnung. In letzter Zeit ist er irgendwie fast nie da. Mum ist richtig sauer auf ihn, da er den Auszug seines ältesten Sohnes verpasst hat, obwohl sie ihm extra dreimal Bescheid gesagt hat.

Da! Die Tür wird aufgeschlossen. Dad kommt in die Küche und schaut sich um. "Ähm. Wo ist Felix?" "In Köln.", antwortet ihm Mum extrem sauer. "Und was macht er da?", will Dad wissen. "Er wohnt da. Seit heute. Du hast ja leider seinen Umzug verpasst, obwohl ich es dir mindestens dreimal gesagt habe!" Wütend läuft sie aus dem Zimmer und knallt die Tür zu. "Warum hat sie eigentlich immer so schlechte Laune?", murmelt Dad vor sich hin. Es scheint so, als hätte er uns total vergessen, denn was er als nächstes sagt, ist eindeutig ein Geheimnis. "Bin ich froh, wenn ich wieder bei Jasmin bin. Die stresst wenigstens nicht rum." Meine drei Geschwister sehen sich geschockt an. "Dad?", fragt Bennet leise "Kann's sein, dass diese Jasmin der Grund für die ganzen Überstunden ist?"
Häh? Was meint der jetzt damit? Mein Gehirn ist ziemlich überfordert.

"Du meinst ob ich eine Affäre habe?", brüllt Dad ihn an "Frag doch einfach direkt und umschreib nicht immer alles! Sowas machen nur Looser! Und um dir zu antworten: Ja! Ja ich habe eine Affäre! Eure Mutter taugt doch zu nichts und -" Von einer Hand, die auf seine Backe klatscht wird er unterbrochen. Meine Mum hat ihn tatsächlich geschlagen! "Ich tauge also zu nichts?", fragt sie ihn mit leiser, bedrohlicher Stimme "Wenn das so ist: Du packst jetzt deine Sachen und verschwindest! Hau ab und lass dich hier nie wieder blicken!" Langsam geht Dad aus der Küche, die Hand auf seiner Wange, die von Mums Schlag richtig rot geworden ist. Nach einer Weile hören wir, wie die Tür zugeknallt wird. Kaum ist er weg, schluchtzt Mum laut auf und sinkt zu Boden.

Schweißgebadet wache ich auf. Ich träume oft von diesem Tag, der Tag, an dem gleich zwei Familienmitglieder auszogen. Felix nach Köln und Papa nach Berlin zu seiner Affäre. Eine Frau, deren Makeup mehr wiegt als ihr Hirn. Sie ist jetzt 24, Dad 54. Sie könnte seine Tochter sein. Einfach wiederlich, auf was für Bitches mein Dad steht. Meine Mum ist eine ganz normale Hausfrau, ein Jahr jünger als Dad und als sie ihm "zu alt" wurde, hat er sie einfach ausgetauscht. Aber sie hat sich gut von ihm erholt und lebt jetzt ihr Leben einfach ohne Mann weiter.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy, um zu sehen, ob es sich noch lohnt weiterzuschlafen. Mein Display zeigt 6:29 an und um halb sieben klingelt mein Wecker. Also stehe ich widerwillig auf und gehe ins Bad.

Wie ein Umzug alles ändert (Youtuberhaus FF) - ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt