Kapitel 18

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Claire

Was würde ich dafür geben zu wissen, was in ihrem Kopf abläuft.

„Okay, Veeda ich zeige dir dein Zimmer, dann bleibt uns nicht viel anderes übrig, als auf ihn zu warten. Wenn du möchtest, kannst du nachher runterkommen und mir helfen, das Abendessen vorzubereiten." „Okay." 

Ohne ihn ist es seinem Haus ziemlich unheimlich. Beim Hochsteigen der Treppe fällt mir auf, dass überall Fotos von Daemon und seiner Schwester hängen und vereinzelt auch Bilder von Valery, aber keines von Daemons Vater. 

„Das ist er, als er 3 Jahr alt war", sie zeigt auf ein Bild eines Jungens am Strand. Er sieht genauso aus wie jetzt, nur dass er jetzt muskulöser ist und seine Augen noch blauer sind. 

„Und das ist Antonia da auf seinem Schoss", ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ich lege ihr meine Hand auf den Rücken und frage: „Ich sehe, dass Sie sie lieben. Darf ich Sie fragen, weshalb sie ihr nicht helfen?" 

„Bitte Veeda nenn mich Valery. Mein Mann glaubt nicht an das Prinzip von Operation und möchte dafür nicht so viel Geld ausgeben. Er sagt immer: Was nicht von alleine kommt, kommt nicht..." 

Ich sehe ihr an, dass sie ihn dafür am liebsten im Schlaf erdrosseln würde. „Was wäre, wenn er nicht zahlen müsste, würde er zur Operation einwilligen?" 

„Was schwebt dir vor?", sie flüstert. Ich schiebe sie in eines der Zimmer und schliesse die Tür. „Mal angenommen, ich könnte helfen, würden Sie mich lassen?", nun beginnt sie richtig zu weinen. 

„Würden Sie sich für das Wohle ihrer Tochter gegen ihren Mann stellen?" 

„Natürlich, ich würde alles tun." Sie nimmt mich in den Arm, drückt zu, lässt mich wieder los und sieht mir in die Augen. „Danke, aber du musst gar nichts tun. Ich-ich muss für meine Kinder kämpfen."

In meinem Zimmer lege ich meine Tasche aufs Bett, ich bin im Gästezimmer untergebracht. Dort bin ich aber nicht alleine, Valery schläft auch darin. 

Ich bin ihr sehr dankbar, dass ich bei ihnen sein darf, aber mit einer Fremden in einem Zimmer zu schlafen ist merkwürdig und versetzt mich in eine Hilflosigkeit die ich schon so gut kenne und nie mehr erleben wollte... 

Sie hat angeboten, dass sie das Zimmer verlässt, aber das wollte ich dann doch nicht. Auf dem Weg nach unten ergreife ich ihre Hand, sie bleibt stehen. 

„Danke, dass ich hier sein darf. Aber... sie müssen noch etwas wissen", verlegen reibe ich mir mit der freien Hand über meine Beine. „Ich... ich habe Albträume." Sie sieht mich verwundert an. 

„Ja, und?" „Sie schlafen ja im selben Zimmer und ich möchte sie nicht wecken." „Keine Sorge. Das macht mir nichts aus." Kurz überlegt sie, dann fährt sie fort, 

„Ich habe zwei Kinder, da muss man öfter in der Nacht aufstehen. Ich bin es also gewohnt. Manchmal geht es Daemon sehr... schlecht und dann bleibe ich bei ihm." 

Sie redet von den Misshandlungen. Sie weiss es und trennt sich nicht von ihrem Mann? Warum? „Was schaust du mich so komisch an?" 

Sie lacht und geht in die Küche, ich folge ihr. Während wir das Abendessen vorbereiten lacht sie viel, als würde nicht gerade das Leben ihrer Tochter auf dem Spiel stehen. 

Ausserdem erfahre ich viel über ihr Leben. 
Sie ist Lehrerin, aber seit diesem Jahr hat sie keine Arbeit mehr. 
Sie ist Einzelkind und ihr Mann Tobias auch. 

Während sie von ihm redet lacht sie. Entweder sie ist eine gute Schauspielerin oder sei liebt ihn so sehr, dass sie das Wesentliche nicht sieht. 

Einmal klingelt das Telefon, es ist Daemon, der Bescheid gibt, dass er nicht nach Hause kommt. Valery hat versucht, ihn zu überreden, aber er hat einfach aufgelegt. Und als Valery ihn anruft, geht er nicht ran. 

Auch ich versuche es, doch er nimmt nicht ab. „Ach, das tut mir so leid, Veeda." Das bedauern hört man in ihrer Stimme. „Keine Sorge, das macht nichts." 

Aber um ehrlich zu sein bin ich den Tränen nahe. Er geht nicht an sein Handy, er hat wohl was Besseres zu tun mit dieser Bella. „Darf ich Sie etwas fragen?" „Natürlich, was denn?" 

Sie ist sofort neugierig und das, was in ihren Augen aufflackert, gefällt mir nicht. „Haben Sie einen Stadtplan? Wissen Sie, ich gehe jeden Morgen joggen und ich möchte sicher sein, dass ich wieder zurückfinde." 

„Nein, tut mir leid. Aber in unserem Gemeindehaus liegen welche auf. Um dorthin zu kommen, musst du alles dem Fluss entlang, so kannst du das Gebäude nicht verfehlen. Es ist ziemlich gross und rot." 

„Danke, und noch etwas... Wann kommt ihr Mann nach Hause und wann geht er wieder?" Sie sieht mich entsetzt an. Scheisse, ich habe zu auffällig gefragt, jetzt weiss sie, dass ich es weiss. Ihr Mund ist weit geöffnet. 

„Er hat es dir erzählt?" Leugnen, leugnen, leugnen. „Was soll er mir erzählt haben?" Sie sieht mich skeptisch an. „Können Sie mir die Frage beantworten, bitte?" Sie ist noch immer verunsichert, zum Glück! 

„Veeda du bist ein tolles Mädchen. Ich glaube du hast einen guten Einfluss auf Daemon, darum erzähle ich dir etwas. Okay?" Auf ein „ja" wartet sie nicht: „Daemon hat ein Geheimnis, bitte versuche es herauszufinden, damit du ihm helfen kannst." 

„Okay. Ich versuche es. Aber vielleicht sagen Sie das besser Bella." Was soll das? Man hört mir an, dass ich es nicht okay finde, dass er jetzt nicht hier bei mir ist, sondern bei Bella. 

Obwohl er es mir ja bereits erzählt hat. 

Aber eine kleine nervige Stimme in meinem Kopf flüstert mir zu, dass er es nicht erzählt hätte, wenn ich es nicht gesehen hätte. 

Immer wieder jeden Tag redet sie mir ein was für ein schlechter Mensch ich bin, dass mich niemand brauch und dass allen geholfen ist, wenn ich nicht mehr hier bin. Jeden Tag... jeden verdammten Tag und niemand ist da, niemand sieht wie ich leide. Wie ich jeden scheiss Tag leide und es einfach, nur noch beenden möchte. Ich fühle mich unsichtbar... 

Valery holt mich zurück ins jetzt, in dem sie erschauert und sagt: „Ich hoffe wirklich, dass er es ihr nicht erzählt. Aber zurück zu deiner Frage, mein Mann kommt um 22:00 und geht um 7:00." „Okay, danke."

 Sie möchte also, dass ich es weiss, Bella aber nicht. Mein Herz macht einen Freudentanz. Wie albern! 

Wir essen zu zweit und ich lege mich früh schlafen, damit ich Tobias nicht sehen muss. Leider kann ich nicht schlafen, doch als ich die Tür aufgehen höre, stelle ich mich schlafend. 

Eine wütende Stimme sagt: „Was will dieses Mädchen in deinem Zimmer?" „Sie heisst Veeda und ist eine Freundin von Daemon. Bitte sei nett." 

Tobias wusste nicht, dass ich komme? „Ach so, eine Freundin aus dem Dorf hat ihm offenbar nicht gereicht. Da musste er sich noch ein Model suchen. Er zieht unsere ganze Familie in den Dreck." 

Das Wort „Model" klingt aus seinem Mund wie ein Fluchwort, wie kommt er überhaupt auf Model? 

Dass er so, von Daemon, seinem Sohn redet zerreisst mir das Herz. „Sie sind nur befreundet, Schatz." „Pah!" 

Das ist das letzte, was ich höre, dann knallt jemand die Tür zu. Ich vermute, es ist Tobias. Das Bett, dass neben meiner Matratze steht senkt sich kurz darauf und nach ein paar Minuten höre ich den leicht pfeifenden Atem von Valery. 

Fühlt ihr euch auch manchmal unsichtbar?


Die Narben der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt